Es hätte kaum ein schlechteres Timing geben können. Mitten im Ausbruch der Corona-Epidemie hat das Universitätsklinikum des Saarlandes eine Ambulanz für Reise- und Tropenmedizin eröffnet. Das neue Virus bestimmt dort derzeit den Alltag – und sorgt dafür, dass es kaum zu normalen Beratungen kommt.
Das Coronavirus ist derzeit in aller Munde. Auch bei der neuen Ambulanz in Homburg ist es immer wieder Thema. „Wir selbst führen nicht die diagnostischen Laboruntersuchungen auf Coronaviren durch", sagt der Leiter der Ambulanz, Prof. Dr. Dr. Sören Becker. „Darum kümmert sich das Institut für Virologie, wir hatten aber zu Beginn der Pandemie Anfragen von Leuten hier, die in China waren und deshalb unsicher waren." Lange bevor unsere Nachbarländer teils zur Sperrzone wurden und in Deutschland die Schulen und Kindertagesstätten schlossen, machten sich Chinareisende Sorgen, „weil sie mit dem Hochgeschwindigkeitszug durch Wuhan gefahren waren", berichtet Sören Becker.
Die Tropenmediziner hatten in den ersten Wochen der Ausbreitung des Virus festgestellt, dass die Reisenden, die sich dort nach dem aktuellen Stand in China erkundigen, lieber in andere Länder Asiens reisen. „Das hat sich inzwischen verändert, da wir jetzt ja auch in Deutschland so viele autochthone Fälle haben", sagt Becker. Verändert dahingehend, dass wegen der Reiseverbote ohnehin niemand mehr in der Ambulanz vorbeischaut, um sich über etwaige Reisekrankheiten zu informieren. Corona ist längst zu einem großen Problem auch in Deutschland geworden. Nun zeigt sich, was Sören Becker schon in der Frühphase vermutet hatte: Sich nach außen abzuschotten, ohne auch im eigenen Land Maßnahmen zur Kontaktreduktion zu ergreifen, helfe nicht. „Italien war das Land, das in Europa schon sehr früh Ankunftskontrollen an Flughäfen durchgeführt hat. Dennoch ist es nicht gelungen, die Ausbreitung des Virus dadurch zu stoppen. Aber die Lage ist dynamisch. Man kann nicht sicher sein, was in einem Monat passiert." Die Ausbreitung des Virus einzudämmen, wie es inzwischen mit weitreichenden Verboten auch in Deutschland passiert, sei gerade deshalb wichtig, „weil wir an die Kapazitätsgrenzen der Krankenhäuser kommen, wenn wir zu viele Fälle haben, die schlimm verlaufen, auch wenn nur ein kleiner Prozentsatz der insgesamt Erkrankten schwere Verläufe zeigt." Es gebe darüber hinaus in der aktuellen Phase auch logistische Probleme, etwa bezüglich der Zahl verfügbarer Betten auf den Intensivstationen und bei der Beschaffung von Schutzausrüstung für medizinisches Personal wie Mund-Nasen-Schutz und Schutzkitteln.
„Wir betreuen Menschen vor Fernreisen"
Dazu, das Virus einzudämmen, gehörte es schon vor den Verboten, keine Reisen mehr zu unternehmen. Am Reiseverhalten der Menschen merkte Beckers neue Ambulanz auch in der Frühphase der Pandemie die größten Veränderungen seit Ausbruch des Virus. „Wir betreuen Menschen vor Fernreisen. Wir informieren über Impfungen und Malariaschutz, und da sehen wir, dass die Rucksackreisen nach Asien schon vor Wochen in Richtung Null gegangen waren", berichtet er. Um diese Jahreszeit habe man viele Interessierte, die nach Laos, Kambodscha, Thailand oder Vietnam reisen wollen. „Das hatte sich am Schluss deutlich Richtung Südamerika und Afrika verschoben, da kommt eine große Unsicherheit rein", sagt Becker, der allerdings glaubt, dass sich die Lage entspannt: „Wenn die Coronavirus-Pandemie wieder unter einer guten Kontrolle ist, wird es sicherlich nach einigen Monaten der Verunsicherung wieder mehr Fernreisende geben." Dann wird die Homburger Ambulanz für Reise- und Tropenmedizin endlich ihre richtige Arbeit aufnehmen.
Auf die Idee, eine spezialisierte Ambulanz für die Tropen zu installieren, kam er, weil er lange Zeit in tropischen Regionen gearbeitet hat. Westafrika, Südamerika, Indonesien. „Da habe ich festgestellt, dass die Kenntnis über häufige Krankheiten aus den Tropen oft relativ gering ist." Dann und wann gab es zwar einen Patienten mit Lepra oder einer Wurminfektion, das sei aber relativ selten. „Da gab es Patienten, die bei 20 verschiedenen Ärzten wegen ihrer Hautläsionen waren, aber nicht daran gedacht haben, dass es Lepra aus Brasilien sein könnte. Ähnlich zeigt sich dies bei Wurminfektionen, die häufig eine sehr unspezifische Symptomatik hervorrufen. Daher halten wir eine spezialisierte Ambulanz für solche Fragestellungen für sinnvoll.
Eine große Lücke gab es auch in der Beratung vor den Reisen. Muss ich mich gegen Tollwut impfen lassen, bevor ich nach Indien reise? Wie ist es mit Malaria? „Mir haben Leute erzählt, dass sie teilweise die eineinhalb Stunden nach Heidelberg gefahren sind, weil es dort die nächste Ambulanz gab, die sich mit der Thematik befasst hat", sagt Becker. „Das wollte ich ändern." Neben den beiden Schwerpunkten Reiseberatung vor und nach der Rückkehr gibt es als dritte Komponente der neuen Ambulanz die Versorgung von Migranten und Geflüchteten. Menschen aus Somalia oder Eritrea, die häufig im Saarland landen, bringen manchmal Infektionen mit, die die Ärzte hier lange Zeit nicht erkennen, weil sie in Europa selten sind. Hier will sich die Homburger Ambulanz einbringen und unterstützen – auch durch Aufklärung: „Man muss ehrlicherweise sagen, dass es manchmal notwendig ist, darauf hinzuweisen, dass viele Ängste nicht begründet sind", sagt Becker. „Fast alle parasitären Infektionen sind zwar ein großes gesundheitliches Problem für den Betroffenen. Die meisten dieser Infektionen sind aber nicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Die brauchen einen Zwischenwirt wie Süßwasserschnecken oder Ähnliches. Wir haben oft ganz einfache Behandlungsmöglichkeiten."
„Wir als Ambulanz wollen sensibilisieren"
Als Beispiel nennt Sören Becker die Bilharziose. Ein kleiner Wurm, mit dem man sich in Süßwasser infizieren kann und der bei Kontakt durch die Haut eindringen kann. Symptome sind selten, wenn überhaupt haben die Betroffenen leichten Durchfall. Langfristig drohen dadurch aber Blasenkarzinome und Leberschädigungen. Heilen kann diese Infektion die Einmalgabe einer Tablette. „Bei Migranten ist das eine häufige Erkrankung. In der Erstaufnahmeeinrichtung in Lebach gab es vor zwei Jahren eine Untersuchung aller Angekommenen aus Afrika", erzählt Becker. „Nicht wenige Patienten waren bei diesen Screenings positiv, hatten aber keine Symptome. Wenn wir das erst in zehn Jahren merken, weil sie erkranken, dann ist es schwierig, den Patienten zu helfen, und auch für das Gesundheitssystem entstehen hohe Kosten. Wir als Ambulanz wollen sensibilisieren."
Allerdings bewusst nicht als Konkurrenz zu Arztpraxen. Das Ziel ist ein gemeinsamer Austausch, vor allem bei komplizierten Fällen, auch ohne Symptome. Wer etwa ein Jahr in Bolivien verbracht hat, sollte sich schon mal durchchecken lassen. „Das vergisst man häufig, und wenn man drei Jahre später irgendwelche Symptome hat, denkt keiner mehr daran, dass es eine Reisekrankheit sein könnte", sagt Becker. Zweimal pro Woche, montags und donnerstags zwischen 15 und 19 Uhr hat die Ambulanz geöffnet. „Sie ist überraschend gut ausgebucht", freut sich der Leiter. Etwa zwei Drittel der Patienten kommen, um sich vor Reisen über Impfungen oder andere Schutzmaßnahmen beraten zu lassen. Dr. Google macht der Ambulanz wenig Konkurrenz. „Die Geschäftsreisenden kommen eher weniger. Und der Unterschied ist schon, dass die jüngeren mit mehr Vorideen kommen", sagt Sören Becker. „Sie sind häufig kritischer, wenn man über Malariaprophylaxe für Afrika redet. Da gibt es schon sehr ambivalente Aussagen, und es ist oft mehr Aufklärungsarbeit zu leisten."
Bei den restlichen Patienten geht es darum, sich nach der Rückkehr durchchecken zu lassen, etwa, weil sie mit hohem Fieber von einer Tropenreise zurückkehren. Sie können in den meisten Fällen aber nicht bis zur Sprechstunde der Ambulanz warten. „Wenn um 7.30 Uhr jemand an der Pforte steht, der mit hohem Fieber aus Thailand anreist, dann kommt er in die Notaufnahme des Klinikums, akute Probleme werden sofort geklärt", sagt Becker. Nach einer zweistündigen Diagnostik lassen sich im besten Fall die meisten Krankheiten wie Malaria oder Denguefieber ausschließen. „Neulich hatten wir einen Fall, bei dem ein Mann nach einem Urlaub im Urwald mit einer klassischen Influenza zurückkam", erzählt Sören Becker. Es muss also nicht immer eine spezielle Krankheit sein, die jemand aus dem Tropen ins Saarland einschleppt.