Die Corona-Krise wirkt wie ein Digitalisierungsbeschleuniger. Unternehmen, Verwaltungen, Schulen, Gesellschaft – sie alle werden das aus der Not geborene digitale Rad nicht mehr zurückdrehen. Vor einem Quantensprung steht auch die KI. Davon ist Prof. Dr. Antonio Krüger, CEO des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, jedenfalls überzeugt.
Herr Professor Krüger, der Zukunftsforscher Horx hat unlängst gesagt, kein Mensch glaube heute noch „an die große digitale Erlösung". Erleben wir damit gerade das Ende der Künstlichen Intelligenz?
Keineswegs. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Alle gesellschaftlichen Bereiche, ob Wirtschaft, Politik, Verwaltung oder Sport, sind gezwungen, die Digitalisierung voranzubringen. Wir erleben doch gerade in dieser Zeit, wie die vermeintliche Schmerzgrenze gegenüber der Digitalisierung sinkt. Die Menschen lernen die Vorteile schätzen. Zwar sind die direkten sozialen Kontakte derzeit mehr oder weniger auf Eis gelegt, und sie ändern sich auch. Aber ein Zurück nach der Krise wird es nicht geben. Dazu wurde die Digitalisierung durch Corona viel zu stark beschleunigt. Die Künstliche Intelligenz wird als eine der Schlüsseltechnologien der Digitalisierung mittelfristig einen spürbaren Beitrag leisten.
In welchen Bereichen ist denn das DFKI beim Thema Corona unterwegs?
Das DFKI ist in vielen Bereichen tätig. Richtig viel Bewegung ist, wie Sie sich vorstellen können, derzeit auf dem Gesundheitssektor. Mit dem Pharma- und Laborzulieferer Sartorius beispielsweise bauen wir am Standort Kaiserslautern Bioreaktoren auf, um mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz moderne Auswertungsmethoden im Labor für die Biopharmabranche zu realisieren. Mit einigen namhaften Pharmakonzernen wie Roche entwickeln wir Methoden zur Digitalisierung in der Medizin. Wir agieren auf vielen Feldern in verschiedenen Richtungen und das in ganz Europa gemeinsam in Forschungsverbünden. Es geht zum Beispiel darum, zuverlässige Prognosen mittels KI über die Verbreitung des Coronavirus zu erstellen. Das alles ist sehr kurzfristig auf den Weg gebracht worden.
Das ist aber alles auf die Zukunft gerichtet. Wo hilft das DFKI jetzt ganz konkret?
Das DFKI verfügt aufgrund seiner Tätigkeiten an seinen Standorten über sehr gute Rechnerkapazitäten und hat sehr viel Erfahrung mit KI-Hardware. Wir haben zum Beispiel in Kaiserslautern einige Projekte zurückgestellt, um die notwendige Infrastruktur für die öffentliche Hand zu schaffen. Des Weiteren haben wir unsere Werkstätten angewiesen, im Falle eines Engpasses 3-D-Drucker zum Drucken von Schutzmasken und Visieren zu nutzen.
Aber denken Sie einen Schritt weiter. In Deutschland fehlen derzeit massiv Erntehelfer. Die Agrar-Robotik könnte weiterhelfen. Daher forcieren wir am Standort Osnabrück mit unseren Partnern Claas und John Deere den möglichen Einsatz von Robotern beim Ernteeinsatz. Das ist zugegebenermaßen noch Zukunftsmusik, aber die nächste Krise kommt bestimmt. Auch im Bereich der Pflege sind wir beim Thema Robotik und deren Einsatz schon weit fortgeschritten.
Welche finanziellen Folgen erwarten Sie für das DFKI wegen der Corona-Krise?
Es ist in der Tat so, dass wir einen Großteil unserer Aufträge von der öffentlichen Hand erhalten und zwar im wettbewerblichen Ausschreibungsverfahren. Rund 20 Prozent der Aufträge bekommen wir aus der freien Wirtschaft. Wir betreiben ein reines Projektgeschäft, und ich hoffe, dass es trotz der finanziellen Krise zu keinen allzu großen Ausfällen seitens der öffentlichen Hand kommt. Das erhoffe ich mir natürlich auch bei Aufträgen aus der Industrie. Allerdings wird es hier wahrscheinlich zu Problemen kommen. Schon deshalb, weil zum Beispiel durch Kurzarbeit die Ansprechpartner einfach nicht mehr da sind. Das Ganze hängt sicherlich davon ab, wie lange der Lockdown dauert. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass die Unternehmen den Einsatz von intelligenten Softwaresystemen künftig massiv vorantreiben und wir als kompetenter und erfahrener Partner unseren Beitrag mit KI leisten werden. Zwar wird es eine Delle geben, aber danach geht es mit der Digitalisierung richtig los.
Das DFKI ist sehr international aufgestellt. In der Krise haben die Staaten aber ihr Heil in nationalen Alleingängen gesucht. Welche Auswirkungen hat das für Forschung und DFKI?
Die EU hat anfangs der Krise nach außen hin kein einheitliches Bild abgegeben. Das kommt bei den Menschen sicherlich nicht gut an. Aber inzwischen hat die EU ein enormes finanzielles Programm für die Mitgliedstaaten aufgelegt und kommt damit in Fahrt. Aber das ist die Politik. In der Wissenschaft spüre ich eher ein noch stärkeres Zusammenrücken auf internationaler Ebene, gleichzeitig auch eine große Hilfsbereitschaft untereinander.
Nehmen wir die deutsch-französische Kooperation mit Inria und dem DFKI. Erst Ende Januar haben wir mit etwa 100 Wissenschaftlern in Nancy viele zukunftsweisende Projekte auf den Weg gebracht und das per Videokonferenz. In der Informatikforschung bauen wir schon seit Jahren auf moderne Kommunikationsmittel. Ich denke, dass wir gemeinsam mit unseren französischen Partnern die Künstliche Intelligenz effizient und viel schneller voranbringen können. Die Krise schweißt uns stärker zusammen als das sie uns trennt.
Das DFKI ist in Saarbrücken, Kaiserlautern, Bremen, Berlin und Osnabrück mit Standorten vertreten. Wie sieht die Weiterentwicklung aus?
Es gibt Anfragen aus fast allen Bundesländern für weitere Standorte. Stark im Fokus stehen wie schon erwähnt die Gesundheitsbranche und das Maschinelle Lernen. Wir stehen derzeit in konkreten Verhandlungen und schauen, wer zu uns mit welchen Themen passt.
Wie geht das DFKI mit dem Fachkräftemangel um?
Das ist unabhängig von der Corona-Krise ein großes Problem. KI-Experten sind weltweit stark gefragt, und da können wir mit unseren Tarifen nach dem öffentlichen Dienst gegenüber der Konkurrenz der großen Tech-Konzerne aus den USA, die ja auch in Deutschland stark präsent sind, nicht mithalten. Hier sollten Forschungsinstitute von nationaler Bedeutung wie das DFKI eine größere Flexibilität bei der Gehaltsgestaltung erhalten. Erschwerend hinzu kommt das geringe Interesse an naturwissenschaftlichen Fächern. Das lösungsorientierte Denken in den sogenannten MINT-Fächern müsste bereits in den Schulen stärker in den Fokus rücken. Dann die Gender-Herausforderung. Junge Frauen müssten viel mehr an die MINT-Fächer herangeführt werden.
Das nächste Problem sind die fehlenden Start-ups. Wie geht es nach der Krise damit weiter?
Das könnte in der Tat ein großes Problem werden, denn die Corona-Krise macht insbesondere kleinen und ganz jungen Unternehmen das Leben schwer. Hier sehen sich junge Menschen, die vielleicht zwei oder drei Jahre an einer vielversprechenden Idee gearbeitet haben, um den Erfolg ihrer Arbeit gebracht. Ich hoffe sehr, dass der Staat hier unterstützt und diese langsam wachsende Kultur der Start-ups in Deutschland nicht untergehen lässt. Wir dürfen diese Generation in Corona-Zeiten nicht alleine lassen.
Das Saarland war immer ein Mekka der Künstlichen Intelligenz. Warum hat der Ruf in den vergangenen Jahren so gelitten?
Rein wissenschaftlich betrachtet kann ich das überhaupt nicht bestätigen. Das DFKI ist in den vergangenen 30 Jahren stark gewachsen – das Volumen hat sich alle sechs Jahre verdoppelt. Wir genießen samt Universität weltweit einen hervorragenden Ruf. Woran es mangelt, ist das Ökosystem drum herum. Dem Saarland fehlen einfach die großen Investoren, die es eher in die großen Zentren wie Berlin oder Paris zieht. Es gibt hier und da ein paar Lichtblicke, und auch die anderen Spitzenforschungsinstitute im Saarland ziehen hier gut mit. Aber unter dem Strich reicht es eben noch nicht, den wirtschaftlichen Nutzen der Spitzenforschung für das Saarland konkret umzumünzen. Hier bleibt noch viel zu tun, obwohl wir einige Unternehmen im Saarland haben wie ZF, Bosch oder VSE, die in der Digitalisierung schon ein gutes Stück vorangekommen sind. •