Die Einspeisung regenerativer Energien ins Stromnetz verlangt von Umspannwerken ein Umdenken. Eine der wichtigsten dieser Schaltanlagen in Ostdeutschland steht im brandenburgischen Neuenhagen: Die Auswirkungen der Energiewende spürt man hier ganz direkt.
Flutlicht im Sportstadion, Strom aus der Steckdose, Elektroautos oder Energie für ein ganzes Stahlwerk: Die durchgängige Verfügbarkeit von Strom ist für uns heute selbstverständlich. Doch dass er bei einer konstanten Netzfrequenz von rund 50 Hertz auch wirklich fließt, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
Unterschiedlich erzeugter Strom, etwa aus Kohle-, Gas- und Atomkraftwerken sowie zunehmend aus Solar- und Windkraftanlagen, wird in Umspannwerken zusammengeführt und auf die jeweils höhere oder niedrigere Spannungsebene transformiert. Steckdosen in Privathaushalten verfügen über eine Spannung von 220 Volt – auf der Höchstspannungsebene sind es dagegen bis zu 380.000 Volt. Ein Umspannwerk kann den Strom reibungslos fließen lassen, indem es ihm die richtige Spannung gibt – eine Leistung, die in etwa vergleichbar ist mit dem Transformator, der zu Hause für die Niedervoltlampe den Strom von 220 auf 40 Volt dimmt.
Eine der wichtigsten Anlagen dieser Art steht im brandenburgischen Neuenhagen (Landkreis Märkisch-Oderland) am östlichen Berliner Stadtrand. Ohne das Umspannwerk und den seit 2009 von hier agierenden Netzbetreiber 50Hertz Transmission GmbH wäre es in der Bundeshauptstadt und in Brandenburg zappenduster. Insgesamt steuert das Unternehmen in Ostdeutschland sowie in Hamburg 75 Umspannwerke, davon allein 15 Anlagen vom Regionalzentrum Mitte in Neuenhagen aus. Was Energiewende bedeutet, spürt man hier konkret.
Sonne scheint nicht immer, und Wind bläst nicht ständig. Das führt zu Schwankungen in der Energielieferung, die es früher so nicht gab und die im Transmission Control Center (TCC), der Leitwarte von 50Hertz in Neuenhagen, ausgeglichen werden. Trotz gravierender Umstellungen in der Energieversorgung beliefert 50Hertz nicht nur Berlin und Brandenburg zuverlässig mit Strom. Insgesamt rund 18 Millionen Menschen in Nord-Ostdeutschland und Hamburg hängen am 50Hertz-Netz. Auch an bedeutende Gewerbestandorte wie dem Stahlwerk Hennigsdorf fließt Strom. Das gesamte Leitungsnetz erstreckt sich über etwa 10.000 Kilometer. Darüber hinaus wird Strom aus Windenergie aus den windreichen Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt in die Verbrauchszentren Mittel- und Süddeutschlands transportiert.
„Die Energiewende macht unsere Arbeit spannend, aber oft auch nicht einfach", sagt Carsten Hose, Leiter des 50Hertz-Regionalzentrums Mitte in Neuenhagen. „Der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch in unserer Region liegt inzwischen bei 60 Prozent." Zusammen mit den konventionellen Energien – also in erster Linie der Braunkohle – liefere der Osten Deutschlands mittlerweile mehr Strom, als er selbst verbrauche.
Früher, so der Experte, war die Arbeit planbarer. Strom kam relativ konstant aus den Kraftwerken. Heute müsse die Neuenhagener Leitwarte mit einem witterungsbedingt schwankenden Stromaufkommen umgehen. Dadurch kann es zu sogenannten Lastspitzen kommen, die im Netz ausgeglichen werden müssen. „Dann müssen wir in die Fahrweise von Kraftwerken eingreifen", erklärt Carsten Hose. Damit es gar nicht erst so weit kommt, stünden den Experten im Control Center detaillierte Wetter- und andere Prognosen zur Verfügung, um das System vorausschauend steuern zu können. „Heute müssen wir viel flexibler und planungsgenauer sein", sagt Hose, ein gebürtiger Thüringer, der seit 40 Jahren in der Branche arbeitet. Kommt es zu Stromspitzen, müssten im Norden zur Not ganze Windparks abgeregelt werden. Gleichzeitig braucht man im Süden Deutschlands aber konventionelle Kraftwerke zum Bilanzausgleich.
Keine Zeit verlieren bei der Energiewende
„Dabei geht es vor allem darum, Stromerzeugung und -verbrauch bei einer stabilen Frequenz von 50 Hertz im Gleichgewicht zu halten", erklärt Lutz Schulze, Leiter des Transmission Control Centers im Regionalzentrum Mitte. Dass die nominale Netzfrequenz hierzulande bei 50 Hertz liegt, habe historische Gründe, die zu den Anfängen der Elektrifizierung zurückreichen. Beim Wechselstrom werden in Hertz die Polaritätswechsel zwischen Plus und Minus pro Sekunde angegeben. Bei einer Netzfrequenz von 50 Hertz sind das 50 Spannungswellen pro Sekunde. In Japan und den Vereinigten Staaten liegt sie beispielsweise bei 60 Hertz, so der Fachmann.
Der Mittfünfziger erwähnt eine Stromspitze vom 22. Februar 2020, bei der zwischen 18.30 und 18.45 Uhr etwa 16.270 Megawatt Strom geliefert wurden. Das sind Hunderte Megawatt Strom mehr als bei vergleichbaren Spitzen. Die Gründe lagen in den stürmischen Tagen davor, die zu einer hohen Einspeisung von Windenergie führten. „Noch nie konnte unser System so viel Windstrom aufnehmen, während gleichzeitig so wenige Windräder, nur 460 Megawatt, abgeregelt wurden. Der überwiegende Teil des Windstroms wurde in Nord-Süd-Richtung transportiert und fast vollständig genutzt", betont Dirk Biermann, Geschäftsführer Märkte und Systembetrieb bei 50Hertz. Dieses gute Verhältnis zwischen Einspeisung und Abregelung zeige, dass die Maßnahmen der letzten Jahre zur Leistungssteigerung und Optimierung des Stromnetzes greifen. Die Betreiber konventioneller Braun- und Steinkohlekraftwerke könnten ihre Anlagen mittlerweile viel flexibler fahren, sodass sie ihre Leistungen bei Starkwind herunterfahren und Windstrom aus dem Nordosten Platz machen können.
Dennoch komme der Ausbau der gesamten Strominfrastruktur noch zu schleppend voran, moniert Lutz Schulze. Er hinke den steigenden Einspeiseleistungen hinterher. In den vergangenen 20 Jahren sei zwar viel passiert. Doch das reiche längst nicht aus, um den Herausforderungen der Energiewende gerecht zu werden. Ein Grund seien die zu langen Planfeststellungsverfahren, die inklusive aller behördlichen Genehmigungen gut und gerne bis zu zehn Jahre dauern könnten. Vor allem Klagen von Umweltverbänden und Bürgern führten zu Verzögerungen. Dabei seien nicht die Klagen selbst zu kritisieren, jedoch die lange Dauer, bis entschieden werde.
In Sachen Energiewende habe man schließlich keine Zeit mehr zu verlieren. Politisch vorgesehen sei der Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 und das Ende der Kohleverstromung bis spätestens 2038. 50Hertz bezeichnet diese Ziele als „sportlich". Hinzu kommt laut Hose ein zusätzlicher Faktor: Unser Stromverbrauch wird weiter steigen, weil zukünftig immer mehr Menschen Elektrofahrzeuge nutzen, ihre Gebäude mit elektrischen Wärmepumpen heizen und immer mehr Rechenzentren immer mehr Strom benötigen. Er sagt dazu: „Es gibt Szenarien, wonach der Stromverbrauch in Deutschland bis 2035 um 22 Prozent steigen könnte."
So schwer die Energiewende auch hinzubekommen sei, so sehr ist sie nach Ansicht von Carsten Hose auch eine Chance für den Nachwuchs in der Energiebranche. Nicht nur 50Hertz, auch andere Netzbetreiber wie Amprion, Transnet-BW oder Tenne T suchen händeringend Fachkräfte. Um die zu begeistern, nutzt der Regionalleiter gern Gruppenführungen mit Studenten, unter anderem auch durch den historischen Teil des Neuenhagener Umspannwerks. Zu sehen ist dann beispielsweise die frühere Leitstelle aus den 50er-Jahren mit riesigen Schaltpulten, Hebeln und Leuchten. Anschließend geht es noch in die moderne Leitwarte. „Durch Netzausbau und Modernisierung stocken wir in den kommenden Jahren beim Personal weiter auf. Gesucht sind Elektrotechniker, Physiker, Informatiker und Ingenieure." Carsten Hose: „Die Energiewende ist eine Herausforderung, der wir uns stellen. Damit von Neuenhagen aus weiterhin Menschen zuverlässig mit Strom versorgt werden."