Die Idee eines allgemeinen Dienstpflichtjahres für junge Menschen bleibt heftig umstritten. Das Anliegen bleibt es auch, Gemeinschaftssinn und Solidarität zu stärken.
Die Idee hat sofort heftigste Reaktionen hervorgerufen. Ein verpflichtendes Dienstjahr für alle ist für die einen „kontraproduktiv", „absurd", ein Rückfall ins „vergangene Jahrhundert" oder „ökonomischer Unfug". Die anderen bewerteten es als Beitrag „zu einer besseren Identifikation mit dem Heimatland", als Antwort auf die Frage: „Gibt es überhaupt noch einen Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält?"
Diese Frage hatte Annegret Kramp-Karrenbauer noch zu ihrer Zeit als Generalsekretärin der CDU aufgeworfen. Es war eine Frage, die sich aus den Gesprächstouren quer durch die Basis der Partei („Zuhörtour") ergeben hatte und die in einem „Werkstattgespräch" der Partei intensiv weiter diskutiert wurde, „getrieben vom Impuls, dass es wieder etwas Verbindendes in der Gesellschaft geben muss".
Nach diesem „Werkstattgespräch" im November befand Gesundheitsminister Jens Spahn zum AKK-Vorstoß: „Unser Ziel sollte sein, dass möglichst alle jungen Menschen ein Gesellschaftsjahr absolvieren. Ob freiwillig oder per Pflicht, das diskutieren wir nun gründlich". Hintergrund ist die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011. Diese hat nach Ansicht von Spahn eine Lücke hinterlassen, die bislang nicht gefüllt worden sei.
Mit dem Aussetzen der Wehrpflicht und damit auch dem Wegfall des Zivildienstes wurde gleichzeitig der Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) eingeführt, der allerdings für alle, also nicht nur junge Menschen, offensteht. Dafür haben sich in der Vergangenheit jeweils rund 40.000 Menschen entschieden. Im Februar dieses Jahres meldet das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben 40.825 Teilnehmer, der weitaus größte Teil junge Menschen unter 27 Jahren (rund 30.000). Daneben gibt es das klassische Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) in den unterschiedlichsten Bereichen (unter anderem Soziales, Kultur, Ökologie, Sport), für das sich rund 100.000 pro Jahr entscheiden.
Die Idee eines Dienstpflichtjahres hat zunächst verfassungsrechtliche Bedenken ausgelöst. Darf man einen (bislang freiwilligen) Dienst an der Gesellschaft zur Pflicht machen? Eigentlich verbietet das Grundgesetz, jemanden zu einer Arbeit zu zwingen, lässt aber Ausnahmen zu, deren Formulierung und Anwendbarkeit jedoch unter Juristen, wie üblich, strittig ist. Bei einem entschiedenen politischen Willen wäre das zu klären, gegebenenfalls durch eine klarstellende Änderung im Grundgesetz.
Es geht um den gesellschaftlichen Kitt
Dieser entschiedene Wille ist aber selbst in der CDU nicht zwingend erkennbar. Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Bewerber um den Parteivorsitz, gab zu Protokoll, er habe „generell Zweifel", ob es klug sei, junge Menschen zwangsweise zu verpflichten, etwas Soziales zu tun. Heftige Bedenken kamen auch von der Schwesterpartei aus Bayern. Die CSU befand die Pflichtidee für nicht hilfreich und viel zu teuer.
Unterstützung gab es innerparteilich vor allem von der Jungen Union. Paul Ziemiak, der zu Beginn der Debatte im Sommer 2018 noch JU-Chef war und nicht ahnen konnte, dass er wenig später AKK ins Generalsekretärsamt folgen würde, unterstrich: „Ein Gesellschaftsjahr gibt die Möglichkeit, etwas zurückzugeben und gleichzeitig den Zusammenhalt im Land zu stärken."
Prominente Unterstützung gab es auch von einem Top-Ökonomen. Dennis Snower, bis vor einem Jahr Präsident des renommierten Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), zeigte sich besorgt über drohende soziale Spannungen in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung und damit Anfälligkeit gegenüber Populisten. Er befürwortete ein Pflichtjahr für junge Männer und Frauen als einen Weg, „etwas mehr Gemeinschaftsgefühl zu schaffen".
Das Argument, sozialen Zusammenhalt zu stärken, trifft aber auch auf Skeptiker, die darin eine Mogelpackung sehen. Sozialer Zusammenhalt ließe sich kaum über eine Verpflichtung erreichen. Sozialverbände und Kirchen blieben deshalb eher zurückhaltend. Sie setzen in diesem Zusammenhang stärker auf Freiwilligkeit, plädieren aber gleichzeitig, wie etwa der Trierer Bischof Stephan Ackermann, für eine stärkere Anerkennung und Wertschätzung. Das könnte beispielsweise durch Vergünstigungen oder Anerkennungen bei Studienzulassung oder Ausbildung geschehen. Das entspricht ziemlich durchgängig Stellungnahmen von Sozialverbänden. Sie betonen gute Erfahrungen mit den Freiwilligen, fordern aber Verbesserungen, sowohl für die Teilnehmer selbst als auch hinsichtlich der Rahmenbedingungen für die Träger, dazu gehört auch die Forderung nach mehr Plätzen.
Selbst in einer Branche, in der die Personalnot bekannt ist, nämlich Gesundheit und Pflege, gehen die Meinungen auseinander bei der Aussicht, junge Menschen in einem Pflichtjahr zu beschäftigen. Einerseits sei es eine Frage der Motivation, anderseits auch der Qualifikation. „Ökonomischer Unfug", so der Befund aus dem Forschungsinstitut Zukunft der Arbeit, was aber die soziale Idee dabei unberührt lässt. Dass der Fachkräftemangel im Pflegebereich durch einen Pflichtdienst kurzfristig aufgefangen werden könnte, ist angesichts erforderlicher Qualifikationen eher nicht anzunehmen. Dass allerdings junge Menschen im Rahmen eines Dienstes Gefallen an diesen Berufen entwickeln und damit auf längere Sicht Nachwuchs rekrutiert werden könnte, das halten viele aufgrund der früheren Erfahrungen mit Zivildienstleistenden für durchaus wahrscheinlich. Auf dem Höhepunkt der Debatte hat sich übrigens eine deutliche Zwei-Drittel-Mehrheit in Umfragen (ZDF-Politbarometer) für die Idee einer Dienstpflicht ausgesprochen. Am meisten Zustimmung gab es von Anhängern der Union (77 Prozent), gefolgt von AfD-Wählern (72). Bei SPD, Grünen und FDP-Anhängern lagen die Zustimmungen über 60 Prozent, lediglich bei den Linken fand nur die Hälfte der Befragten die Idee gut.
Inzwischen ist die öffentliche Debatte über diese Frage ziemlich in den Hintergrund getreten. CDU und SPD sind beziehungsweise waren mit Personalfragen beschäftigt, im vergangenen Jahr haben zudem Klimafragen und der wirtschaftliche Strukturwandel die Debatte dominiert. Und derzeit hat der Corona-Virus nicht nur Deutschland fest im Griff.