Der Transport von Waren soll laut dem Innenministerium auch in Zeiten der Pandemie weiterlaufen. Doch im Hamburger Hafen stapeln sich leere Container: Vor allem die Routen nach Fernost sind mittlerweile stark ausgedünnt.
Diese Reise wird Kapitän Gennaro Arma nicht so schnell vergessen, ebenso wenig wie seine rund 3.600 Schutzbefohlenen. Als der Italiener nach 14 Tagen Zwangsquarantäne sein schmuckes Schiff „Diamond Princess" im japanischen Hafen Yokohama mit Atemmaske im Gesicht als Letzter verließ, ging er in den Augen vieler Menschen als Held von Bord. In 14-tägiger Zwangsquarantäne hatte Arma Corona-Infizierte und Gesundgebliebene so einfühlsam und launig gegen den Lagerkoller bei Laune gehalten, dass ihm Staatspräsident Sergio Mattarella in Rom einen hohen Verdienstorden verlieh.
Die Dienstfahrt des vorbildhaften Kapitäns an Bord der luxuriösen „Diamond Princess", auf der sich 705 Menschen mit dem Coronavirus ansteckten und sechs von ihnen starben, war Armas letztes Kommando – vorerst. Seine Reederei Princess Cruises (Sitz: Santa Clarita, Kalifornien) musste wegen der Covid-19-Pandemie den Betrieb einstellen. Nun liegt eine Flotte von insgesamt 17 Kreuzfahrtschiffen brach, die bislang jährlich 1,3 Millionen Passagiere in 350 Häfen auf allen Kontinenten schipperte.
Das vorläufige Ende der stolzen
Reederei markiert nur ein Beispiel für die Erkrankung einer Branche, die sich seit Jahren mehr als andere Touristikzweige steigender Beliebtheit erfreut. Kreuzfahrten sind nicht mehr steife Touren mit strenger Etikette, sondern richten sich oftmals an ein jüngeres relaxtes Publikum. An Bord geht es locker zu wie in einer Wellnessoase oder einem Ferienklub – nur auf See schwimmend und jeden Tag in einem anderen Hafen.
Nun hat das Coronavirus die sagenhaften Wachstumsraten der Kreuzfahrtreedereien jäh unterbrochen. Hunderte Ozeanriesen warten fest vertäut an Piers auf bessere Zeiten. Rekordzuwächse, wie 18 Prozent im vergangenen Jahr allein in Deutschland, sind kaum zu wiederholen. Auch die für 2020 weltweit angepeilte Zahl von 32 Millionen Passagieren dürfte unerreichbar sein.
Ganze Schiffe unter Quarantäne
Während das Coronavirus vom chinesischen Festland aus rasend schnell um den Planeten wanderte, gerieten viele Kreuzfahrtschiffe über Nacht ins Auge des Gesundheitsorkans. So wie die „MSC Meraviglia", mit 115.875 BRT eines der international größten Kreuzfahrtschiffe. Sie erlebte eine wahre Irrfahrt. Erst verweigerte der Karibikstaat Jamaika den rund 6.000 Menschen an Bord die Einfahrt, dann musste der Kapitän vor den Gran-Cayman-Inseln abdrehen, die potenziell Infizierte wie die Pest vermeiden wollten. Aus Frust brach unter den Passagieren eine Schlägerei aus – nur mit Pfefferspray konnte die Crew die Wütenden in den Griff kriegen. Schließlich hatte der Hafen Cozumel in Mexiko ein Erbarmen – und dort stellte sich heraus: Niemand an Bord war vom Coronavirus befallen, ein Verdachtsfall war nur eine Erkältung.
Kein Seemannsgarn ist auch, dass die jüngste Kreuzfahrtreederei der Welt, die schwungvoll beworbene amerikanische Virgin Voyages, ausgerechnet die Taufe ihres ersten Schiffes absagen musste. Die frisch designte „Scarlet Lady" (110.000 BRT) kam gerade noch über den Atlantik von England nach New York. Kaum angelangt, musste der stolze Reedereibesitzer und britische Milliardär Richard Branson das von Zehntausenden erwartete Event mit Festfeuerwerk an der Freiheitsstatue abblasen. Gouverneur Andrew Cuomo hatte jedes Massenevent verboten.
Die Jungfernfahrt der „Scarlett Lady" mit 2.770 Passagieren soll nun erst am 7. August starten. Derzeit liegt das nagelneue Schiff in Miami. Gäste, die Bransons angekündigten „rebellischen Luxus" genießen wollten, haben die Wahl zwischen Umbuchung mit Bordguthaben und Sonderboni oder Rückerstattung des vollen Reisepreises.
Was für die „Musikdampfer" der Welt gilt, trifft auch auf die Frachtschifffahrt zu – Sorgenfalten allenthalben. Schon als noch nur China gegen das Coronavirus kämpfte, kamen die Eigner von Containerschiffen in schweres Fahrwasser. Hafenarbeiter erschienen wegen der amtlichen Quarantäne nicht an den Ladeanlagen. Das führte vor den Einfahrten chinesischer Häfen zu langen Schiffsschlangen, weil die Abfertigung höchstens im Schneckentempo klappte – ein Desaster für die Seefahrt, die heutzutage nach eng getakteten Fahrplänen fährt.
Wenn China hustet, dann hustet die Welt – mit fatalen Folgen. Die Volksrepublik ist die Werkbank der Erde. Dort geschlossene Fabriken und Werkstätten haben tiefe Lücken in die Lieferketten der Weltwirtschaft gerissen. Immerhin werden mehr als 90 Prozent des Welthandels über Schiffe abgewickelt. Seewege sind die Arterien für Import und Export.
Allein im Hamburger Hafen erwarten Experten, dass in den nächsten Monaten „rund 100.000 Container weniger" aus Fernost ankommen werden. Indessen werden an der Elbe die Containerstellplätze knapp, weil die Stahlboxen nicht in der bisherigen Menge gebraucht werden. Weltweit stehen schätzungsweise rund 600.000 Container herum, die keinen Bestimmungshafen haben.
140 Milliarden Euro Ausfall weltweit
Die „Herrscher der Meere" – die Schifffahrtskonzerne – haben die Anzahl ihrer fahrenden Schiffe auf Chinarouten reduziert. Auf der Asien-Europa-Route sind 61 Fahrten gestrichen. Das haut ins Kontor, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die deutschlandweit größte Linienreederei Hapag Lloyd (236 Schiffe, Hamburg) 25 Prozent ihrer Einnahmen mit Fahrten aus dem und in das Reich der Mitte verdient. Die weltgrößte Reederei Maersk (786 Schiffe, Sitz: Dänemark) macht sogar 30 Prozent mit China. Schätzungen zufolge beträgt der weltweite Ausfall 140 Milliarden Euro.
Abnehmer in Europa und anderswo spüren die chinesischen Produktionsstopps daran, dass erwartete Ware – Smartphones, Plastikspielzeug, Zubehörteile – gar nicht mehr oder deutlich verspätet ankommt. Das führt bei uns zu Kurzarbeit oder gar Entlassungen. Frachtmanager raten Kunden nun, bestimmte Waren besser per Flugzeug denn per Schiff zu verladen, um Auswirkungen durch hochschnellende Frachtraten und Lieferverzögerungen auszugleichen.
Weltweit neue Gesundheitsvorschriften tun ein Weiteres, die Seefahrt zu verändern. So hat sich Australien in eine Art Festung verwandelt. Ob Frachter, Tanker oder Kreuzfahrer – solange nicht alle Crews oder Passagiere vom Gesundheitsamt für virusfrei erklärt worden sind, darf niemand in Down Under an Land gehen. In China verbietet Hapag-Lloyd den Seeleuten seiner 230 Schiffe den Landgang – Füße auf festem Boden vertreten, ist für Matrosen nicht mehr drin. Außerdem müssen Matrosen und Kapitäne in chinesischen Häfen Schutzmasken tragen.
Da Küsten vielerorts nationale Grenzen sind, leiden zahllose Fährenbetreiber – insbesondere im bislang grenzenlosen Europa. Weil Finnland dichtmacht, hat die Ostsee-Reederei Viking Line die hochfrequentierte Linie zwischen Stockholm und Helsinki eingestellt. Die norwegische Color Line, die unter anderem Oslo und Kiel verbindet, hat knapp 2.000 Mitarbeiter freigestellt. Tallink Silja Line stoppte die Routen Stockholm-Riga und Tallinn-Helsinki. Im italienischen Genua wird eine nutzlos gewordene Großfähre in Windeseile zum Hospitalschiff umgebaut.
Indessen hätte sich Kapitän Gennaro Arma von der schnieken „Princess Cruises" wohl bis vor Kurzem nicht träumen lassen, dass er einmal an Land zur Untätigkeit verdammt sein würde. Eigentlich soll der Mann, der durch empathisches Verhalten in Zeiten des Coronavirus zum Promi wurde, im Sommer das Kommando auf dem neusten Stolz seiner Reederei übernehmen. Doch ob der gefeierte Karrierekapitän und die „Enchanted Princess" pünktlich auslaufen werden, das steht in den Sternen.