Schillernde Persönlichkeiten wie ihn vermisst das professionelle Tennis schon seit einigen Jahren immer mehr. Andre Agassi galt zu seinen Glanzzeiten als Rebell, seine Auftritte waren zumeist Spektakel. An seinem 50. Geburtstag blickt der Mann von Deutschlands Tennis-Idol Steffi Graf allerdings auf Schattenseiten des Profisports und schwere Jahre zurück.
Tennis. In Andre Agassis Leben drehte sich mehr zwei Jahrzehnte lang praktisch alles um die kleine Filzkugel. Sogar die große Liebe seines Lebens entdeckte und eroberte der einstige Superstar durch und bei seinem Sport. Doch wenn der Ehemann von Deutschlands Idol Steffi Graf am 29. April seinen 50. Geburtstag feiert, spielt Tennis – trotz seiner acht Triumphe bei Grand-Slam-Turnieren, drei Davis-Cup-Siege, insgesamt 60 Titel, dem Olympiasieg 1996 und über 100 Wochen als Nummer eins der Weltrangliste – wie schon so lange praktisch keine Rolle mehr.
„Wir gehen hin und wieder auf den Platz, nicht oft, aber wenn wir es tun, genießen wir es", erzählte Agassi schon vor einigen Jahren in einem über die abgekühlte Leidenschaft der beiden „Tennis-Rentner": „Ich genieße es, wenn sie mich nicht rennen lässt, wenn sie den Ball genau zu mit spielt, dann bin ich glücklich, und wenn ich sie rennen lasse, ist sie glücklich. Sie mag es zu trainieren, ich mag es, einfach nur den Ball zu schlagen."
Was mit Blick auf eine der schillerndsten Persönlichkeiten in der Geschichte des Profitennis kaum verwunderlich klingt, ist für Agassi zum Glück inzwischen keine Überwindung mehr. Mehrere Jahre nämlich nach seinem höchstemotionalen Abschied von der Tour bei den US Open 2006 in New York räumte der einstige Paradiesvogel auf mit der Scheinwelt, in der seine Fans ihren Liebling so viele Jahre wähnten, und zeichnete seine imponierende Karriere als mitunter durchaus trauriges Bild eines lange Zeit zutiefst unglücklichen Menschen. Der frühe, zuweilen auch brutale Drill durch den Vater, Erwartungsdruck von allen Seiten, Selbstzweifel, Schmerzen, Versagensängste, Einsamkeit: Kurz vor seinem 40. Geburtstag sorgte Agassi in einer Autobiografie mit einer ungewöhnlich offenen und zugleich schonungslosen Beichte für Aufsehen und Erschrecken gleichermaßen.
Ein Vergleich mit seiner Frau Steffi, die in ihrer noch weitaus beeindruckenderen Karriere ebenfalls lange Zeit unter sehr starkem Einfluss ihres Vaters gestanden hatte, lässt seine innere Zerrissenheit ein Stück weit erahnen. „Ich hasste Tennis wirklich, und alle hatten versucht, es mir auszureden und klarzumachen, dass ich es eigentlich doch lieben würde. Der entscheidende Unterschied zwischen uns war, dass Stefanie Tennis spielen wollte, es war ihre Entscheidung. Ich wollte nicht spielen und musste. Es war das falsche Leben, es war nicht mein Leben. Stefanie musste weder ihre Familie noch ihre Kindheit aufgeben. Ich dagegen wurde fortgeschickt in ein Tennis-Trainingscamp nach Florida, ich hatte auf einmal keine Freunde und auch keine Mutter mehr."
Tennis spielt keine große Rolle mehr
Vor diesem Hintergrund erscheinen seine Mitte der 80er-Jahre für das Tennis skandalöse Mähne und schrillen Outfits als weitaus mehr als eine damals zunehmend aufkommende Unangepasstheit. Vielmehr waren diese Äußerlichkeiten für Agassi selbst vor allem ein Zeichen der Rebellion gegen seinen herrischen Vater, ebenso sein jahrelanger Boykott des legendären Wimbledon-Turniers wegen der seinerzeit noch sehr strengen Vorschriften für weiße Sportkleidung. Das seelische Drama des ersten Haarausfalls schilderte Agassi in seinem Buch denn auch sehr eindringlich: „Je mehr Haare ich verlor, desto mehr ging ein Teil meiner Identität verloren." Seine Entscheidung für ein Toupet als Tarnung seiner vollkommen natürlichen „Schwäche" revidierte Agassi auf Ratschlag seiner ersten Frau, der früheren Hollywood-Schönheit Brooke Shields, erst Jahre später, 1994, und kam sich selbst damit wieder ein großes Stück näher: „Das Haarteil war für mich wie eine Fessel. Mein lächerlich langes, in drei verschiedenen Farben gefärbtes Haar war wie eine Eisenkugel." Die Befreiung vom Image als Tennis-Punk hatte offenbar positive Auswirkungen auf seine sportlichen Leistungen. Agassi startete nach einer längeren Durststrecke mit seiner ebenso leidenschaftlichen und risikofreudigen Spielweise wieder richtig durch, gewann nacheinander die US Open 1994 (im Finale gegen Michael Stich) und die Australian Open 1995 und legte damit den Grundstein zu seinem ersten Sprung an die Spitze der Weltrangliste vor 25 Jahren.
Doch das Hoch hielt vor allem aufgrund von zunehmenden Verletzungsproblemen nicht lange an. Es folgten der sportliche Absturz, die Trennung von Brooke Shields – und die Flucht in Drogen. Den Konsum des Aufputschmittels Crystal Meth verteidigt der sensible Mann aus dem dröhnenden Las Vegas jedoch: „Es gibt zwei Sorten Drogen im Sport: Da ist Doping, also leistungsfördernde Mittel, doch im Tennis wird extrem viel getestet; unser Sport ist sauber. Und da sind andere Drogen, bei mir war es Crystal Meth, und wenn Sportler positiv auf solche Sachen getestet werden, sollten wir sie nicht verdammen, sondern ihnen helfen – weil sie in Not sind."
Am Ausmaß seiner damaligen Nöte lässt Agassi auch keine Zweifel. „Getriebene waren wir alle, das ist ja das Brutale: Egozentrik wird belohnt, der Narziss siegt, Folter und Isolationshaft führen nach oben. Bis heute habe ich Tennis nicht vermisst, auch den Wettkampf nicht. Ich mochte ihn nie. Ich konnte nie ertragen, dass ich nicht perfekt sein konnte, ich hielt nicht aus, wie sehr Niederlagen wehtaten. Es gab da keine Balance: Kein Sieg fühlte sich so gut an, wie eine Niederlage schmerzte. Alles fühlte sich eher so an, als sei ich erschaffen worden, um nie zufrieden zu sein."
„Das Haarteil war wie eine Fessel"
Agassi kommt aber nochmals zurück – besser denn je. Durch seinen Triumph bei den French Open steigt der einstige „Bad Boy" 1999 in den bis heute noch elitär kleinen Kreis von Gewinnern aller vier Grand-Slam-Turniere auf und erobert die Spitze der Weltrangliste durch seinen Einzug ins Finale von Wimbledon ebenfalls wieder zurück.
Doch dieses Mal schmerzen die Niederlage und die verpasste Chance auf seinen zweiten Triumph im Tennis-Mekka kaum: Denn zu Beginn des Turniers endlich konnte Agassi nach vielen vergeblichen Versuchen Steffi Grafs Herz erreichen. Eine improvisierte Geburtstagskarte des US-Amerikaners, der bereits 1992 nach dem gleichzeitigen Erfolg in Wimbledon erfolglos auf den gemeinsamen Ehrentanz beim Champions Dinner gehofft hatte („Sie sieht mich. Ich lächle. Sie lächelt nicht.") mit einer umgebastelten Speiseliste aus dem Flugzeug nach London („Liebe Steffi – happy birthday") rührte die „Gräfin" zutiefst und eröffnete der Tennis-Queen einen ganz neuen Blick auf ihren oftmals schrillen, aber in diesem Fall doch so stillen Verehrer.
Die kleine Geste sollte sich als der wirklich große Wurf in seinem Leben erweisen. 2001 heiratete das damalige Glamour-Paar des Tennis, entpuppte sich für den stets schlagzeilendurstigen Boulevard allerdings und zum Glück für das Duo sowohl bis zu Agassis Karriereende als auch erst recht danach als Totalausfall. In Las Vergas genießen Agassi und Graf zusammen mit ihren beiden Kindern die Anonymität des Spieler-Eldorados – Skandale Fehlanzeige.
Totalausfall für die Boulevard-Medien
Agassi ist bei Graf buchstäblich angekommen: „Sie hat ja ein ähnlich hektisches Leben geführt wie ich: hohe Einsätze", hoher Druck, Erwartungen der ganzen Welt. Sie hat das mit Würde bewältigt, anders als ich. Stefanie hat mir beigebracht, geduldiger zu werden und mir selbst nicht mehr länger im Weg zu stehen. Ich bin verdammt früh berühmt, aber verdammt spät erwachsen geworden."
Umso mehr schmilzt Agassi, der sich heute mit Immobilienfonds an Privatschulen für soziale Randgruppen engagiert, bei den seltenen gemeinsamen Tennis-Stunden beim Anblick seiner Gattin auf der anderen Netzseite dahin: „Wenn sie still steht, ist sie eine Göttin. Wenn sie sich bewegt, ist sie ein Gedicht." Das muss echte Liebe sein.