Wie nachhaltig ist die deutsche Waldwirtschaft wirklich? Während die Anhänger der klassischen Forstwirtschaft darauf verweisen, dass die ökonomische Nutzung den Wäldern auch ökologisch guttut, warnen andere, der Wald würde kaputt gewirtschaftet.
In Deutschland rühmt man sich nicht ohne Grund einer nachhaltigen Forstwirtschaft. Immerhin kann diese hierzulande auf eine über 300-jährige Tradition zurückblicken. Der Begriff Nachhaltigkeit stammt sogar ursprünglich von dort: 1713 wurde er angesichts einer zunehmenden Holznot erstmals von Hans Carl von Carlowitz, Oberberghauptmann in Kursachsen, verwendet, der in seinem Werk „Sylvicultura oeconomica" damals den bis heute gültigen Grundsatz formulierte, dass immer nur so viel Holz geschlagen werden sollte, wie durch planmäßige Aufforstung wieder nachwachsen kann.
Von Carlowitz begriff diese Nachhaltigkeit anfangs noch rein wirtschaftlich. Ziel war in erster Linie eine dauerhafte Sicherung kontinuierlicher Holzlieferungen vor allem für den Bergbau. Andere Aspekte wie der Naturschutz rückten erst später in den Fokus. Mit der Zeit setzte sich jedoch die Erkenntnis durch, dass der Wald nicht nur als Rohstoffquelle dient, sondern auch als Grundlage für den Arten-, Boden-, Klima- und Wasserschutz sowie für Freizeit und Erholung der Bevölkerung. Gleichwohl bleibt das wirtschaftliche Interesse der Waldbesitzer immanent. Wobei die Anhänger der klassischen Forstwirtschaft gern darauf verweisen, dass die ökonomische Nutzung den Wäldern auch ökologisch gut tut. Dass Deutschland europaweit über die größten Holzvorräte verfügt, insgesamt 3,7 Milliarden Kubikmeter, sei nicht zuletzt der langen Tradition einer ordnungsgemäßen Forstwirtschaft zu verdanken, meint etwa Karsten Spinner, Geschäftsbereichsleiter Forstwirtschaft bei der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände.
Die AGDW ist der wichtigste Interessenverband der nichtstaatlichen Forstwirtschaft in Deutschland; er vertritt die Interessen der privaten und körperschaftlichen Waldbesitzer, die zusammen über rund zwei Drittel der nichtstaatlichen Waldfläche verfügen. „Unser Wald ist eine Kulturlandschaft, die in dieser Form erst vom Menschen aufgebaut wurde und die demzufolge auch gepflegt und bewirtschaftet werden muss", sagt Karsten Spinner.
Deutschland verfügt europaweit über die größten Holzvorräte
Allerdings werfen Kritiker den Forstwirten vor, dabei oft das rechte Maß zu verlieren. Vor allem die fast schon industrialisierte Holzernte mithilfe schweren Geräts sorgt für Probleme, weil dadurch viel Waldboden zerstört wird und zudem breite Rückegassen in den Wald geschlagen werden müssen, auf denen die Harvester-Maschinen operieren. Zudem wird den Wäldern häufig unnötig viel Biomasse entzogen, wodurch ihnen wertvolle Nährstoffe fehlen und zugleich der Wasserrückhalt sinkt. Zwar hat mit den Waldschäden der 1980er-Jahre und mehreren verheerenden Stürmen in den 1990ern, von denen jeweils die Fichtenmonokulturen besonders stark betroffen waren, ein gewisses Umdenken eingesetzt – seitdem findet sich in vielen Wäldern eine größere Vielfalt von Baumarten. „Aber insgesamt würden wir uns doch mehr Innovation wünschen", meint Ralf Straußberger vom BUND Naturschutz in Bayern, dem ältesten und größten Umweltschutzverband des Freistaats. Straußberger ist selbst Waldbesitzer. Er sagt: „Gerade in der Klimakrise wäre es an der Zeit, die Konzepte zu überdenken. Aber häufig bleibt die Vorgehensweise die gleiche, bloß mit anderen Baumarten."
Man könne die privaten Waldbesitzer allerdings nicht zwingen, ihre Wälder fortan nicht mehr zu bewirtschaften, weiß auch Ralf Straußberger. „Das käme einer Enteignung gleich." Gefragt sei vielmehr eine andere Art des Wirtschaftens. Für eine Art Gegenentwurf zur klassischen Forstwirtschaft steht dabei das sogenannte Lübecker Konzept einer naturnahen Waldnutzung, das Mitte der 1990er-Jahre für den Lübecker Stadtwald entwickelt wurde und seitdem zu einem weltweiten Vorbild für nachhaltiges Waldmanagement geworden ist.
Leiter Knut Sturm hat Forstwirtschaft sowie Ökologische Umweltsicherung mit dem Schwerpunkt Landschaftsökologie studiert, danach arbeitete er unter anderem als Referatsleiter für Waldökologie im saarländischen Wirtschaftsministerium. Er meint: „Manchmal vermisse ich bei meinen Forstkollegen die Fähigkeit, sich von alten Zöpfen zu trennen, die vor 150 Jahren vielleicht richtig waren, heute unter ganz anderen Rahmenbedingungen aber falsch sind." Die Forstwirtschaft sehe sich allzu oft als die Krone der Waldschöpfung: „Sie behandeln den Wald so, als ob er ohne sie nicht überleben würde, aber das ist ein Trugschluss. Wenn Sie einen Förster darauf ansprechen, wie er seine Pflege im Wald beurteilt, wird er nie auf die Idee kommen, sie als Störung im System zu betrachten. Aber genau das ist sie", sagt Sturm. Entsprechend würden sich sämtliche Nachhaltigkeitskriterien an den menschlichen Bedürfnissen orientieren. „Ich glaube jedoch, dass sie eher aus dem Ökosystem selbst heraus abgeleitet werden müssen. Dafür ist allerdings ein viel tieferes Verständnis von Ökosystem Wald vonnöten", so Knut Sturm. Es geht ihm nicht darum, den Wald komplett sich selbst zu überlassen. Jedoch sollte der Mensch aus seiner Sicht nicht stärker in das System eingreifen, als es die Natur selbst tut. Auch in einem Naturwald gebe es Störungen; auch dort würden Bäume sterben und dadurch Lücken entstehen. „Auf diese systemimmanenten Störungen ist der Wald sogar ein Stück weit angewiesen, um sich seine gesamte Vielfalt zu erhalten", erklärt Sturm. Beim Lübecker Modell dienen mindestens zehn Prozent des Waldes als Referenzfläche. „Diese Gebiete beobachten wir genau und lernen daraus, was dort passiert", sagt Sturm – anschließend würden daraus die Rückschlüsse für das forstliche Handeln gezogen. „Das sollte die Obergrenze dessen sein, was wir unseren Wäldern zumuten."
„Ein viel tieferes Verständnis vonnöten"
Ein weiteres Prinzip des Lübecker Konzepts: Man arbeitet dort ausschließlich mit solchen Baumarten, die zur natürlichen Waldgesellschaft gehören und sich seit Jahrhunderten hierzulande etabliert haben. „Dabei betreiben wir gegen die anderen Bäume keinen Feldzug, sondern ziehen sie ganz behutsam aus dem System heraus", betont Knut Sturm. Er vermeidet deshalb auch ganz bewusst den Begriff Waldumbau. „Wir bauen nicht um, sondern stoßen lediglich einen Entwicklungsprozess an, den wir dann begleiten", sagt er.
Es bleibt die Frage nach der Wirtschaftlichkeit. Immerhin ist die Forstwirtschaft mit den nachgelagerten Wirtschaftsbereichen und über einer Million Arbeitsplätzen längst zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Anfangs warf das Lübecker Modell noch weniger Gewinn ab als vielerorts die klassische Forstwirtschaft, doch mittlerweile hat sich das Blatt teilweise gewendet. Knut Sturm behauptet sogar: „Im Moment verdienen nur wir Geld mit dem Wald. Und das mit deutlich weniger Aufwand. Langfristig ist es ein vernünftiges und tragfähiges System. Der klassische Betrieb, der in der Vergangenheit mit schnellwachsenden Nadelholzplantagen auf Gewinnmaximierung gesetzt hat, kann da im Augenblick nicht mithalten."
Tatsächlich befindet sich die klassische Forstwirtschaft aktuell in einer schwierigen Lage. Der Klimawandel setzt den Wäldern zu – Hitze, Trockenheit und Stürme bereiten den Forstwirten zunehmend Probleme. Vor allem die Fichten, eine sehr wasserbedürftige Baumart, sind im Trockenstress und damit umso anfälliger für den Borkenkäfer und andere Schädlinge. Viele Bäume müssen zwangsgenutzt werden, doch mit dem steigenden Holzangebot sinken zugleich die Preise. Kostete der Festmeter Fichte zu Spitzenzeiten knapp 100 Euro, liegt der Preis für „Schadholz" jetzt bei 30 Euro – er deckt kaum die Kosten, um die Bäume aus dem Wald zu holen. „Der Holzmarkt ist komplett am Boden. Das führt zu massiven Einkommensverlusten für die Besitzer, die das Geld eigentlich gerade jetzt bräuchten, um in den Waldumbau zu investieren", sagt Karsten Spinner von der AGDW. Der Verband fordert deshalb öffentliche Gelder als Unterstützung.
Die Douglasie gehört zu den neuen Baumsorten
Viele Baumbesitzer haben mittlerweile reagiert und setzen auf neue, klimatolerantere Baumsorten. Allen voran die Douglasie, die ursprünglich aus Nordamerika stammt. „Sie kommt zwar gut durch die Sommertrockenheit, aber sie braucht Niederschläge im Winter. Nur dann ist sie widerstandsfähig. Sie mag keine trockenen Winter", gibt Knut Sturm allerdings zu bedenken. Momentan sei es noch zu früh für eine Bewertung. „Es gibt eingeführte Baumarten, die sich bei uns etabliert haben, wie die Esskastanie in Süddeutschland, die einst die Römer mitgebracht haben. Das zeigt aber auch, über welche Zeiträume wir reden", so Sturm. Auf der anderen Seite leiden auch die alten Buchenwälder unter dem Klimawandel. Angesichts dieser neuen Herausforderung könnte die Frage der Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft bald ganz neu beantwortet werden.