Geisterspiele sollen den deutschen Fußball nach dem Termin-Chaos wegen des Coronavirus wohl vor einem Saisonabbruch bewahren. Sie scheinen auch die einzig praktikable Notlösung. Doch hat der erste Anlauf schon gezeigt, dass dies eigentlich nicht funktioniert.
Die schwierig und chaotisch das Ganze in den ersten März-Wochen war, zeigt vor allem das Beispiel des Europa-League-Spiels zwischen dem FC Basel und Eintracht Frankfurt. Kurz nach der Auslosung gab es noch leise Hoffnung, dass das Achtelfinal-Rückspiel in der Schweiz vor Zuschauern stattfinden kann. Dann sollte es doch ein Geisterspiel werden, schließlich verbot die Kantonspolizei Basel-Stadt die Austragung. Zunächst galten Freiburg und Straßburg als mögliche Ausweich-Standorte, ehe beide Clubs am Tag des zum Geisterspiel mutierten Hinspiels in Frankfurt bekannt gaben, dass auch das Rückspiel in der Main-Metropole steigen soll. Einen Tag später unterbrach die Europäische Fußball-Union (Uefa) die Europacup-Wettbewerbe auf unbestimmte Zeit. Ob, wann, wo und vor wie vielen Zuschauern das Match am Ende steigen wird, steht derzeit in den Sternen.
Angesichts von so vielen sich zerschlagenden Optionen schien die Lösung, in der Fußball-Bundesliga auf Geisterspiele zu setzen, am naheliegendsten. Es sollten große Zuschauer-Massen vermieden werden, um die Ausbreitung des Coronavirus mindestens einzudämmen, gleichzeitig sollte aus sportlicher Sicht, wegen bestehender TV-Verträge und wegen der bevorstehenden EM die Saison möglichst im normalen Zeitrahmen über die Bühne gebracht werden. Und, so der Gedanke, wenn man sie nicht vor Zuschauern austragen kann, dann spielt man eben ohne. Die EM wurde inzwischen übrigens auf 2021 verschoben.
„Es machte am ende keinen Sinn mehr"
Bis heute gab es gerade mal ein einziges Bundesliga-Match ohne Zuschauer. Das Nachhol-Derby zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln wurde an einem Mittwoch als Geisterspiel ausgetragen. Die beiden kommenden Spieltage sollten eigentlich auch komplett ohne Zuschauer gespielt werden, um sich in die Länderspiel-Pause Ende März zu retten. Bis zum Freitag, 13. März, und damit Stunden vor der geplanten ersten Partie des 26. Spieltags hatte die Deutsche Fußball Liga (DFL) an diesem Plan festgehalten. Obwohl die meisten anderen Ligen – darunter die vier anderen großen europäischen in Spanien, England, Italien und Frankreich – schon alle Spiele abgesagt hatten. Schließlich kam auch die DFL nicht mehr um diesen Schritt herum. „Wir wollten den Spieltag noch absolvieren", sagte Alexander Wehrle, Geschäftsführer des 1. FC Köln und Mitglied des Liga-Präsidiums dem „Express". „Aber durch die Situation in Hannover, die Verdachtsfälle bei Paderborn und die Absage des Bremer Spiels machte es am Ende keinen Sinn mehr."
Was Wehrle meinte: Bei Zweitligist Hannover 96 war zu diesem Zeitpunkt bei zwei Profis das Virus diagnostiziert worden, beim Bundesligisten Paderborn bestätigte sich schließlich bei Spieler Luca Kilian als erstem Bundesliga-Profi der Verdacht. Und in Bremen sagte Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) das Spiel gegen Leverkusen kurzerhand ab.
So manch einem schien zu diesem Zeitpunkt aber klar: Die DFL ist auch deshalb von ihrem ursprünglichen Plan abgerückt, weil sich gezeigt hatte, dass es mit diesen Geisterspielen einfach nicht funktioniert. Und genau das hatte auch Senator Mäurer als Grund für seinen Schritt angegeben. Die Politik befürchtete nämlich rund um das Geisterspiel laut Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) „2.000 bis 3.000 Menschen, die sich vor dem Stadion einfinden werden". Das hätte nicht nur dem damaligen Verbot von Versammlungen mit mehr als 1.000 Menschen widersprochen. Es hätte auch den Gedanken eines Geisterspiels ad absurdum geführt.
„Indirekt auch noch dazu animiert"
Aber man hatte es ja beim Spiel zwischen Gladbach und Köln gesehen. Die Borussia, die Stadt Mönchengladbach und die Polizei hatten die Fans eindringlich gebeten, nicht zum Stadion zu kommen. Am Ende fanden sich Tausende Fans ein. Als der 2:1-Sieg der Borussia besiegelt war, feierten die Fans den Sieg lautstark vor der Arena. Und die Gladbacher Spieler liefen im leeren Stadion die Steinstufen der Nordkurve empor und bedankten sich bei den wartenden Fans. „Ich finde es beachtenswert, dass sich so viele Fans im Regen hinter die Nordkurve gestellt haben", sagte Weltmeister Christoph Kramer. „Es hat sich angefühlt wie die Meisterschaft. Wir sind sehr froh, dass wir solche Fans haben."
Das Fachmagazin „Kicker" schrieb, die Borussia habe vor dem Spiel extra noch die Anfahrtsroute geändert, um an den wartenden Fans vorbeizufahren. Und urteilte in einem Online-Kommentar, es dürfe „nicht sein, dass Fußball-Fans alle Ratschläge ignorieren und Clubs und Spieler sie dazu zumindest indirekt auch noch animieren".
Doch nicht nur die Fans, sondern auch viele Spieler und Offizielle hatten mehrfach klargemacht, was sie von Geisterspielen halten. So berichtete Dortmunds Trainer Lucien Favre, der mit seinem Team in einem Geisterspiel in Paris (mit zahlreichen feiernden Fans vor der Arena) aus der Champions League ausschied, schon vor dem Spiel von seinem TV-Erlebnis bei einem Spiel in Italien. „Am Sonntag war Juventus Turin gegen Inter Mailand im Fernsehen", sagte Favre. „Ich konnte nur zwei Minuten schauen. Keine Lust." Und sein Leverkusener Kollege Peter Bosz erklärte: „Wir sollten nicht ohne Fans spielen. Das fühlt sich nicht richtig an. Wir spielen für die Fans. Deshalb ist es verrückt, wenn sie nicht da sind." Kölns Manager Horst Heldt sah nach dem Spiel in Gladbach die Erkenntnis darin, „dass die Bundesliga ohne Fans keinen Spaß macht". Und sogar der erfahrene Schiedsrichter Deniz Aytekin, der das Spiel geleitet hatte, erklärte unumwunden: „Das hat nichts mit Fußball zu tun."
„Wenn wir noch mal spielen, werden es Geisterspiele sein"
Doch die Liga wollte zumindest diesen 26. Spieltag durchsetzen und ließ durchblicken, dass es auch darum ging, dass nach diesem Spieltag die Zahlung einer hohen Tranche der TV-Gelder ausstand. „Im Profi-Fußball geht es am Ende des Tages auch um Finanzen", sagte Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. „Es steht noch eine hohe Zahlung von den TV-Broadcastern aus. Wenn diese Zahlung ausbleiben würde, wäre zu erwarten, dass zumindest viele kleine und mittlere Vereine finanzielle Probleme kriegen würden."
Doch die Geisterspiele schafften es nicht, die Liga über diesen 26. Spieltag hinaus zu retten. Umso verwunderlicher ist es, dass sie immer noch als Rettungsanker gesehen werden. Zunächst bis zum 2. April werden die Bundesliga und die Zweite Liga pausieren. Ob und wann danach gespielt wird, kann derzeit niemand absehen. Klar scheint das, was Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke in der „Sportschau" sagte: „Wenn wir in dieser Saison noch mal spielen, werden es Geisterspiele sein. Niemand in der Bundesliga geht noch davon aus, dass wir noch Spiele mit Zuschauern haben werden." Und Leverkusen-Boss Fernando Carro stellte klar: „Niemand möchte Geisterspiele. Niemand. Sie konterkarieren den Sinn unseres Bundesliga-Betriebs. Gleichzeitig können diese Spiele eine Notlösung sein. Diese Option ist unpopulär, aber man kann und darf sie nicht vollends ausschließen."
Nachdem die beiden Profiligen sich schließlich mit allen 36 Vereinen getroffen hatten, um über das weitere Vorgehen zu beraten, trat auch DFL-Boss Christian Seifert vor die Mikrofone. „Geisterspiele werden die einzige Überlebenschance sein", stellte er klar. „Wenn jemand sagt, Geisterspiele kommen nicht infrage, der muss sich keine Gedanken mehr machen, ob wir mit 18 oder 20 Profi-Clubs spielen. Denn dann wird es keine 20 Profi-Clubs mehr geben."
„Dann ist es nur eine Frage der Zeit"
Heißt übersetzt: Das Fehlen der Zuschauer-Einnahmen wäre für die Vereine schon ein heftiger Schlag. Ein einziges Geisterspiel kann einen siebenstelligen, also Millionen-Betrag kosten. Doch im Endeffekt machen die Zuschauer-Einnahmen nur 13 Prozent des Gesamt-Umsatzes der Vereine aus. Das geht aus dem DFL-Wirtschaftsreport 2020 hervor. 37 Prozent generieren sie aber durch Medienerlöse, 21 Prozent durch Werbung. Sollte es in diesen beiden Bereichen auch noch hohe Verluste geben, könnte dem einen oder anderen Verein die Insolvenz drohen. Seifert sprach von „Zehntausenden Arbeitsplätzen", die auf dem Spiel stehen würden, wenn alle drei Einnahmen-Parameter wegbrechen würden: „Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis es nicht mehr gut geht."
Und mit diesem Szenario vor Augen muss man sich eben auch mit den Geistern anfreunden, die man rief.