Auch das Berliner Tierheim wird in der aktuellen Krise vor schwierige Herausforderungen gestellt. Vor allem das Wegbrechen eines Teils der Spenden macht den Tierschützern zu schaffen.
Wie ein großes, schnurrendes, gurrendes und bellendes Uhrwerk liegt das Berliner Tierheim im nordöstlich gelegenen Stadtteil Falkenberg. Mit einer Fläche von 16 Hektar ist es nicht nur das größte und am modernsten ausgestattete Tierheim Europas, sondern auch einer der ältesten regionalen Tierschutzvereine Deutschlands (TVB). Ein perfekt funktionierendes Räderwerk, das von über 180 Mitarbeitern und an die 800 ehrenamtlichen Helfern am Laufen gehalten wird. In der Corona-Krise wurde der gut funktionierende Apparat von jetzt auf gleich mit völlig neuen Herausforderungen konfrontiert.
An die 1.300 Tiere, die viel Glück im Unglück hatten, leben zurzeit in den parzellenartigen, großflächigen Gehegen. Bereits seit fast 20 Jahren verbringen die Findlinge hier eine wohl behütete Übergangszeit, bis sie ein neues Zuhause finden. Seit Mitte März ist das Tierheim für Besucher geschlossen. Wo externe Tierfreunde sonst achtsam an den verglasten „Tierwohnzimmern" vorbei schlendern dürfen, sind Tiere und Betreuer nun quasi unter sich. In kürzester Zeit mussten Lösungen gefunden werden, um eine Versorgung zu jedem Zeitpunkt und mit einer gesunden Belegschaft gewährleisten zu können. „Es galt schnell und wohl überlegt zu handeln. Um Tier und Mensch zu schützen haben wir sehr früh reagiert. Neben streng durchgeführten Hygienemaßnahmen haben wir schweren Herzens umgehend alle Veranstaltungen abgesagt", erklärt Annette Rost, Leiterin Kommunikation & Marketing. Neben einem Trödelmarkt, Hundeseminaren, Vorträgen, Schulungen für ehrenamtliche Unterstützer und pädagogischen Kinder-Workshops wurde auch das mit dem Deutschen Tierschutzbund organisierte Tierschutz-Festival abgesagt. Das hätte im Mai stattfinden sollen – 10.000 Besucher wurden erwartet. „Statt mit diesen öffentlichkeitswirksamen Aktionen Spenden einzusammeln, werden vermutlich bald mit weniger Geld noch mehr Tiere als sonst zu versorgen sein", ergänzt Rost. Die Arbeit im Tierheim sei nicht nur emotional fordernd, sondern auch mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden. Und die finanziere sich fast ausschließlich durch Spenden, Nachlässe und Mitgliedsbeiträge. Rund 15.000 Mitglieder und über 10.000 Spender unterstützen im Schnitt die „Stadt der Tiere". Auch Patenschaften für einzelne Tiere, Sach- und Futterspenden sind gängige, stützende Pfeiler. Letztere können logistisch nicht mehr oder nur erschwert stattfinden (Bitte zu Hause bleiben!). Der beste Weg sei zurzeit eine direkte Spendenüberweisung und wird dringend erbeten.
Veranstaltungen abgesagt
Zum jetzigen Zeitpunkt sei zwar noch kein auffälliger Anstieg abgegebener Tiere zu verzeichnen, aber auch hier gelte es vorzusorgen. Engpässe stehen bevor, falls die amtliche Tiersammelstelle im Tierheim innerhalb kurzer Zeit viele Tiere von alleinstehenden Corona-Patienten aufnehmen müsse. Hundebesitzer sollten rechtzeitig für den eigenen Quarantänefall vorsorgen und Nachbarn, Verwandte oder Freunde für den Fall der Fälle um Hilfe bitten und die Versorgung von Haustieren im Quarantänefall privat organisieren. Auch Tierpensionen bieten adäquate Unterbringungsmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass bald wie jedes Jahr Hunderte von Maikatzenkindern im Tierheim Berlin eintreffen werden. Neben diesen möglichen vermehrten Neuaufnahmen könnte es schwieriger werden, die kleinen Seelchen in gute Hände zu vermitteln. Ein Tier fest aufzunehmen, sei trotz Corona nach wie vor regulär möglich. Auf der Website finden sich Fotos der Tiere mit ebenso liebevollen wie detaillierten Beschreibungen. Telefonisch kann der Tierpfleger im intensiven Vorgespräch prüfen, ob alle Voraussetzungen gegeben sind. Vereinzelte Vor-Ort-Termine sind möglich, virtuell sind alle Türen offen und Ansprechpartner zum Lieblingstier sind erreichbar. Von den 180 Festangestellten sind bis dato noch alle gesund. Tierpfleger und Tierpflegerinnen arbeiten in kleinen, autarken Grüppchen, die untereinander keinen direkten Kontakt haben. Für zwölf Mitarbeiter der Verwaltung im Homeoffice wurden gebrauchte Laptops gekauft. Noch kommen treue Gassi-Geher und holen mit gebührendem Sicherheitsabstand ihre Zöglinge ab, um eine enge Runde um den Gebäudeblock zu drehen.
Das Tierheim möchte auch noch mal eindringlich darüber informieren, dass es keinerlei Hinweise dafür gibt, dass Haustiere das aktuell kursierende Coronavirus Sars-CoV-2 übertragen oder selbst daran erkranken können. „Leider hält sich dieses Gerücht weiterhin und stellt damit auch eine Belastung für die Tierheime dar, wenn besorgte Menschen in Erwägung ziehen, ihre Tiere vorsorglich abzugeben. Dafür gibt es aktuell keinen Grund", betont Annette Rost und ergänzt, dass man natürlich auch bei Tieren alle Hygieneregeln einhalten sollte – beispielsweise nicht in das Fell eines Freigänger-Tieres niesen möge. Um den kursierenden Fake News entgegenzuwirken solle man sich ausschließlich über seriöse Adressen gängiger Wissenschaftsportale informieren. Zu wünschen bleibt, dass alle Tierfreunde gesund bleiben und trotz der sorgenvollen Zeit auch das Wohl der Tiere und diejenigen, die sich für sie einsetzen, nicht vergessen.
Kinder lesen Katzen vor
Und dann schwärmt Annette Rost von den vielen Aktionen für Kinder- und Jugendliche. Für die zweimal wöchentlich stattfindende Aktion „Kinder lesen Katzen vor" hat man bereits eine digitale Lösung gefunden. Kinder schreiben einen Aufsatz und lesen diesen dann vor, sie filmen ihre Leseübungen oder nehmen den Ton auf und hoffen, ihre Lieblingskatze ebenso zu berühren wie mit ihrer physischen Präsenz – ein Experiment.
Passend zu Ostern warten im Tierheim gerade 25 Zwergkaninchen auf ein neues Zuhause. Man warne aber eindringlich davor, Kleintiere mit Spielzeug zu verwechseln. Jedes Kind müsse sanft bei der Hand und in die Verantwortung genommen werden. Aber vielleicht bergen da die Corona-Zeiten etwas Positives: Wenn Eltern mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, kann die Entscheidung pädagogisch noch besser vorbereitet werden. Gerade in dieser Zeit des In-sich-Gehens gilt es durchaus, den Wunsch nach Lebensbegleitung durch ein Tier zu überdenken. Gerade in angespannten Zeiten sind sie wahre Glücksgefühl-Verströmer und das stärkt bekanntlich nachhaltig das Immunsystem.