Der Shutdown ging schnell, der Exit wird dauern. Die saarländischen Kammern verlangen mehr Geld für die Wirtschaft, klar ist aber auch: Wer bereits vor den Beschränkungen in wirtschaftliche Schieflage geraten war, wird womöglich auf der Strecke bleiben.
Fußgängerzonen, die aktuell Geisterstädten ähneln. Betriebe in Kurzarbeit. Seit Wochen geschlossene Ladenlokale. Verunsicherte Dienstleister. Kaum eine Branche, die nicht von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen ist. Ohnehin waren die Zeiten für die Saar-Wirtschaft nicht rosig, schon vor dem Virus fuhren Betriebe Kurzarbeit oder planten Stellenabbau, vor allem in der Automobilbranche und in den Stahlwerken des Landes.
„Die wirtschaftliche Entwicklung bewegt uns aktuell alle", sagt Thomas Otto, Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer des Saarlandes (AK). „Wie bekommen wir nach dem Lockdown die Wirtschaft wieder zum Laufen?" Eine Frage, mit der sich aktuell Politik, Kammern und Unternehmen auseinandersetzen müssen. „Das ist eine andere Dimension als eine Konjunkturkrise." Die Arbeitskammer hatte bereits vor einiger Zeit einen Industrie- oder Transformationsfonds ins Gespräch gebracht. Die Corona-Krise habe dessen Notwendigkeit nun weiter verstärkt. „Wir glauben, dass der Staat gerade jetzt in der Krise Unternehmen auch finanziell unter die Arme greifen muss, um langfristig Beschäftigung zu sichern. Hier muss der Staat als investiver Unternehmer agieren. Das ist mit Sicherheit ein Paradigmenwechsel, aber der ist notwendig", so Otto. Aber wie soll sich ein solcher Fonds finanzieren? „Dazu muss es aber für die Politik ein Ende der finanzpolitischen Selbstbeschränkung durch die Schuldenbremse geben. Das ist nicht nur Auffassung der AK, sondern auch anderer Wirtschaftsinstitute", so Thomas Otto. „Der Staat kann sich viel Handlungsspielraum wieder holen." Doch auch eine Vermögensabgabe müsse in diesem Zusammenhang diskutiert werden. „Wir meinen hier nicht den Mittelstand oder Menschen mit größerem Privatvermögen, sondern die Superreichen, bei denen eine solche Abgabe problemlos möglich wäre. Wir haben auch immer noch Großkonzerne, die keine oder kaum Steuern zahlen – beispielsweise große Online- und Internetkonzerne", erläutert er.
Auch die Industrie- und Handelskammer Saarland (IHK) sowie die Handwerkskammer des Saarlandes (HWK) haben sich Gedanken um Maßnahmen gemacht, möglichst vielen Unternehmen aus der Krise zu helfen. „Das Saar-Handwerk ruft dazu auf, in der Corona-Krise weiterhin Handwerksunternehmen zu beauftragen", sagt HWK-Präsident Bernd Wegner. Mit diesem Appell wolle man sich nicht nur an die öffentliche Hand und Gewerbekunden wenden, sondern insbesondere auch an verunsicherte Privatkunden. „Das ist im Interesse der Auftraggeber und Kunden und sichert saarländische Arbeits- und Ausbildungsplätze."
Die Situation im Handwerk sei angespannt. „Die meisten Gewerke des Handwerks dürfen zwar grundsätzlich weiterhin ihre Leistungen anbieten und Aufträge in Privathaushalten, auf Baustellen oder in öffentlichen Einrichtungen ausführen. Auch Ladengeschäfte von Handwerksunternehmen dürfen ab Ende April wieder öffnen. Aber ohne Folgen bleiben die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einschränkungen auch für unsere saarländischen Handwerkerinnen und Handwerker nicht", führt der HWK-Präsident aus. Das betreffe zum Beispiel die Friseurbranche, die den Betrieb vor einigen Wochen komplett einstellen musste, aber auch Handwerker, die aktuell viele Terminabsagen erhalten, weil der Kundenkontakt bei ihren Tätigkeiten innerhalb von Gebäuden nicht vermieden werden kann. „Viele saarländische Handwerksunternehmen zeigen in der aktuellen Krise ihre Innovationsfähigkeiten", lobt Wegner. „Betriebe haben innerhalb weniger Tage ihre Produktpalette und ihr Dienstleistungsangebot an die neuen Marktbedarfe angepasst und bieten zum Beispiel verstärkt Lösungen zum Infektionsschutz wie Raumtrenner und Spuckschutze, Behelfsmasken oder Visiere an." Neben diesen neuen Ideen müssen aber auch einige Branchen ihre aktuelle Produktion anderweitig umstellen. So berichtet die HWK, dass Bäcker aktuell mehr Brot als Kuchen oder Metzger mehr verpackte Fleisch- und Wurstwaren als üblich verkaufen.
„Möglichst schnell zu geregelter Normalität"
„Ich befürchte, dass wir ein Stück weit Wirtschaftskraft verlieren werden, weil nicht alle Unternehmen so aus dieser Krise herauskommen werden, dass sie danach weitermachen können", ergänzt IHK-Hauptgeschäftsführer Heino Klingen. „Ganz speziell sehe ich da Probleme im Bereich der Restaurants und Gastronomie. Diese dürfen nach den neuesten Regelungen immer noch nicht öffnen. Das könnte für einige Betriebe eine existenzielle Notlage bedeutet." Die Politik müsse hier dringend nachsteuern. Ein Rettungsschirm für den Bereich Gastronomie könne eine Möglichkeit sein. „Es werden nicht alle schaffen. Aber wir müssen versuchen, möglichst alle zu retten." Die IHK befinde sich in einem steten Dialog mit den Unternehmen, aber auch der politischen Ebene. So sollen nicht nur politische Entscheidungen in Unternehmen hereingetragen werden, sondern auch Forderungen der Handelsunternehmer an die Politik herangetragen werden. Das betraf beispielsweise auch die Soforthilfen für größere Unternehmer mit mehr als zehn Mitarbeitern. „Das haben wir relativ schnell angemahnt, und das Land hat dann auch sofort nachgelegt und ein Hilfsprogramm für größere Unternehmen aufgelegt", so Klingen.
Neben den wirtschaftlichen Folgen seien es aber besonders die gesellschaftspolitischen Fragen, die man nicht außer Acht lassen sollte, mahnt die AK. „Wenn wir diese Krise nicht gerecht lösen, dann wird sich die gesellschaftliche Ungleichheit weiter verschärfen", so Otto. Die Kriterien guter Arbeit müssten wieder stärker in den Mittelpunkt des politischen Handelns gerückt werden. Gerade die Wertschätzung mancher Berufsgruppen, wie der Pflege oder des Einzelhandels, müsse langfristig gestärkt werden –
vor allem durch höhere Löhne und mehr Personal, um den Arbeitsalltag zu entlasten. „Das menschengerechte Gestalten der Arbeit muss wieder in den Mittelpunkt rücken – unter anderem beim Thema Arbeitszeit."
Doch auch die Aufstockung des Kurzarbeitergelds ist ein Thema, das viele bewegt. „Gerade Alleinerziehende oder Niedriglöhner und Minijobber können hier in nicht zumutbare Verhältnisse geraten. Die Politik muss hier echte Konzepte zur Armutsvermeidung aufstellen und das Kurzarbeitergeld endlich auf mindestens 80 Prozent aufstocken. So wie es andere europäische Länder schon lange tun", fordert Otto. Die Juristen der Beratungsabteilung der Arbeitskammer haben in der Corona-Krise viel mit von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmern zu tun und seit April auch immer häufiger mit jenen, die jetzt ihre betriebsbedingte Kündigung wegen der Corona-Krise bekommen haben. Eine Entwicklung, die den AK-Geschäftsführer sorgt. „Wir müssen möglichst schnell wieder eine geregelte Normalität finden."
Auch Wolfgang Herges, Sprecher der Familienunternehmer im Saarland, wünscht sich rasch mehr Normalität. Diese wird aber nicht für alle gelten. „Tatsache ist: Wer vor Corona schon in Schieflage geraten war, wird es nicht schaffen", so der Chef eines Blech- und Stahlbauunternehmens aus St. Ingbert. Für ihn kommt die Krise zeitversetzt. Aktuell hat sein Betrieb noch zu tun, arbeitet aus Gesundheitsgründen in zwei Schichten, ohne Kurzarbeit. Das erste Quartal lief gut, die Auftragslage im April erscheint schlecht. Das ohnehin volatile Projektgeschäft ist erlahmt. Baustellen sind bis in den Mai hinein geschlossen, längerfristige Verträge gibt es keine. Die Probleme für seine Firma sind sehr unterschiedlich: So arbeitet das Baugewerbe oftmals mit ausländischen Subunternehmern, diese aber dürfen derzeit nicht einreisen; die Zulieferung von technischen Zeichnungen stockt, weil es bei einigen Partnern noch Probleme im Homeoffice gibt. „Und unsere Angestellten fragen, ob sie jetzt überhaupt Urlaub nehmen sollen, weil sie nirgendwo hinfahren können. Was ist aber, wenn das Geschäft später im Jahr anzieht und dann jeder Urlaub haben möchte?" Herges braucht also keine Exit-Strategie, sondern eine Perspektive. Aber die ist nicht immer nur mit Geld zu bezahlen.