James Taylor (72) gehört zu Amerikas einflussreichsten Sängern und Songschreibern. Er hat bis heute über 100 Millionen Tonträger verkauft. 2010 wurde der fünffache Grammy-Gewinner in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. Im Interview spricht er über das Coveralbum „American Standard" – darin geht es auch um die aktuelle Lage in den Vereinigten Staaten.
Mister Taylor, Sie haben 14 Songs aus dem sogenannten Great American Songbook aufgenommen. Was reizte Sie daran?
Mein Album ist anders als die üblichen Platten von Künstlern, die das amerikanische Standardrepertoire interpretieren. Ich singe die Songs, mit denen ich aufgewachsen bin, in meinem ureigenen Stil. Ich habe schon sehr früh gelernt, sie auf der Gitarre zu spielen. Als Teenager habe ich mit „Almost Being In Love", „My Blue Heaven" oder „Moon River" herumexperimentiert; mit der Zeit sind daraus neue Arrangements für all diese Klassiker entstanden. Das wollte ich jetzt einmal auf einem Album dokumentieren. Bucky Pizzarelli, der Vater meines guten Freundes John Pizzarelli, hat auf vielen der Originale mitgespielt. Er ist ein legendärer Jazz-Gitarrist und hat seinem Sohn alles beigebracht, was er weiß. Deshalb habe ich John meine Arrangements anvertraut und dann haben wir all diese Songs in zwei Wochen aufgenommen. Anschließend habe ich versucht, sie so gut wie möglich zu singen und dem einen oder anderen Gitarrenarrangement noch etwas hinzuzufügen. Bis auf eine winzige Ausnahme ist auf der Platte kein Piano zu hören.
„You’ve Got To Be Carefully Taught" ist ein antirassistischer Song aus Richard Rodgers und Oscar Hammersteins II Musical „South Pacific" von 1949. Was hat uns dieser Song heute noch zu sagen?
Der Song behandelt das Thema Intoleranz gegenüber anderen Rassen. Das war schon immer ein großes Problem auf diesem Planeten, seit es Menschen gibt. Der Protagonist in dem Musical ist auf eine polynesische Insel ausgewandert. Er hat sich dort in eine Einheimische verliebt. Das hat dazu geführt, dass er aus der Gesellschaft ausgestoßen wurde. Er singt den Song „You’ve Got To Be Carefully Taught". Kinder hassen keine anderen Menschen, weil sie anders aussehen. Erst von ihren Eltern oder Verwandten wird ihnen beigebracht, wie und wen man hassen soll. Es ist ein sehr bitterer Song darüber, wie unnatürlich Rassenhass ist.
Haben Sie diese zum Teil über 90 Jahre alten Songs ausgewählt, weil sie noch immer aktuell sind?
Ja, zum Teil. Aber auch, weil ich diese Songs wie gesagt schon als Kind gespielt habe. Ich habe sie in der Plattensammlung meiner Eltern gefunden. Und jetzt habe ich sie erstmals selbst aufgenommen.
Wie fühlt es sich für Sie als Weißen an, den Song „Ol’ Man River" aus dem Jahr 1927 zu singen, der aus dem Leben von Afroamerikanern erzählt?
Dieser Song von Oscar Hammerstein II und Jerome David Kern stammt aus dem Musical „Showboat". Das Original stammt von dem berühmten Sänger und Schauspieler Paul Robeson. Er hat sich sehr früh für die Rechte afroamerikanischer Bürgerinnen und Bürger eingesetzt. Leider wurde er während der McCarthy-Ära in den USA verfolgt und ging deshalb nach Europa. „Ol’ Man River" ist ein Song aus der Perspektive eines farbigen Sklaven, der am Mississippi arbeitet. Eigentlich ist das gar kein Song für einen weißen Jungen. Aber ich habe ihn schon immer geliebt und gesungen. Ich bitte meine Hörer um Vergebung für die Ungehörigkeit, mir diesen Song zu eigen gemacht zu haben.
Erleben wir heute denselben Rassismus wie in den 1960er-Jahren?
Nun, der „Civil Rights Act" von 1964 war ein Meilenstein in der Geschichte Amerikas und der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, weil er die rechtliche Gleichstellung der farbigen Bevölkerung markiert. Er zeigte, wie schlecht die Situation in bestimmten Teilen unseres Landes war. Der „Civil Rights Act" war ein wirklich wichtiges Gesetz, das von Leuten wie Martin Luther King und Malcolm X mit auf den Weg gebracht wurde. Er hat die Kultur und das Denken der Amerikaner gewaltig verändert und wirkt bis zum heutigen Tag nach. Aber Rassismus speziell zwischen Afroamerikanern und Euroamerikanern ist in meinem Land nach wie vor ein großes Problem, das wir hoffentlich eines Tages gelöst haben werden.
Wurde Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt, weil er Rassist ist?
Zum Teil ja. Ich vermute, seine Wähler müssen ziemlich wütend gewesen sein. Wahrscheinlich war ihnen nicht bewusst, was dieser Präsident für den Rest der Welt bedeutet. Warum so viele Amerikaner glauben, dass Trump ein geeigneter Präsident ist, ist mir schleierhaft. Es ist wichtig, zu erwähnen, dass Hilary Clinton drei Millionen mehr Stimmen als er bekam. Meine Frau und ich haben ihre Kampagne unterstützt und bei dutzenden Veranstaltungen Spenden gesammelt. Wir standen fest hinter ihr. Für mich persönlich waren die letzten drei Jahre mit diesem Mann furchtbar. In einer Position, die unfassbar viel Verantwortung bedeutet, stolpert er wie ein Amateur herum. Ich kann immer noch nicht fassen, wie es soweit kommen konnte, dass eine unfähige, korrupte und narzisstische Person, die von Staatsdienst nicht die Bohne versteht, ins Weiße Haus gelangen konnte. Dabei zuzuschauen, wie Trump versucht, alles zu demontieren, was Barack Obama aufgebaut hat, ist mehr als erschütternd. Es ist eine grausame Zeit für Liberale in Amerika.
Befürchten Sie, dass Trump im November wiedergewählt wird?
Die Erfahrung hat gezeigt, dass er einmal gewählt wurde. So kann es auch noch einmal passieren. Natürlich mache ich mir Sorgen. Glauben Sie mir, wenn er im November wiedergewählt werden sollte – dann ohne eine Chance auf eine dritte Amtszeit –, wird es für uns noch schlimmer werden. Es sei denn, die Demokraten gewinnen bei der nächsten Senatswahl die Mehrheit. Dann können wir ihn vielleicht bändigen. Aber das wird schwierig. Die andere Geschichte, über die wir einfach zu wenig wissen, ist Trumps Beziehung zu Wladimir Putin. Bekannt ist, dass sie auf einer persönlichen Ebene miteinander können, aber wir haben keine Ahnung, worüber sie sprechen beziehungsweise gesprochen haben. Das ist nämlich geheim. Dass das toleriert wird, ist einfach unglaublich. In Deutschland würde sowas nicht passieren. Die Bevölkerung Europas ist viel informierter über das, was ihre eigenen Regierungen in Sachen Weltpolitik so tun. Ein Großteil der Amerikaner hingegen reist niemals außer Landes. Sie haben eine sehr engstirnige Auffassung von Weltpolitik.
Sind die Rechten in den USA so stark geworden, weil die anderen etwas falsch gemacht haben?
Nein. In dem Moment, als die Nation am 2. Juli 1964 den „Civil Rights Act" unterzeichnet hat, hatten in den Südstaaten die Republikaner das Sagen. Der erste republikanische US-Präsident war bekanntlich Abraham Lincoln von 1861 bis 1865. Die Republikaner haben nach dem Ende des Bürgerkriegs den Süden dominiert und den dortigen Wählern Zugeständnisse versprochen. So war es den Südstaaten möglich, der Union nach und nach beizutreten, ohne den ehemaligen schwarzen Sklaven tatsächlich gleiche Rechte wie den Weißen zuzugestehen. Diese Vorstellung existiert in meinem Land bis heute, weil die Republikaner diese grundsätzliche Sichtweise in ihre Partei überführt haben. Der Bürgerkrieg wiederholt sich in den USA gerade noch einmal.
Aber nicht mit Waffen, sondern nur mit Worten, nicht wahr?
Ja, aber auch mit Korruption. Die Republikaner schrecken im Prinzip vor keinem Mittel zurück. Aber ich bin nur ein Musiker und kein Politikwissenschaftler. Es ist bloß meine persönliche Meinung. Ich bin im Süden aufgewachsen, ich habe mich eingehend damit beschäftigt, wie die Republikanische Partei die Konföderierten Staaten der USA wiederbelebt hat.