Die wichtigste Frage hatte die Uefa überraschend schnell geklärt: Die Fußball-EM findet in diesem Sommer nicht statt. Nun soll sie im Sommer 2021 steigen. Doch viele Fragen sind dadurch erst entstanden.
Zugegeben, man musste lange suchen, um an der Winter-WM 2022 in Katar etwas Positives zu finden. Nun immerhin dies: Würde diese Fußball-WM eben nicht im Dezember, sondern wie sonst üblich im Juni/Juli 2021 ausgetragen, würden nun wohl die sechs größten Sportereignisse der Welt innerhalb von nur 13 Monaten stattfinden. Sonst schön entzerrt durch zwei Jahre Abstand zwischen einer Fußball-WM und Fußball-EM, sowie durch anderthalb oder zweieinhalb Jahre zwischen Sommer- und Winter-Olympiade und entsprechend den Paralympics, kommt nun durch die Verschiebung der Fußball-EM und der Olympischen Spiele von Tokio alles dicht auf dicht.
Doch der Abstand zwischen den beiden großen Fußball-Turnieren bleibt im Endeffekt fast gewahrt. Zwischen der EM 2021 und der WM 2022 liegen nun statt wie sonst zwei Jahren nun immerhin noch anderthalb.
Dennoch ist es ein großer Einschnitt, dass diese Europameisterschaft verschoben wird. Seit 1960 waren ja die geraden Jahre diejenigen eines großen Fußball-Turniers. Wer die Jahreszahlen der EMs in einigen Jahren runterbetet, wird ins Stocken kommen: 2016, 2021, 2024. Aber das sind erst mal nur Zahlenspielereien und ein Gewohnheitsbruch.
Im Endeffekt bedeutet diese Verschiebung wegen des Coronavirus gerade bei dieser EM einen riesigen Schritt: Denn sie sollte in zwölf Ländern stattfinden. Die Idee, die der bei vielen schon in Vergessenheit geratene Ex-Uefa-Präsident Michel Platini durchgesetzt hat, hatten viele schon immer als Schnapsidee empfunden. Doch was macht man nun? Laut Uefa steht nicht nur das Datum für die Neuauflage fest – das Turnier soll nun vom 11. Juni bis zum 11. Juli 2021 steigen – sondern auch, dass es weiterhin in allen zwölf geplanten Gastgeber-Städten ausgetragen werden soll: In München, Rom, Amsterdam, Kopenhagen, Bilbao, St. Petersburg, Bukarest, Budapest, Baku, Glasgow, Dublin und London. Ob das am Ende wirklich so kommt, bleibt abzuwarten. Auch, weil die Länder völlig unterschiedlich von der Corona-Krise betroffen sind. „Der Plan ist, die gleichen Veranstaltungsorte, die gleichen Städte, die gleichen Stadien zu haben", sagte Uefa-Präsident Aleksander Ceferin: „Wenn etwas kompliziert wird, dann können wir es auch mit elf, neun oder weniger Stadien machen. Aber der Plan ist, dass alles gleich bleibt." Doch all diese Fragen waren am Ende zweitrangig. Denn die Argumente waren so augenscheinlich, dass sie niemand missachten konnte. Wenn das soziale Leben in vielen Ländern Europas nahezu stillsteht und europäische Ligen auf unbestimmte Zeit pausieren und nur noch zusehen, wie sie irgendwie die Saison zu Ende gespielt bekommen, ist ein Sportfest in zwölf Ländern mit Fans aus mindestens 24 Nationen völlig illusorisch.
„Der Plan ist, dass alles gleich bleibt"
Es würde sämtliche Maßnahmen gegen die schnelle Ausbreitung des Virus ad absurdum führen. Und diese Macht und diese Ignoranz besitzt nicht einmal König Fußball.
„Wir wissen alle, dass dieser schreckliche Virus den Fußball, das ganze Leben in Europa nahezu unmöglich macht", sagte Ceferin: „Wir wussten, dass wir sämtliche Wettbewerbe aussetzen müssen." Auch, wenn das die Uefa „Hunderte Millionen Euro" koste. Diese Diskussion wird sicher spannend werden. Denn einen Teil des Geldes könnte der Kontinentalverband von den Teilnehmer-Verbänden zurückfordern wollen, weil er auch sicher ist, diesen einen Gefallen zur Durchsetzung ihrer Ligen gemacht zu haben. Doch auch jeder Einzelverband hat durch die Krise finanzielle Verluste zu verzeichnen.
Trotzdem soll bei der Sitzung am 17. März zumindest im Punkt der grundsätzlichen Absage für diesen Sommer beziehungsweise Verschiebung weitgehend Einigkeit geherrscht haben. Obwohl Vertreter aus sämtlichen Interessensgebieten des Sports berieten: Abgesandte aller 55 Uefa-Mitgliedsverbände, der Club-Vereinigung ECA, des Ligen-Interessenverbundes European Leagues und der Spielergewerkschaft Fifpro. Sogar der Weltverband Fifa musste da klein beigeben, der im kommenden Sommer eigentlich die Premiere der aufgeblähten Club-WM in China feiern wollte. Im Endeffekt herrschte Konsens: Die EM in diesem Sommer konnte nicht stattfanden. Alles andere ist nun nachrangig und wird zu lösen sein.
Aus der Bundesliga waren die Aussagen im Vorfeld schon sehr eindeutig gewesen. „Die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Sommer eine perfekte EM spielen, die ist vermutlich keine Zahl mehr vor dem Komma. Das ist jedem klar", hatte Christian Seifert, der Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga gesagt. Zumal neben dem unsicheren Gesundheits-Aspekt eben auch noch das Problem kam, dass die meisten europäischen Ligen ihre Saison zumindest nicht so zu Ende gespielt bekommen, dass eine normale EM-Vorbereitung hätte stattfinden können. „Eine Verschiebung der EM 2020 ist aus unserer Sicht zwingend geboten, um zumindest die Chance zu wahren, den Spielbetrieb der diversen Wettbewerbe ordnungsgemäß und fair zu Ende spielen zu können", hatte deshalb Leverkusen-Chef Fernando Carro, einziges deutsches Mitglied im Uefa Club Competition Committee (CCC), gesagt.
Viele Fragen sind natürlich durch die Verschiebung erst aufgetreten. Aus Sicht der Fans vor allem diese:
Sind meine bereits erworbenen EM-Tickets wertlos?
Die Tickets behalten grundsätzlich ihre Gültigkeit. Die Uefa stellte zudem auch klar, dass jeder, der im kommenden Jahr nicht wie in diesem zur EM reisen kann, den Ticketpreis rückerstattet bekommt. Damit kämen dann sogar vielleicht wieder neue Karten in den Verkauf, nachdem aktuell nur noch eine Verkaufsphase für Fans der Play-off-Teilnehmer geplant war.
Kann ich meine gebuchte EM-Reise stornieren?
Nun, für den, der ein Komplettpaket mit Flug, Übernachtungen und Eintrittskarten gebucht hat, dürfte das Stornorecht einer Pauschalreise zutreffen. Das heißt: Er kriegt den vollen Preis erstattet und hat bestenfalls das Problem, wie er das Ticket behalten kann. Wer auf eigene Faust Flüge und Hotels gebucht hat, für den gelten die normalen Stornierungsbedingungen. Das heißt, er könnte jede Menge Geld verlieren.
Und was bedeutet der neue Termin für die Chancen der deutschen Nationalmannschaft?
Bundestrainer Joachim Löw sagt: „Man kann nicht beantworten, ob es ein Nachteil oder Vorteil ist, dass wir die EM erst nächstes Jahr bestreiten." Tendenziell aus heutiger Sicht aber sicher eher ein Vorteil. Denn nach dem WM-Desaster 2018 mit dem erstmaligen Vorrunden-Aus in Russland hat das junge deutsche Team jetzt ein Jahr mehr Zeit, sich zu berappeln und sich in neuer Konstellation einzuspielen. Zudem dürften dann Niklas Süle, den Löw als neuen Abwehrchef auserkoren hat, und Leroy Sané, der als Fixpunkt in der Offensive gilt, dabei und fit sein. In diesem Sommer hätten sie wegen ihrer langwierigen Verletzungen wohl gefehlt.
Das könnte auch Löw selbst etwas Luft verschaffen, denn im Falle missglückter Länderspiele Ende März gegen Italien und Spanien – die nun auch ausgefallen sind – hätten die Diskussionen um Comebacks der von ihm aussortierten Mats Hummels und Thomas Müller nochmal richtig an Fahrt aufnehmen können. Umgekehrt gibt es nach dem zunächst sehr zögerlichen, dann aber doch recht rigorosen Umbruch kaum noch ältere Spieler im engeren Kader, denen durch das eine Jahr die Zeit wegläuft. Aus dem haben nur Torhüter Manuel Neuer (34) und der im Januar 30 gewordene Mittelfeld-Stratege Toni Kroos eine „3" vorne. Beide sollten durchaus noch ein weiteres Jahr auf höchstem Niveau spielen können.
Allgemein ist auch für Löw klar: Seine Spieler hätten die EM in diesem Sommer grundsätzlich „wahnsinnig gerne gespielt". Die Absage sei aber „völlig richtig und alternativlos". Denn: „Die Corona-Krise hat die Welt fest im Griff." Die Welt, so Löw, habe „einen kollektiven Burn-out erlebt". Und dagegen ist der Fußball dann doch ziemlich banal.