Die Bundeswehr ist noch nicht im Einsatz. Aber sie könnte, wenn nötig, alles was sie an Manpower hat, mobilisieren. Peer Rechenbach, der sich mit Katastrophen auskennt, sieht aber auch eine Welle von Hilfsbereitschaft kommen.
Herr Rechenbach, Deutschland ist im Ausnahmezustand. Alles fühlt sich nach Katastrophe an. Ist das, was wir erleben, eine Katastrophe? Für Sie als Experten für Katastrophenschutz?
Noch haben wir keine Katastrophe. Ob wir eine solche bekommen werden, ist offen. Ich wünsche es mir nicht. Die Maßnahmen, die nun beschlossen und umgesetzt wurden, sollten eigentlich eine Katastrophe verhindern. Ich hoffe es.
Was ist eigentlich eine Katastrophe, aus Sicht des Experten?
Da gibt es international sehr unterschiedliche Definitionen. Ich bevorzuge folgende: Wenn die Maßnahmen, die zur Verfügung stehen, nicht mehr ausreichen, Menschenleben zu retten und zu versorgen. Das gilt auch im Kleinen: Das trifft sogar für einen Motorradfahrer zu, der an einem Baum landet. Es gilt aber natürlich auch im Großen. Das eigentliche Problem derzeit ist das Mengenproblem. Es sind sehr viele Menschen gleichzeitig betroffen. Bei Corona stehen wir vor dem neuen Problem, dass wir nicht wirklich geeignete Medikamente haben.
Bei Katastrophen ist die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln ja ein wichtiges Thema. Auch jetzt beginnen die Menschen zu hamstern, oft nicht gerade essenzielle Dinge. Kennen Sie das Problem aus dem Katastrophenschutz?
Wir vom Katastrophenschutz predigen seit vielen Jahren: Jeder sollte einen Vorrat an Grundlebensmitteln und zum Leben Notwendigen für ein paar Tage zu Hause haben, einen Notfallvorrat. Das haben nur die wenigsten gemacht.
Die Sorglosigkeit führt vielleicht jetzt zur Überreaktion?
Ja, da scheint eine emotionale Bauchreaktion eingesetzt zu haben. Das wurde natürlich verursacht durch die ersten Berichte über häusliche Quarantäne. Leute mussten zuhause bleiben, weil sie infiziert waren oder der Verdacht bestand. Das ist nun ein Stück weit überholt. Es geht jetzt ja gar nicht mehr um einzelne Quarantänen. Nun geht es ja um die Gesellschaft als Ganzes. Aber eine Quarantäne für alle kann es ja nicht geben. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist natürlich grundsätzlich gewährleistet, auch wenn es mal zu Engpässen kommen kann. Die Versorgungsstruktur als solche ist nie infrage gestellt. Wir werden nicht eingesperrt.
Was ist denn aus Ihrer Sicht nun das Hauptproblem?
Ich sehe mit Sorge, dass viele eine große Angst um ihre wirtschaftliche Zukunft haben. Sie machen sich Sorgen um ihren Job, um Aufträge, um ihr Unternehmen. Viele stehen vor der Pleite. Viele sind in Kurzarbeit. Sie haben Angst, in ein paar Wochen nicht mehr genügend Geld zu haben, ihre Miete nicht mehr bezahlen zu können. Das sind große Ängste für die nächsten Monate. Hier sollte der Staat mehr tun: Aufklärung und auch echte Hilfe, gesetzliche.
Was würden Sie vorschlagen?
Ich denke zum Beispiel an eine Regelung, die verhindert, dass Mieter, die die Miete nicht zahlen, gekündigt werden können. Das könnte vielen eine große Angst erst mal nehmen. Fürs Erste.
Sie waren lange an Katastrophenschutzübungen in Deutschland beteiligt. Sind die Institutionen auf die Corona-Krise vorbereitet?
Da haben wir viele Szenarien überlegt, dazu zählten natürlich auch Pandemien. Dabei ging es natürlich auch um die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung. Was aber völlig vergessen wurde, war das, was wir jetzt sehen: die wirtschaftlichen Folgen, Kurzarbeit, drohende Arbeitslosigkeit. Das stand damals nicht im Fokus.
Es scheint nun, dass die Politik das schon sehr früh erkannt hat.
Ja, die Politik, etwa die Minister Altmaier und Heil haben ja Mittel in gigantischem Ausmaß in Aussicht gestellt. Das ist richtig und nötig. Allerdings zeigt sich auch, dass die Produktion im großen Stil in Gefahr gerät. Die Lieferketten sind oft nicht mehr intakt, darum muss die Produktion unterbrochen werden. Es gibt gigantische Einkommensverluste. Dass es zu wirtschaftlichen Folgen in diesem Ausmaß kommen könnte, das hatte bei den Übungen niemand auf dem Schirm.
Welche Möglichkeiten gibt es denn nun für die Bundeswehr?
Die Bundeswehr ist für den Verteidigungsfall gedacht, nicht für eine Pandemie. Trotzdem wird sie nun natürlich gebraucht werden. Vor allem hat sie eine große Sanitätsdiensttruppe. Die werden alle zum Einsatz kommen. Jetzt noch nicht, aber wenn sich die Situation verschärft, dann schon. Alles, was wir an Manpower haben, wird gebraucht werden. Da geht es weniger um die hochqualifizierten medizinischen Tätigkeiten, sondern mehr um die einfachen, die genauso benötigt werden, in großem Stil. Die Bundeswehr verfügt auch über eine gute Transportlogistik. Auch da kann sie eine große Rolle spielen. Schon jetzt werden ja auch Ärzte und Pflegepersonal aus dem Ruhestand mobilisiert. Aber auch Jugendliche ohne fertige Ausbildung, oder auch Arbeitslose können nun neue Aufgaben bekommen.
Man könnte ja eine Art zivile Reservistenarmee aufstellen. Wäre das sinnvoll?
Von großen staatlichen Lösungen halte ich wenig. Wir müssen und können darauf setzen, dass sich die Menschen von sich aus melden und organisieren. Nehmen sie die Katastrophe der Hamburger Sturmflut 1962. Auch damals schon haben unzählige Menschen spontan geholfen und das hat schon damals funktioniert. Es gibt ja auch jetzt eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft. Jeder wird auf seine Weise helfen. In der digitalen Zeit ist das alles noch einfacher. Es gibt ja schon viele Internetplattformen, wo sich Freiwillige melden und organisieren können.
Wird das denn alles auch funktionieren?
Das wird man sehen. Es gibt seit zwei Jahren sogar einen ISO-Standard nach den Regeln der Internationalen Organisation für Normung. Da wird beschrieben, wie solche Maßnahmen am Sinnvollsten zu koordinieren sind. Das sind gute Regeln. Viele Kommunen haben das bereits, es könnten aber natürlich noch mehr sein. Es ist gut, wenn man vorbereitet ist, aber von gesetzlicher Verordnung halte ich in dem Bereich nichts.
Neben dem Virus ist nun also die Angst ein zweites großes Problem.
Ja, und Angst ist das Schädlichste und Gefährlichste überhaupt. Interview: