Kontaktverbot, Abstandsregeln, Ausgangsbeschränkungen – die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus haben die Arbeit vieler sozialer Einrichtungen bedeutend schwerer gemacht.
Ein Telefonat folgt aufs nächste, Whatsapp-Nachrichten und Mails trudeln Schlag auf Schlag ein – Imke Eisenblätter hat mehr als reichlich zu tun. Eigentlich hat die Leiterin der Tafeln in Potsdam und Umgebung eine 20-Stunden-Stelle. Momentan aber arbeitet sie mindestens 60 Stunden pro Woche, montags bis sonntags. Denn die in kürzester Zeit immer strenger gewordenen Maßnahmen der Behörden zur Eindämmung des Coronavirus machen auch vor sozialen Einrichtungen nicht Halt. Und zwingen diese, in schwierigen Zeiten außerordentlich kreativ zu sein, mit immer neuen Ideen auf die Herausforderungen wie das Kontaktverbot zu reagieren.
Für die Potsdamer Tafeln, bei denen rund 3.000 Menschen angemeldet sind und etwa 1.500 Personen regelmäßig zu einer der Abgabestellen kommen, heißt das beispielsweise, ständig an neuen Notfallplänen zu arbeiten. Sich neue Partner zu suchen, um bedürftige Menschen in Potsdam und Umgebung weiter mit Lebensmitteln beliefern zu können.
Noch vor etwa zwei Wochen sei die Situation überschaubarer gewesen, sagt Eisenblätter. Da habe man sich dafür entschieden, an zwei der Ausgabestellen die Verteilung von Lebensmitteln fortzusetzen, Besucher jedoch nicht mehr in die Räumlichkeiten zu lassen, sondern ihnen quasi an einem Tresen an der Tür vorgepackte Lebensmitteltüten zu überreichen. Das sollte dazu beitragen, die Kontakte und die Verweildauer so minimal wie möglich zu halten und so auch die Mitarbeiter einem möglichst geringen Risiko auszusetzen.
Inzwischen ist die Stellschraube weiter angedreht worden, bundesweit gilt ein Kontaktverbot: Maximal zwei Personen dürfen sich bei einem Mindestabstand von eineinhalb Metern zusammen im öffentlichen Raum aufhalten. Die nächste Herausforderung für die Tafel-Leitung und ihr Team. Jetzt, sagt Imke Eisenblätter, musste Stufe zwei des selbst entwickelten Notfallplans in Kraft treten: Die Tafel-Mitarbeiter konzentrieren sich auf das Annehmen von Lebensmittelspenden, das Sortieren und Abpacken. Dass diese Pakete dann zu finanziell schwachen Familien, zu Senioren, zu den Bewohnern von Flüchtlingsunterkünften gelangen, dafür mussten nun dringend Partner gewonnen werden. Angedacht ist eine Kooperation mit dem Christlichen Kinder- und Jugendwerk Arche und der Stadt Potsdam; die Gespräche laufen.
Tafeln auf der Suche nach Partnern
Einen solchen Schritt sind die Berliner Tafeln bereits gegangen – denn sie haben 42 von 45 „Laib und Seele"-Ausgabestellen schließen müssen (Stand 27. März), um Risiken für Mitarbeiter und Gäste zu minimieren. Aber auch, weil viele der Ehrenamtlichen jetzt nicht mehr eingesetzt werden können, zählt dochw ein Großteil zur Risikogruppe Ü60, bei der eine Corona-Erkrankung besonders schwer ausfallen könnte.
Trotzdem arbeiten die Tafeln in Berlin weiter – mittlerweile bekommen sie Unterstützung von Firmen oder Autovermietungen, die Fahrzeuge für den Lebensmitteltransport zur Verfügung stellen. Seit Kurzem ist auch das Technische Hilfswerk mit zwei Fahrzeugen und Teams dabei und hilft beim Einsammeln von Lebensmittelspenden.
Die nötige Hilfe – in diesem Fall zunächst Lebensmittel und Hygieneartikel – direkt zu den Menschen zu bringen, die auf sie angewiesen sind, das ist in Zeiten von Corona auch die selbst gestellte Aufgabe der Arche in Berlin. Sechs Stützpunkte sorgen normalerweise dafür, dass rund 1.000 Kinder ein warmes Mittagessen bekommen, bei Schulaufgaben betreut werden und ein offenes Ohr bei Problemen finden. Doch seit rund zwei Wochen sei alles anders, sagt Sprecher Wolfgang Büscher. Die Einrichtungen sind geschlossen, die Mitarbeiter liefern dringend Benötigtes – von Mehl über Hundefutter bis zu Tampons – direkt zu den Familien. Von denen leben viele von Transferleistungen und sind eigentlich dringend darauf angewiesen, dass die Kinder entweder in der Schule oder bei der Arche ein warmes Essen bekommen. Jetzt, da es wegfällt, herrscht bei vielen schon in der Monatsmitte Ebbe in der Haushaltskasse – dringender denn je wird also die Hilfe der Arche benötigt.
Und so fahren Erzieher, Sozialpädagogen und Ehrenamtler mit vorgepackten Tüten zu „ihren Familien". Sie halten über unterschiedlichste Kanäle wie Skype oder Whatsapp den Kontakt zu den Kindern, die sie sonst täglich in einer der Einrichtungen sehen. „Wir haben mittlerweile eine virtuelle Arche entwickelt", scherzt Pressesprecher Büscher. So wolle man versuchen, Ansprechpartner für alle Belange des Alltags und vor allem für mögliche Konflikte in der Familie zu bleiben. Ein Chat ist von 9 Uhr morgens bis 20 Uhr abends geöffnet, die Kinder haben die Telefonnummern „ihrer" Ansprechpartner aus den Einrichtungen. Sein Telefon klingle oft bis 23 Uhr, erzählte Arche-Gründer Bernd Siggelkow kürzlich in einem Radio-Interview.
Rat und Hilfe aus der virtuellen Arche
Fast alle Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung sind für Kinder und Jugendliche weggefallen, zahlreiche Spielplätze abgesperrt. Kein Wunder, sagt Wolfgang Büscher, dass vielen „zu Hause die Decke auf den Kopf" fällt. Fünf bis sechs Personen auf 70 Quadratmetern – da sei es nachvollziehbar, dass das Aggressionspotenzial steige. Auch hier hoffe man, mit Chats, Online-Spielideen und „Challenges", mit der telefonischen Erreichbarkeit der Arche-Mitarbeiter ein Ventil anbieten zu können, damit sich Aggression nicht in Gewalt entlädt. Die Sorge, dass länger andauernde Ausgangsbeschränkungen zu einem echten Problem werden können, sei sicher nicht unbegründet.
Ganz so nah dran an den familiären Konstellationen und Konfliktpotenzialen wie der Arche-Mitarbeiter ist Imke Eisenblätter von der Potsdamer Tafel nicht. Dennoch sorgt sie sich um all jene, die aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus nicht mehr zu einer der noch geöffneten Abgabestellen kommen. Auch sie hat die Familien im Blick, aber auch die Senioren, die Risikogruppe. Sie hofft hier auf Unterstützung durch die Awo, um Lebensmittel ins Haus liefern lassen zu können. Denn die Lager seien gut gefüllt, erzählt Eisenblätter, die Hilfsbereitschaft überwältigend. Nicht nur, dass sich ständig neue Freiwillige meldeten. Zu den 70 Supermärkten, die der Potsdamer Tafel regelmäßig Lebensmittel spenden, seien jetzt Hotels, Restaurants, Kantinen und Bundeswehrkasernen aus der Region gekommen. Fehlt eigentlich nur noch die Anerkennung durch die Politik – ganz konkret in Form einer finanziellen Förderung. Schließlich seien die Sachmittelkosten der Tafel allein durch den Kauf von Desinfektionsmitteln und Schutzmasken in den letzten Wochen ordentlich gestiegen.