Rund zehn Jahre lang hat der FC Bayern keinen Spieler aus der Jugend mehr nachhaltig ins Profi-Team hochgeführt. Nun gibt es zwei absolute Lichtblicke. Dafür, dass es nicht die beiden einzigen bleiben, soll ein neuer Jugend-Campus sorgen.
Jahrelang musste sich der FC Bayern vorhalten lassen, den fälligen Umbruch verschlafen zu haben. Dafür gibt es sicher Argumente, da die Abnabelung von Arjen Robben oder Franck Ribery sehr lange dauerte und die Münchner zwischenzeitlich eine durchaus alte Mannschaft hatten. Dem können die Bayern die sieben Meistertitel in Folge entgegnen. Inzwischen aber auch die Tatsache, den Umbruch langsam und leise doch vollzogen zu haben. Mit Kingsley Coman (23), Niklas Süle, Serge Gnabry, Lucas Hernandez, Benjamin Pavard (alle 24) sowie Joshua Kimmich und Leon Goretzka (25) haben die Münchner inzwischen eine Achse aus Spielern zusammen, die maximal 25 sind, noch entwicklungsfähig und mit Wiederverkaufs-Potenzial.
Doch noch mal eine, oder sagen wir eher zwei Altersstufen darunter drängten in dieser Saison gleich zwei Juwele in die Mannschaft, die den Bayern große Hoffnung machen, endlich auch mal wieder Eigengewächse nach oben durchzubringen. Schließlich hatte es das lange nicht mehr gegeben. In den Nullerjahren, schafften es Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Holger Badstuber und zuletzt Thomas Müller, Toni Kroos und David Alaba. Auch Emre Can oder Mats Hummels stammen aus dem Bayern-Nachwuchs, machten aber erst auf Umwegen Karriere. Doch seit rund einem Jahrzehnt haben die Bayern keinen eigenen Star mehr gemacht, sondern nur noch welche gekauft.
Manager Heldt stichelt gegen bayern-Nachwuchs
Noch im vergangenen Oktober lästerte Manager Horst Heldt – damals ohne Verein, inzwischen nach Stationen in Stuttgart, auf Schalke sowie in Hannover in Köln gelandet – bei den Bayern sehe er „überhaupt gar keine gute Jugendarbeit. Und die haben viel Geld investiert. Aber das passt nicht zur DNA". Das bestätigte der frühere Bayern-Kapitän Stefan Effenberg schon Ende 2018 in einer Kolumne bei t-online.de. „Der neue Bayern-Campus in München ist wirklich fantastisch", schrieb der „Tiger". Jedes Jahr einen Spieler in die erste Mannschaft zu bringen, genieße beim FC Bayern aber „keine absolute Priorität. Das ist aber auch vollkommen logisch." Als Bayern erreiche man seine Ziele nur, wenn man regelmäßig investiere, so Effenberg: „Hat der FC Bayern ein Problem auf einer Position, wird er immer einen neuen Spieler kaufen oder ausleihen. In so einer Situation werden sie keinen Jugendspieler in die erste Mannschaft einbauen."
100-Millionen-Transfers haben sie bei den Bayern – zumindest vor der Corona-Krise – für die Zukunft auch ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Und der französische Weltmeister Hernandez kostete im vergangenen Sommer schon 80. Doch die Jugend soll eine zweite Säule werden. 2017 verpflichtete der Rekordmeister Jochen Sauer als Leiter des Nachwuchsleistungszentrums. Der hatte vorher bei Red Bull Salzburg gearbeitet und den Club zum Gewinn der Youth League, also der Champions League der U19-Junioren, geführt. Und vor allem baute der Verein einen neuen Jugend-Campus, der so ganz „Mia san mia" ist: 30 Hektar groß, sieben Trainingsplätze, 40 Internatszimmer. Stolze 100 Millionen Euro hat das Ganze gekostet. Im heutigen Transferwahnsinn – zumindest vor Corona – aber eben auch nur die Ablösesumme für einen Super-Spieler. „Vielleicht ist dieser Campus auch eine Antwort auf den Transferwahnsinn und die Gehälterexplosion", hatte der damalige Präsident Uli Hoeneß gesagt, der mal wieder ganz unbescheiden betont: „Die Ausbildung soll zum Markenzeichen unseres Clubs werden."
In Ausnahmefällen wollen die Münchner auch in jungen Jahren Spieler verpflichten, die nicht aus dem direkten Umfeld kommen. Das sorgte bei der Konkurrenz schon für Kritik. Sauer betonte in der „Welt", dass dies aber die Ausnahme sein soll. „Rund 170 unserer 200 Spieler kommen aus München und dem Bundesland Bayern", sagte er: „Wir holen Talente von außerhalb nur dann, wenn wir überzeugt sind, dass sie es unter die Top fünf ihres Jahrgangs bei Bayern München schaffen. Ansonsten dürfen und wollen wir einen Jungen nicht aus seinem familiären und sozialen Umfeld reißen, das ist unsere Philosophie."
Effenberg erklärt die Ziele des FC Bayern
Dass dieser Campus künftig reihenweise neue Stars ausspuckt, ist natürlich nicht garantiert. „Das zu planen, ist in einem Verein mit den Ansprüchen, wie sie der FC Bayern hat, sehr schwierig", sagte Sauer. Ziel aber sei es, „zu jeder Saison dem Cheftrainer drei bis vier Spieler anbieten zu können, die das Potenzial für die Bundesliga haben". Schon das ist ein hohes Ziel.
Doch nun sind eben zwei Jungstars durchgestartet. Teilweise schon unter Trainer Niko Kovac, so richtig unter Nachfolger Hansi Flick und natürlich auch aus personeller Not geboren. Und dennoch sehr eindrucksvoll. Und klar, es sind keine Spieler, die seit jüngster Kindheit beim FC Bayern spielen. Wie Thomas Müller, der im Alter von zehn Jahren an die Säbener Straße gewechselt war. Aber doch zwei, die eigentlich für einen langsamen Aufbau geholt wurden und dann mit Dauerblinker auf die Überholspur zogen: Alphonso Davies (19) und Joshua Zirkzee (18). Grund genug, die beiden einmal vorzustellen:
Alphonso Davies: Der in einem Flüchtlingslager in Ghana geborene Kanadier liberianischer Abstammung kann immer dann herhalten, wenn wieder einmal die zaudernde Personalpolitik von Sportdirektor Hasan Salihamidzic kritisiert wird. Denn „Brazzo" wollte Davies unbedingt. Zum 1. Januar 2019 kaufte er den damals gerade 18-Jährigen für fast 20 Millionen Euro – freilich als Außenstürmer. Als David Alaba wegen der Verletzung von Niklas Süle in die Innenverteidigung verschoben wurde, funktionierte Kovac Davies kurzerhand zum Linksverteidiger um. Und dort setzte der Immer-noch-Teenager umgehend zum Höhenflug an. In allen 23 Pflichtspielen stand er seitdem in der Startelf, wurde nur zweimal ausgewechselt, erzielte ein Tor und bereitete sechs vor. Beim „Kicker" erhielt er nur zweimal eine Note im Vierer-Bereich. „Der Junge ist gesegnet mit einem Körper und einem Sprint. Das hatten wir so noch nicht bei Bayern", sagte Müller. Ja, eben dieser Thomas Müller, der schon seit dem Geburtsjahr von „Phonzie" (2000) im Verein ist. Flick lobte seine Entwicklung als „phänomenal". Kapitän Manuel Neuer meinte nach dem 3:0 in der Champions League beim FC Chelsea, als Davies allerorts wegen einer überragenden Leistung gelobt wurde, er habe „schon sehr gut gespielt". Dann ergänzte der Torhüter mit einem Schmunzeln: „Aber defensiv habe ich ihn einmal zur Sau gemacht."
Davies wurde zum Linksverteidiger umfunktioniert
Joshua Zirkzee: So wie der 18-jährige Niederländer mit nigerianischer Mutter ist schon lange kein Spieler mehr in die Bundesliga geschossen. Nicht einmal Dortmunds Erling Haaland. Im Spiel gegen Freiburg kam er beim Stand von 1:1 zu seinem Bundesliga-Debüt – 104 Sekunden später schoss er mit seinem ersten Ballkontakt das Siegtor. Drei Tage später gegen Wolfsburg brachte Flick ihn beim Stand von 0:0 – 150 Sekunden danach erzielte er mit seinem ersten Ballkontakt den Führungstreffer. Drei Tore nach fünf Einsätzen sind derzeit verbucht. Und vor der Corona-Pause traute Flick ihm sogar Startelf-Einsätze als Ersatz des verletzten Robert Lewandowski zu. Dass Zirkzee aber auch Auszeiten nimmt, zeigt seine Bilanz für die Zweite Mannschaft in der Dritten Liga. Da traf er bei 16 Einsätzen seltener als in der Bundesliga, nämlich zweimal. Das liegt, da sind sie sich beim FC Bayern sicher, an den Auszeiten, die er sich nimmt. An der schnellen Zufriedenheit. Am Hang zum Hallodritum. Deshalb loben sie ihn auch nicht über den grünen Klee, sondern treiben ihn vielmehr kritisch an. „Von Zeit zu Zeit muss man ihn aus der Komfortzone holen", meinte Campus-Leiter Sauer über den als 16-Jährigen zu den Bayern gewechselten Stürmer: „Die Hardware hat Josh. Er braucht aber auch den Kopf und die Siegermentalität." Fitnesstrainer Holger Broich mahnte: „Fußball ist auch ein Laufsport. Talent allein reicht nicht." Und Flick konstatierte: „Er muss noch in vielem zulegen, wenn er in diesem Verein auf dieser Position spielen will." Dass der Sonnyboy das Zeug dazu hat, glauben aber alle. Und deshalb sind sie sicher, dass eine große Karriere vor ihm liegt.