Das lukrative Ostergeschäft entfällt in diesem Jahr: Wegen der Corona-Krise haben Restaurants und Cafés geschlossen, viele Besitzer stehen mit dem Rücken zur Wand. Hier erzählt ein Berliner Gastronom, wie er die schwierige Situation erlebt.
Die Gästeliste könnte kaum prominenter sein. Ob Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder, Guido Westerwelle oder Angela Merkel, ob Politiker oder Leute aus der Filmbranche – bei Fabrizio Fiorentino kehrten sie alle ein. „Alle noch lebenden Bundeskanzler haben schon einmal bei uns gegessen", erzählt der Wirt des „San Giorgio" stolz. Westerwelle und der frühere Kanzleramtschef Ronald Pofalla waren sogar Stammgäste in dem italienischen Ristorante im Berliner Bezirk Charlottenburg, ebenso wie viele weniger prominente Berliner aus der Nachbarschaft.
Doch mittlerweile kommt niemand mehr ins „San Giorgio", seit der Berliner Senat wegen des Coronavirus die Schließung sämtlicher Gastronomiebetriebe angeordnet hat. Es war die letzte Stufe einer Entwicklung, die sich durch immer strengere Auflagen an die Restaurantbesitzer bereits angedeutet hatte. Anfangs durften sie noch so öffnen wie immer, solange sie dabei auf genügend Abstand zwischen den einzelnen Tischen achteten, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Zwischenzeitlich durften die Lokale dann nur noch zwischen 6 und 18 Uhr öffnen, ehe Restaurants und Cafés schließlich komplett geschlossen wurden. Sie dürfen aber weiterhin Speisen und Getränke zur Lieferung oder Abholung anbieten.
Auch Fabrizio Fiorentino nutzt diese Möglichkeit, um zumindest ein bisschen was noch zu verdienen. Höchstpersönlich beliefert er seine Kunden und fährt ihnen das Essen bis vor die Haustür oder stellt es an der Ladentür zur Abholung bereit. „Trotz Ausgeheinschränkungen muss niemand auf gutes Essen und Wein verzichten", sagt er.
Die Speisekarte ist sogar weitestgehend identisch mit dem Angebot vor der Corona-Krise; alternativ steht ein kleiner Auszug der Karte beim Online-Lieferdienst Lieferando zur Verfügung. In diesem Fall erfolgt die Lieferung durch einen Fahrer dieses Unternehmens.
Aber trotzdem: Der Umsatz ist deutlich gesunken. „Wir liegen momentan bei 20 Prozent dessen, was wir normalerweise erreichen. Das ist aktuell sehr übersichtlich", sagt Fiorentino.
So wie ihm geht es derzeit vielen Berliner Gastronomen. Mehr als 150 von ihnen haben sich kürzlich in einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) gewendet, darunter auch mehrere mit Michelin-Sternen ausgezeichnete Spitzenrestaurants. In dem Schreiben heißt es: „Unsere Existenz ist dramatisch gefährdet, denn ohne Buchungen und Gäste schauen wir in leere Kassen und Konten, sehen die stillen Räume unserer geschlossenen Betriebe und wissen schon jetzt nicht, wie wir und unsere Mitarbeiter den Monatswechsel überstehen werden, geschweige denn, wie wir die anstehenden Miet- und sonstigen Zahlungen des neuen Monats leisten sollen." Man stehe jetzt mit dem Rücken zur Wand. „Erreichen uns nicht unkompliziert und schnellstmöglich Hilfsgelder, werden viele unserer Kollegen den April nicht durchhalten können."
Stille Räume, leere Kassen, laufende Kosten
Fabrizio Fiorentino droht nach eigenen Angaben zwar kein schneller Kollaps. Doch auch er hat die Kosten schon so weit wie möglich heruntergefahren. Beim Finanzamt hat er eine Stundung der Steuer beantragt, für seine Mitarbeiter Kurzarbeit angemeldet. Dafür muss er allerdings zunächst in Vorleistung gehen und die Gehälter regulär bezahlen, die dann erst im Nachhinein von der Agentur für Arbeit verrechnet werden. Anstatt zwei Köchen werkelt in der Küche des „San Giorgio" momentan nur noch eine Kraft. „Die größten Kosten sind die Löhne und der Einkauf", sagt Fiorentino. Glücklicherweise habe er die Bestellungen bereits reduziert, als die Krise erst begann, sodass von den Beständen nun nichts verdirbt. Lieber kaufe er für die Bestellung eines Kunden extra ein. Das Problem dabei: „So wenig, wie wir jetzt teilweise bräuchten, kann man gar nicht kaufen. Die Einheiten, die für Unternehmer angeboten werden, sind ja ganz andere Größenordnungen als im Supermarkt. Dort kann ich auch einmal nur 150 Gramm Schinken kaufen. Das geht als Gastronom eher nicht."
Pizza und Pasta werden in dem kleinen Ristorante ebenso kredenzt wie Kalbsleber oder Dorade vom Grill. 1989 hatte Fabrizio Fiorentinos Vater Domenico das „San Giorgio" eröffnet. Die Familie stammt ursprünglich aus der Nähe von Bari, der Hauptstadt von Apulien am Absatz des italienischen „Stiefels". Seit 2015 führt Fiorentino junior die Geschäfte, der den Laden als Erstes renovierte und ihm ein moderneres Erscheinungsbild verpasste. Die Kosten für die damalige Renovierung sind noch immer nicht ganz abbezahlt und stellen jetzt, wo das Geschäft wegen Corona nicht läuft, eine zusätzliche Belastung dar. Trotzdem bleibt der Gastronom gelassen. „Ich bin noch relativ ruhig, weil ich denke, dass es finanzielle Hilfen in einer Form geben wird, die nicht zurückzuzahlen sind", sagt er.
Tatsächlich haben sowohl der Berliner Senat als auch die Bundesregierung inzwischen mehrere Soforthilfe-Pakete beschlossen, um auch den kleineren Unternehmen etwa aus der Gastronomie unter die Arme zu greifen. Gerade in Berlin ist die Branche ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. 2019 gab es knapp 10.000 Restaurants in der Stadt; rechnet man Imbisse, Kneipen und sonstiges Gastgewerbe dazu, kommt man laut Industrie- und Handelskammer auf rund 20.000 Betriebe in der Stadt mit über 100.000 Beschäftigten.
Ihnen soll kurzfristig geholfen werden, unter anderem auch mit Steuerstundungen. „Die Frage ist, ob das nicht bei manchen einen Riesenberg mit Verpflichtungen hinterlässt. Denn auch wenn diese Dinge erst einmal aufgeschoben sind, müssen sie irgendwann ja trotzdem bezahlt werden. Da baut sich eine Menge an finanziellen Verbindlichkeiten auf", gibt er zu bedenken. Viele Gastronomen verfügen nur über geringe Rücklagen, auf die sie in schlechten Zeiten zurückgreifen können. Auch weil viele von ihnen zwar gute Köche sind, es aber oft an den betriebswirtschaftlichen Grundlagen fehlt. „Im Normalbetrieb kommen sie einigermaßen über die Runden, aber in einer solchen Situation wie jetzt stoßen sie schnell an ihre Grenzen", sagt Fiorentino.
Tatsächlich dürfte die Corona-Krise zu einer Marktbereinigung führen. Schon jetzt hat es sogar einige große Gastro-Unternehmen erwischt: Vapiano –
das allerdings schon vorher in Schwierigkeiten steckte – hat ebenso Insolvenz angemeldet wie die Steakhauskette Maredo. Andere könnte es spätestens dann erwischen, wenn das fest einkalkulierte, lukrative Ostergeschäft wegbricht.
Hoffnung auf Normalisierung ab Mai
Auch im „San Giorgio" ist rund um Ostern normalerweise viel los. Das fällt in diesem Jahr aus, doch Besitzer Fabrizio Fiorentino bleibt dennoch optimistisch. Er ist überzeugt: „Die nächsten zwei Monate sind zu schaffen." Er spüre derzeit eine große Solidarität und habe schon zahlreiche E-Mails bekommen, in denen ihm die Absender in diesen schwierigen Zeiten alles Gute wünschten. „Für die Betriebe, die die Krise überstehen, kann sich das Ganze am Ende positiv auswirken, weil sie daraus gestärkt hervorgehen", meint er. Aber was, wenn der Shutdown länger anhält als bis April? Was, wenn die Einschränkungen des öffentlichen Lebens bis in den Herbst andauern und Restaurants und Cafés auch weiterhin nicht öffnen dürfen? „Eine gewisse Reserve ist vorhanden", sagt Fiorentino. „Aber irgendwann stellt sich die Frage, ob man wirklich sein gesamtes privates Vermögen verspielen will. Wenn die Situation bis Herbst anhält, ist das ein Fass ohne Boden", so der Gastronom. Seine Hoffnung ist aber weiterhin, dass sich das Leben in Deutschland ab Mai wieder normalisiert. Auch wenn klar ist, dass die Menschen das Geld auch in den Monaten danach nicht leichtfertig ausgeben werden, weil sie selbst von der Krise finanziell betroffen sind. Für den Zeitraum Ende April, Anfang Mai hat Fabrizio Fiorentino trotzdem schon die ersten Reservierungen notiert. „Aber das ist momentan wie bei den Lottozahlen", sagt er: „ohne Gewähr."