Natascha Lindemann aus Berlin begeistert mit ihren makellosen und facettenreichen Beauty-Aufnahmen. Kein Wunder, dass sie regelmäßig Aufträge von renommierten Kosmetikherstellern erhält. Im Interview spricht die Fotografin über ihren Werdegang, ihre Arbeiten und gibt Tipps für Beauty-Selfies.
Frau Lindemann, wie sind Sie zur Fotografie gekommen?
Ich habe schon im Kindergarten die Kamera meiner Eltern stibitzt, um inszenierte Shootings mit meiner besten Freundin zu machen. Während meines Studiums in Innsbruck habe ich dann meine Leidenschaft fürs Fotografieren wiederentdeckt. Angefangen habe ich dort tatsächlich mit dem Fotografieren von Landschaften und Architekturen, weiter über Langzeitbelichtungen, Sport, Tiere, Hochzeiten und eigentlich allem, was so dazugehörte, um mich erst mal etwas mit der Kamera auszuprobieren. Letztlich habe ich so meine Liebe zur Beautyfotografie entdeckt, die ja bis heute mein Schwerpunkt geblieben ist.
Wie haben Sie das fotografische Know-how erlernt?
Ich habe mich schon immer für Make-up, Haarstyling und Beauty interessiert. Das Bearbeiten von Bildern und Studiofotografie machten mir am Anfang aber noch Probleme. Als ich angefangen habe, hatte ich noch kein eigenes Studio und habe viel Outdoor fotografiert. Mit Youtube-Tutorials habe ich versucht herauszufinden wie ich es schaffe, mit den damaligen Mitteln die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. Etwas später hatte ich die Chance, ein Praktikum bei einem Berliner Beautyfotografen zu machen. Dort habe ich die Basics der Studiofotografie und Bildbearbeitung gelernt. Nach dem Praktikum entschied ich mich, in Berlin zu bleiben, um mein Portfolio weiter auszubauen. Ich habe viel mit einer Puppe im Studio geübt und so ein gutes Auge für Licht entwickelt.
Zu Ihren Referenzen zählen große Marken, darunter etwa Douglas, dm, Sephora und MAC Cosmetics. Wie gestaltete sich Ihr Weg dorthin?
Dadurch, dass ich in Berlin geblieben bin, saß ich an der Quelle für Make-up-Artisten und Models. Gerade am Anfang habe ich sehr viel Zeit und Mühe in mein Portfolio investiert. Das heißt, ich habe mit sehr vielen Make-up-Artisten und Models gearbeitet. Dabei sind sehr viele verschiedene Bilder entstanden, die ich alle auf meinem Instagram-, früher ja sogar noch Facebook-Account und meiner Website gezeigt habe. Damals gab es noch nicht so viele Beauty-Fotografen in Deutschland, und so bekam ich eine große Reichweite bei Instagram. So hat es sich eigentlich ergeben, dass die Marken auf mich zukamen, mich gefunden haben, ohne dass ich wirklich selbst aktiv werden musste, um Kontakte zu knüpfen.
Wo finden Sie Ihre Models für die hochkarätigen Beauty-Aufnahmen? Dürfen Sie die Models immer selbst aussuchen?
Nein, die Models darf ich nicht immer selbst aussuchen. Wenn ich Jobs habe, werden sie meistens vom Kunden ausgewählt. Die Kunden haben oft ein ganz genaues Bild vom Model vor Augen, das gut in ihr Konzept passen würde. Viele machen sogar ihr eigenes Casting im Vornherein. Für meine freien Arbeiten kann ich mir meine Models aber selbst aussuchen.
Wie viel Zeit nimmt die Bearbeitung eines Beauty-Fotos ungefähr in Anspruch?
Die Bearbeitungszeit eines Bildes ist immer ganz unterschiedlich. Die Bearbeitung kann je nach Bild vier Stunden dauern, manchmal dauert es aber auch nur eine Stunde. Eine Verallgemeinerung ist da also eher schwer.
Verändern Sie im Nachhinein noch viel an den Aufnahmen? Und was genau wird optimiert?
Es kommt wirklich immer ganz auf das Ausgangsmaterial an. Es gibt Aufnahmen, bei denen man nur sehr wenig anpassen muss und das auch bewusst möchte, weil das Ziel der Kampagne zum Beispiel auf Natürlichkeit ausgelegt ist. Bei manchen Bildern muss man aber auch mehr bearbeiten. Wenn ich frei arbeite achte ich darauf, dass die Models eine gute Haut, ein relativ symmetrisches Gesicht und natürlich schöne Lippen haben. Dann richte ich mich danach, alles zu retuschieren, was nur von zeitlich beschränkter Dauer ist. Etwa kleinere Unreinheiten. Mir ist dabei wichtig, dass die markanten Merkmale des Gesichtes immer erhalten bleiben, um den Charakter des Bildes nicht zu verfälschen. Wichtig ist auch, dass die Hautretusche auf einem qualitativ so hohen Niveau ist, dass man als Betrachter nachher nicht mehr feststellen kann, ob das Bild so fotografiert wurde oder ob in der Retusche ein bisschen nachgeholfen wurde.
Welches Licht benötigt man für makellose Beauty-Aufnahmen?
Das kommt immer ganz darauf an, welche Bildwirkung man erzeugen möchte und welches Konzept man hat. Licht ist eine große Variable in der Fotografie, die ein Bild maßgeblich beeinflussen kann. Dabei kommt es immer auf den Einsatzzweck an, welcher Lichtformer oder welcher Blitzkopf für das gewünschte Ergebnis der Beste ist. Die Entscheidung der Auswahl des Lichtes steht ganz im Zusammenhang mit der Konzeptionierung. Schon ein leicht geändertes LichtSet-up kann den Eindruck eines Bildes komplett verändern.
Worauf muss man beim Make-up achten?
Für mich ist es immer wichtig, dass nicht zu viel Produkt über der Hautstruktur liegt. Das heißt nicht zu viel Foundation oder Puder, da ich einfach sehr gerne ganz gestochen scharfe Poren und Hautstrukturen auf meinen Bildern sehe. Es ist schwerer, Hautstrukturen später aus Bildern herauszuarbeiten, wenn diese komplett mit Make-up verdeckt sind. Abgesehen davon muss man sehr ordentlich arbeiten, um in der Retusche Zeit zu sparen. Deshalb mache ich auch generell bei jedem Shooting vor jedem Look ein Testbild und zoome einmal rein, damit die Make-up-Artisten ihre Arbeit noch mal ganz genau überprüfen können. Ein Close-up zeigt oft mehr, als unser menschliches Auge sehen kann.Das ist für die Make-up-Artisten
immer sehr hilfreich.
Wie erhält man so einen tollen natürlichen Glow auf ungeschminkter Haut, wie auf manchen Ihrer Fotos zu sehen ist?
Bei den meisten Models verzichten wir dafür dann komplett auf Foundation und Puder und arbeiten stattdessen mit Hautpflege und Highlightern. Das heißt, selbst wenn ein Pickel auf der Haut ist, wird dieser nicht abgedeckt, weil es dann viel mehr Poren drumherum verschmutzen würde, wenn man diesen abdeckt. Mir ist es lieber, den Pickel auf dem Foto zu haben und diesen dann später in der Retusche zu entfernen, als ihn vorher irgendwie zu verstecken.
Wie muss ein Bild sein, damit Sie zufrieden sind?
Das ist eine schwierige Frage. Das, was für mich Qualität ausmacht, ist technisch gesehen eigentlich Schärfe. Ich liebe Details, wenn man in ein Bild reinzoomen kann und jede einzelne Pore, jedes einzelne Wimpernhaar und jede einzelne Struktur in der Iris sehen kann. Das macht für mich die Qualität eines Bildes aus, und ich bin immer nur zufrieden, wenn ich mit meinen Bildern einfach die höchste Qualität erreichen kann, die der Tag oder das Motiv mir bieten können.
Haben Sie ein Faible für spezielle Model-Typen, Farben oder Details?
Ein Faible für bestimmte Modeltypen habe ich auf jeden Fall. Ich suche immer nach außergewöhnlichen Gesichtern, deshalb sieht man in meinem Portfolio auch eher speziellere Gesichter. Ich arbeite sehr gerne mit Farben, denn ich mag es sehr, wenn ich kreativ mit Farben auf den Models arbeiten kann. Genauso gerne mag ich andererseits aber auch supernatürliche Looks, die dann mit Hautdetails überzeugen können.
Welche waren Ihre aufwendigsten Shootings?
Meine Kampagnen-Produktionen sind natürlich meistens sehr aufwendig. Bei den ganz großen Produktionen gibt es zwei bis fünf Leute, die sich wirklich nur mit dem Set-Bau beschäftigen. Auch bei Beautykampagnen werden Kampagnenbilder gemacht, abseits von den Close-ups, die das Gefühl der Kampagne rüberbringen sollen. Dafür haben wir schon mal ein kleines Haus in einem Studio aufgebaut, ein weihnachtliches Wohnzimmer mit Tannenbaum inszeniert oder ganz alleine in
einem Schwimmbad voller aufgeblasener Tiere geshootet.
Lassen Sie Ihren Make-up-Artists freie Hand oder sagen Sie Ihnen genau, wie das Make-up sein soll, damit es zum Foto passt? Suchen Sie diese aus oder die Auftraggeber?
Auch hier ist das situationsabhängig. Meistens hat der Auftraggeber feste Make-up-Artisten, und wir arbeiten immer mit dem gleichen Team am Set. Bei Jobs legt das Make-up meistens auch der Kunde fest. Dabei kommt es dann immer darauf an, welches Produkt auf den Bildern im Mittelpunkt stehen soll. Bei freien Arbeiten versuche ich die Make-up-Artisten immer mit einzubeziehen, damit sich aus den verschiedenen Stilen eine Synergie ergeben kann. Wenn ich allerdings sehr genaue Vorstellungen von einem Bild habe, kommuniziere ich das auch.
Dank Smartphone entstehen heute auch zu Hause hin und wieder tolle Fotos. Haben Sie Tipps für schöne Beauty-Selfies?
Das Wichtigste, um gute Bilder mit dem Handy zu schießen, ist das Licht. Es bringt schon sehr viel, nach einer Stelle zu suchen, an der das Licht vorteilhaft ist, sich viel zu bewegen, probieren und nicht nur auf einem Punkt zu stehen und den Auslöser zu drücken und dann zu hoffen, dass man gerade seine Schokoladenseite erwischt hat. Ein guter Trick ist es, sich mit dem Handy in der Hand um 360 Grad zu drehen, da man so die verschiedenen Lichtverhältnisse an seiner aktuellen Position sieht und miteinander vergleichen kann. Mit dem bloßen Auge kann man auch als Anfänger schon viel erkennen. Wie man den Kopf hält oder ob man in die Kamera schaut oder nicht, sollte jeder selbst entscheiden. Manch einer lächelt gerne, andere nicht, manche mögen den direkten Blick in die Kamera, andere schauen lieber runter oder zur Seite. Das ist etwas sehr Subjektives, und hier sollte jeder nach seiner persönlichen Vorliebe entscheiden.
Gefallen Sie sich selbst auf Fotos?
Es ist schon so, dass ich mir selbst auf Bildern gefalle, aber ich lasse mich nicht so gerne fotografieren. Ich bin nicht der Mensch, der gerne im Mittelpunkt steht. Am allerliebsten mag ich es aber, wenn ich es gar nicht merke, fotografiert zu werden, wie beim Shooting am Set zum Beispiel.