In der Neuköllner „Fischtheke" liegt eine Auswahl von Mittelmeer-Fisch und Meeresfrüchten auf Eis. Derzeit wird sie vor allem zum häuslichen Kochen über die Theke gereicht. Aber auch der Grill ist weiterhin im Einsatz, denn die Gerichte gibt’s ebenfalls als Take-away oder per Lieferdienst nach Hause.
Große Truhen mit geschreddertem Eis, darauf und darin ein Zackenbarsch, Lachs- und Thunfischfilets. Netzweise Muscheln – Schwert- und Venusmuscheln, Meermandeln. Ganze Hummer, Wildgarnelen und Kaisergranate sind üblicherweise in üppiger Auswahl in der Auslage der „Fischtheke" zu finden. Ebenso wie Schalen voll mit ausgelösten Jakobsmuscheln, Garnelen und Salicornes-„Meeresspargel". Wer den Laden in der Neuköllner Flughafenstraße betritt, ist verblüfft: Das Angebot an mediterranen Fischen und Meeresgetier steht dem berühmterer Händler in der Stadt in Frische und Auswahl in nichts nach. Normalerweise finden sich die Mittag- und Abendesser im Restaurantteil hinten für frisch gegrillten Fisch, Baguettes, Pasta und Suppen ein.
Das ist im Moment, während des Shutdowns aufgrund der Corona-Krise, anders. Dennoch ist die „Fischtheke" geöffnet. „Der Außer-Haus-Verkauf hat deutlich zugenommen. Die Kunden kochen natürlich sehr viel mehr zu Hause", sagt Inhaber Aziz Al Kabir. Zusätzlich zu den breiten Kühltruhen, die sonst schon für genügend Abstand sorgen, hat er Markierungen angebracht, hinter denen die Kunden noch einmal 1,50 Meter entfernt warten. Die Fisch-Branche ist schon allein wegen der raschen Verderblichkeit auf große Hygiene eingestellt. So waren die zusätzlichen Verschärfungen zum Abstandhalten und möglichst kontaktlosen Einkauf rasch umsetzbar.
Und ja, natürlich gibt es im Ladengeschäft derzeit ein ausgedünntes Angebot. Aber der Laden ist auf, muss – noch – nicht komplett schließen. Allerdings: „Die Fischer in Frankreich fahren nicht mehr hinaus", erklärt Aziz Al Kabir. „Das wäre wirtschaftlich nicht haltbar." Die Nachfrage in der Gastronomie ist eingebrochen. Doch Fische aus Wildfang sowie Meeresgetier aus dem Mittelmeer machen bei Al Kabir einen Großteil des Angebots aus. Es ist derzeit komprimiert, aber nicht unattraktiv: „Ich habe gerade wieder Gillardeau- und Tsarskaya-Austern bestellt", sagt Al Kabir.
Versendet sich die „Fischtheke" sonst im Gewimmel von Häusern und Fronten mit Moschee, Shishabars, Trödelläden und Hipster-Kneipen auf der mittleren Flughafenstraße, ist sie jetzt umso mehr eine geschätzte kulinarische Anlaufstelle für Fisch-Liebhaber. Ist der hintere Raum, so wie bei unserem Besuch vor der Schließung der Restaurants, in Betrieb, schätzen viele Gäste den Fisch direkt vom spanischen Plancha-Grill auf dem Teller. Mittags ist ordentlich Betrieb. „Bitte nicht über diesen Laden schreiben", sagt einer der drei jüngeren Gäste am Nachbartisch. „Wir wollen weiter hierhin kommen." Thunfisch-, Lachs- oder Schwertfischsteak essen – und das gern zum zivilen Preis. Ein sehr ordentlich dimensioniertes Filet mit Salat und Reis wird einheitlich für 12,90 Euro angeboten. Wir verstehen den Ausspruch unserer Nachbarn als Wunsch, bitte nicht stylischer und teurer zu werden. Das ist nun vorerst ohnehin nicht absehbar. Aber: Fisch und Meeresfrüchte vom Grill werden weiterhin zum Abholen verkauft. Lieferando-Boten bringen die zubereiteten Gerichte ebenfalls nach Hause.
Gegrillte Sardellen sind in Berlin fast schon eine Rarität
Die Liebe zum Fisch fordert vom Besitzer in diesen schwierigen Zeiten viel Aufmerksamkeit und Geduld. „Ich wollte nie etwas anderes machen als Fisch", sagt Aziz Al Kabir. In der Familie in der nordmarokkanischen Küstenstadt Nador, im Großmarkt Rungis in Paris und bei seiner Arbeit bei Fisch- und Feinkost-Händlern in Berlin spielte Fisch stets eine große Rolle. „Bei Familienfesten liegt dann schon mal ein ganzer Adlerfisch auf der Platte", erzählt er. „Meine Großonkel und Onkel haben immer in Rungis gearbeitet, und ich habe sie dort schon als Kind besucht." Das prägt.
Wir haben uns bei unserem Besuch für eine Fischplatte mit allem, was die mediterranen Gewässer zu bieten haben, entschieden. Al Kabir hat eine Auswahl zusammengestellt: Venus-, Schwert- und Miesmuscheln, Calamaretti, Thunfisch- und Schwertfischfilet. Bei 300 Grad gegrillt. Und endlich einmal gibt’s gegrillte Sardellen in Berlin! Ein Happs, und schon ist eine Mini-Verwandte der Sardine verspeist. Sie schmecken pur schon sehr gut. Aber zu ihnen und zum Lachs mögen der Fotograf und ich insbesondere die Salsa verde sehr gern. Petersilie, Olivenöl und Knoblauch satt lassen grüßen. Mein Liebling ist das Schwertfischfilet mit seinem milden, leicht süßen Geschmack.
Der Fotograf hat mir außerdem liebevoll das Fleisch vom Kaisergranat und von der roten Wildgarnele ausgepackt. Ich bekomme eine Sperre beim Anfassen der ganzen Tiere, schätze ihr mürbes, sanftes Fleisch dennoch sehr. Mayonnaise, Ketchup und Cocktailsauce sowie eine Remoulade in ihren Schälchen können den begleitenden Pommes frites vorbehalten bleiben. Fisch und Meeresfrüchte wirken bereits für sich überzeugend.
Wir haben vielleicht ein gutes Kilo Fisch auf dem Teller. Damit lägen wir bei etwa 35 Euro für zwei Personen und sind sehr, sehr gut bedient. „Der Fisch-Mix für 3,50 Euro ist die beliebteste Variante", sagt Al Kabir. Es gibt auch Platten mit einem saisonalen Mix für 16,90 Euro für eine und 26,90 Euro für zwei Personen. Diskussionen über unterschiedliche Geschmäcker können mit dem „Fisch-Mix" und der individuellen Auswahl einfach abgekürzt werden.
Ist der Gastraum geöffnet, lässt es sich vor der maurischen Fliesenwand im Alhambra-Look an den acht Tischen gut sitzen. Nur nicht zu lange! Denn die Kühlung läuft auf Hochtouren, das Eis in den Truhen strahlt Kälte ab. Die Gäste kommen, essen und verlassen das Lokal wieder. „Wir wollten es einfach halten und à la plancha, so wie bei uns in Marokko, machen", sagt Al Kabir. Dorsch, Scholle und Hering wird man vergeblich suchen. „Es geht uns wirklich ums Mediterrane. Wir machen deshalb keine Fischbrötchen." Stattdessen gibt’s französische Baguettes, die mit Rucola, Tomaten und hausgemachter Knoblauch-Olivenöl-Sauce belegt sind und in die – für 4,90 bis 7,90 Euro – Sardellen, Calamari fritti oder Filets von Tilapia, Dorade, Thunfisch oder Garnelen geklemmt werden.
Die Fische stammen aus zertifiziertem Fang, das ist Al Kabir wichtig: „Wir beziehen vieles über das ‚Frischeparadies‘. Dort stellt man sicher, dass der Fisch zertifiziert ist." Das hauseigene „QSFP"-Siegel des Großhändlers gewährleistet, dass es sich um Tagesfänge aus traditioneller, regionaler Küstenfischerei handelt. Manchem Fisch, wie einem ganzen Steinbutt oder einem orange-weiß getupften Lippfisch aus der Bretagne, ist es als gut sichtbarer „Knopf im Ohr" angetackert.
Wer Lust auf Fisch in flüssiger Form hat, sollte eine Terrine Fischsuppe bestellen. Im tomatisierten Sud hinterlassen diverse Filetstückchen ihre unterschiedlichen Geschmackseindrücke. Ein Scheibchen Brot dazu, schon ist ein kleines, angenehmes Mahl für 5,90 Euro fertig.
Der Einkauf und die Gerichte bleiben in der „Fischtheke" ein bezahlbares Vergnügen für jedermann. „Es ist uns nicht wichtig, möglichst viel Gewinn zu machen", sagt Al Kabir. „Wir wollen was einfach richtig Gutes machen, das viele mögen. Fisch ist schließlich zum Genießen und nicht zum Sattwerden da." Diese Haltung und Zuversicht wird Al Kabir in den nächsten Wochen und Monaten brauchen. Plus treue Gäste, die am besten noch häufiger als sonst Jakobsmuscheln, Schwertfisch und Co frisch kaufen. Und sich ihren gegrillten Fisch idealerweise darüber hinaus noch oft nach Hause bestellen wollen.