Der Kampf gegen Corona hat in jedem Land ein anderes Gesicht. Wie er in Griechenland, Russland und Syrien ausgefochten wird, darüber berichten START-Stipendiaten aus Gesprächen mit Verwandten. Es sind subjektive Eindrücke, die nicht die gesamte Realität in den Heimatländern widerspiegeln, aber eindrucksvolle Schlaglichter darauf werfen.
Samar Aldurra kam vor rund vier Jahren mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland. Aktuell besucht die 17-Jährige die 11. Klasse. Der regelmäßige telefonische Kontakt zu ihren Verwandten in Damaskus verschafft einen Überblick über die Situation im Land:
„Viele Krankenhäuser wurden schon während des Kriegs zerstört. Viele Spezialisten sind geflohen. Deswegen war die ärztliche Versorgung schon vor der Corona-Krise nicht richtig gewährleistet. Jetzt, mit dem Fortschreiten der Pandemie, wurde die Situation in meiner Heimatstadt noch wesentlich schlimmer. Es fehlt an Ärzten, an Betten und generell an Krankenhausplätzen. Dazu kommt der Mangel an Desinfektionsmitteln und Schutzmasken für die Bevölkerung. Diese restlichen Posten, die es noch in vereinzelten Läden zu kaufen gibt, werden zu Wucherpreisen angeboten. Und dafür haben die Einwohner von Damaskus schlichtweg kein Geld, so wie übrigens auch für die Hamsterkäufe, weil sie auch nicht regulär zur Arbeit gehen können, wegen der von der Regierung verordneten Ausgangsbeschränkung. Zudem bricht auch die lebensnotwendige Versorgung zusammen: Der Strom wird beispielsweise täglich für mehrere Stunden abgeschaltet. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob die hohe Rechnung – vor allem bei den andauernden Kämpfen stiegen die Strompreise extrem an – tatsächlich bezahlt wurde. Strom bleibt trotzdem für mehrere Stunden aus. Gas und Wasser sind auch Mangelware geworden.
Strom fällt täglich für mehrere Stunden aus
Um diese lebensnotwendigen Ressourcen zu bekommen, sind die Menschen gezwungen, sich mehrere Stunden in gigantische Warteschlagen zu stellen. Und das erhöht natürlich das Ansteckungsrisiko, auch wenn es nach den offiziellen Zahlen nur einen Corona-Fall gibt. Es gibt aber auch Positives zu berichten. Die Gesellschaft rückt näher zusammen. Die Menschen sind wesentlich mehr bereit, einander zu helfen als beispielsweise noch vor der Krise. Vor allem innerhalb der Familie ist diese Bereitschaft sehr groß, sonst könnte man gar nicht überleben. Auch meine Eltern helfen unseren Verwandten und schicken ihnen ab und zu Geld, um sie damit auch ein Stück weit zu unterstützen. Denn im Gegensatz zu Europa, oder speziell zu Deutschland, gibt es in Syrien keine wirtschaftlichen Hilfspakete; die Menschen sind komplett auf sich alleine gestellt. Das macht mir Sorgen."
Iman Houro, 22 Jahre, steht kurz vor ihrem Abitur. Vor knapp vier Jahren ließ ihre Familie die syrische Heimatstadt Aleppo hinter sich und fand im Saarland eine neue Heimat. Die Verbindung zu ihrer Verwandtschaft bleibt natürlich weiterhin via Telefon und Messenger-Diensten bestehen:
„Vor allem Meldungen seitens der Regierung und der Opposition machen mich skeptisch. Es heißt, dass es keine neuen Infizierten mehr gibt. Die Corona-Pandemie wäre somit im Griff. Aber das kann ich mir kaum vorstellen. Vor allem in Hinblick auf die steigenden Zahlen in ganz Europa. Im Vergleich dazu gab es in Syrien, laut der aktuellen Regierungserklärung, nur einen Erkrankten. Zudem wurde diese Person scheinbar auch gleich ausfindig gemacht und von den anderen isoliert. Eine Geschichte, die auch von den Medien so weitergetragen wird, auch wenn sie sich für mich total unlogisch anhört.
Die Ausgangsbeschränkungen funktionieren übrigens auch nicht richtig. Dabei liegt es gar nicht an den Menschen, die zu Hause bleiben sollen. Von dieser Seite zeigen sich die Einwohner von Aleppo sehr solidarisch: Sie respektieren die Verordnung und gehen nur zum Einkaufen raus oder um ihren Nachbarn oder Verwandten zu helfen. Die Menschen, die für die Versorgung der Stadt wichtig sind, müssen dagegen weiterhin auf die Arbeit. Und genau hier zeigen sich auch die Schwachpunkte des Systems: Ich kenne beispielsweise eine Ärztin, die zu Hause bleiben muss. Dabei ist sie kerngesund und absolut fähig, ihrem Job nachzugehen. Sie hat diesen Wunsch auch schon mehrmals geäußert. Warum man sie gerade in dieser Krisenzeit zu Hause lässt, erschließt sich mir nicht. Sie könnte doch so vielen Menschen helfen.
Beschränkter Ausgang auch für Ärzte
Die Lebensmittelversorgung ist in Aleppo übrigens auch in einem desolaten Zustand. Allerdings liegt das an den lang anhaltenden Kämpfen im Land. Die Corona-Welle hat diese katastrophale Situation nur noch verstärkt. Neben dem Mangel an Langzeitlebensmitteln wie beispielsweise Mehl, was man kaum noch bekommt, gibt es auch einen immensen Preisanstieg. Brotpreise sind beispielsweise so in die Höhe geschossen, dass sich mittlerweile nur noch wenige Familien dieses Grundlebensmittel leisten können. Und das kann und sollte so nicht sein."
Artemiy Tishchenko ist 16 Jahre alt und besucht die 10. Klasse. Seine Heimatstadt Moskau verließ der Junge im frühen Kindesalter. Zu diesem Zeitpunkt war Artemiy erst ein Jahr alt. Kontakt zu seinen Verwandten hält der Wahl-Saarbrücker dennoch regelmäßig aufrecht. Sein Eindruck von der Situation in Russland:
„Im Moment gibt es in Russland nur wenige Fälle von Covid-19-Infizierten. Das sind allerdings nur die offiziellen Zahlen. Wie hoch die Dunkelziffer wirklich ist, kann natürlich keiner wissen. Vor allem, weil bislang nur wenige Menschen getestet worden sind. Das liegt zum Teil auch an der Größe des Landes: Russland ist das größte Land der Erde und erstreckt sich über zwei Kontinente. In einem solchen Fall ist es natürlich eine gigantische Herausforderung, die gesamte Bevölkerung zu testen. Dennoch finde ich, dass die Regierung samt dem Präsidenten Wladimir Putin gute Arbeit leisten. Zumindest kommt es mir so vor. Erst kürzlich kündigte Putin beispielsweise eine Reihe von wirtschaftlichen Hilfspaketen für das Land an. So möchte er dem Mittelstand helfen, in dieser schweren Zeit nicht unterzugehen, wie auch das Paket in Deutschland. Zudem sollen auch ältere Menschen und Familien finanzielle Unterstützung erhalten. Dafür hat er der Bevölkerung größere Geldsummen in Aussicht gestellt. Manche sind natürlich skeptisch, schließlich ist Putin ein umstrittener Politiker. Ich bin allerdings überzeugt, dass er sein Wort auch halten wird. Dafür ist die Lage viel zu ernst und die Hilfe zu wichtig.
Eine weitere wichtige Maßnahme war das kürzlich angekündigte sogenannte verlängerte Wochenende. Die meisten Menschen – die nicht die Versorgung des Landes sicherstellen müssen – bleiben nach dieser Anweisung des Präsidenten zu Hause und das eine ganze Woche lang. Damit möchte die Regierung in erster Linie die Zahl der Ansteckungen minimieren. Eine gute Idee, wie ich finde. Ob jetzt die Bevölkerung näher zusammenrückt, kann ich leider nicht sagen. Dafür habe ich zu wenig Informationen. Allerdings schließe ich eine solche Entwicklung auch nicht aus."
Theofanis Vlachomitros kam vor fast vier Jahren mit seiner Familie nach Deutschland. Jetzt besucht der 16-Jährige die 11. Klasse. Ein Teil seiner Familie ist in der Heimatstadt Trikala in Griechenland geblieben. Durch regelmäßigen Kontakt weiß Theofanis, wie es vor Ort aussieht.
„Die Situation in Griechenland ist ähnlich wie hier. Allerdings haben die Präventionsmaßnahmen meiner Meinung nach schneller gegriffen, als es in Deutschland der Fall war. Zumindest kommt es mir so vor. In meiner Heimatstadt Trikala gibt es beispielsweise ein spezielles digitales Anwendungssystem, um die Ausgangsbeschränkungen vor Ort besser regulieren zu können und damit auch die Risiken einer Infektion zu minimieren. Dieses System ist sehr simpel aufgebaut: Wenn man zum Beispiel Einkaufen gehen möchte, spazieren gehen oder raus mit dem Hund, schickt man einfach eine SMS an die vorgegebene Nummer. Dazu gibt man auch den Zeitraum an, den man in Anspruch nehmen möchte, um dieser Tätigkeit nachzugehen. Innerhalb nur weniger Minuten bekommt man auch die Antwort. Lässt es der Raum zu, erhält man eine Bestätigung. Oder eben nicht. Dann müssen die Menschen sich noch ein wenig gedulden. Dafür kann man Menschenmassen und Gedränge in Lebensmittelgeschäften vermeiden. Vor Hamsterkäufen schützt das System dagegen nicht. Soweit ich mitbekommen habe, wird auch in meiner Heimatstadt gerne und viel auf Vorrat gekauft. Die Produkte sind übrigens auch ähnlich: Pasta, Nudeln, Konserven, Toilettenpapier, also alles, was lange haltbar ist. Was die Zahl der Infizierten angeht, so glaube ich der Regierung. Aktuell sind es 700 Menschen. Wobei die Dunkelziffer – wie auch in anderen Ländern – vermutlich sehr weit darüber liegt. Schließlich kann nicht jeder getestet werden.
Meine größte Hoffnung ist, dass Griechenland, so wie auch Deutschland, nicht die Kontrolle über die Corona-Pandemie verliert. Das Schlimmste was uns passieren kann, wäre eine ähnliche Entwicklung wie wir sie gerade in Italien erleben müssen. Das wäre eine Katastrophe."
Wesam Swid, 17 Jahre besucht die 11. Klasse. Vor knapp drei Jahren kam Wesam mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland. Zur Heimatstadt Aleppo besteht regelmäßiger Kontakt, vor allem, weil viele Verwandte in der von Kämpfen gezeichneten Stadt geblieben sind.
„Syrien ist kein Sozialstaat. Wer nicht arbeiten geht, bekommt auch kein Geld. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob die Familie kleine Kinder hat oder die Betroffenen aufgrund einer Krankheit nicht arbeiten gehen können. Wer seinen Job verliert, verliert parallel auch seine Existenzgrundlage, und das ist für viele Familien sehr hart. Vor allem, weil die Stadt auch so gebeutelt wurde von den Kämpfen.
Zudem gibt es große Schwierigkeiten bei der Versorgung. Neben Stromausfällen wird auch das Wasser jeden Tag für mehrere Stunden abgestellt. Das betrifft zumindest die Menschen, die einen Wasseranschluss haben. Für viele ist die Situation noch härter.
Auch Lebensmittelversorgung ist in Aleppo ein sehr schwieriges Thema. Vor allem, weil es auch keine normierten Preise in den Geschäften gibt. Das heißt, jeder Ladenbesitzer kann je nach seinem Ermessen die Preise für seine Ware festlegen. Und jetzt schießen sie natürlich in die Höhe, vor allem bei Grundnahrungsmitteln. Und das darf meiner Meinung nach gar nicht sein. Leider ist es aber die Realität.
Auf der anderen Seite erlebt die Stadt einen ganz eigenen Schwung an Zusammenhalt und Solidarität. Menschen, die vorher eher weniger miteinander zu tun hatten, helfen sich plötzlich gegenseitig. Lebensmittel werden getauscht oder sogar verschenkt um beispielsweise den Nachbarn zu helfen, sich über Wasser zu halten. Und das ist wirklich etwas sehr Schönes.