Die global vernetzte Modewelt ist stark von den Folgen des Coronavirus betroffen und muss in Windeseile nach Antworten suchen, wie es in den nächsten Monaten weitergehen soll. Den wirtschaftlich und kulturell elementar wichtigen Fashion Weeks dürfte eine lange Auszeit bevorstehen.
Giorgio Armani gebührt im Nachhinein große Anerkennung für seine ebenso mutige wie richtige Entscheidung, seine Kollektion für den Herbst/Winter 2020/2021 Ende Februar 2020 unter Ausschluss der Öffentlichkeit präsentiert zu haben. Denn im Unterschied zu allen anderen Luxuslabel-Verantwortlichen weltweit hatte er offenbar wenige Tage vor Verhängung der Corona-Quarantäne den Ernst der Lage erkannt. Damit nahm er in Kauf, dass mit seinem Namen auf ewig die erste „Geistershow" der Fashion-Geschichte verbunden bleiben wird. Die Vorstellung der Kreationen konnte lediglich auf der hauseigenen Webseite und auf den Social-Media-Kanälen miterlebt werden.
Auf der direkt an Mailand anschließenden Pariser Fashion Week folgte niemand dem Beispiel Armanis, sämtliche Shows wurden an der Seine ohne größere gesundheitliche Schutzmaßnahmen wie geplant durchgeführt. Immerhin wurden den Gästen von Lanvin backstage Einweg-Gesichtsmasken zur Verfügung gestellt. Auch der belgische Designer Dries Van Noten ließ die Besucher seines Laufsteg-Defilees mit Masken und Handdesinfektionsmitteln versorgen. Und bei der Show der französischen Designerin Marine Serre waren immerhin die Models einigermaßen gegen das Coronavirus geschützt, trugen sie doch mit Hahnentritt und anderen Mustern verzierte Gesichtsmasken aus der Winterkollektion 2020/2021, die nicht nur ein hübsches Accessoire waren, sondern auch mit einer professionellen Filtrationstechnologie ausgestattet waren. Laut Hersteller können sie annähernd 100 Prozent der Umgebungsluft filtern und zusätzlich das Einatmen von Viren verhindern.
Dass die modischen Gesichtsmasken tatsächlich mal nicht nur als originelles Accessoire, sondern als Schutz von Leib und Leben zum Einsatz kommen würden, konnte natürlich auch Marine Serre, die die Masken schon 2018 aufgrund des Klimawandel-Themas in ihrer Kollektion gezeigt hatte, nicht voraussehen. „Plötzlich sind Mundschutz und Latexhandschuhe die neuen ‚Must-haves‘, Schutzkittel der eigentliche Luxus", so die „Süddeutsche Zeitung", „weil sie ein immer knapperes Gut darstellen."
Schon Wochen vor Schließung sämtlicher Boutiquen und Einzelhandelsgeschäften weltweit schwante der Branche nichts Gutes. Denn schon der Ausbruch des Coronavirus in China mit seinen verheerenden Folgen war für die Nobelmarken so etwas wie ein wirtschaftlicher Super-Gau. Schließlich ist das Land der Mitte als solches und mit seinen kauffreudigen Bewohnern, die global auf Shopping-Tour gehen, zusätzlich ein Riesenmarkt, der wegzufallen drohte. China hatte die USA 2019 erstmals als wichtigsten Modemarkt der Welt abgelöst. Stolze 35 Prozent aller globalen Luxuseinkäufe waren 2019 in China oder von Bürgern dieses Landes, die sich im Ausland aufhalten, getätigt worden.
Nicht mehr nur Accessoires
Daher dürften Verantwortliche vieler Labels derzeit erwartungsvoll Richtung China blicken und hoffen, dass die von der chinesischen Parteiführung mehrmals angekündigte Lockerung der strengen Ausgeh-, Quarantäne- und Einkaufsbestimmungen tatsächlich umgesetzt werden wird. Das könnte zur Folge haben, dass der von der Boston Consulting Group jüngst geschätzte Umsatzschaden der Corona-Krise für die Luxusmode-Branche von bis zu 40 Milliarden Euro womöglich etwas kleiner ausfallen könnte. Doch nicht nur die Luxus-Brands schauen nach China, sondern auch viele Marken des mittleren und unteren Preissegments. Viele lassen ihre Kleidung im Reich der Mitte produzieren, H&M beispielsweise bezieht 20 bis 30 Prozent aus chinesischen Werkstätten. Angesichts voller Ladenbestände dürfte aktuell der chinesische Produktionsausfall nicht so sehr von Belang sein (für die kommende Herbst-Winterkollektion sieht das natürlich ganz anders aus). Das Beispiel der Modeketten C&A oder H&M kann dies belegen, da beide Unternehmen Aufträge aus anderen asiatischen Ländern wie Kambodscha, Myanmar oder Bangladesch sehr zum Leidwesen der lokalen Näherinnen storniert hatten.
Aber auch wenn sich China wieder berappeln sollte, dürfte das Frühjahrs-Sommer-Geschäft 2020 für die Luxusmode ins Wasser gefallen sein. Noch nie zuvor war eine Saison so schnell gelaufen, bevor sie eigentlich angefangen hatte. In den geschlossenen Boutiquen und Einzelhandelsläden liegen die Kleidungsstücke gewissermaßen auf Eis, oder die Ware konnte noch gar nicht dorthin ausgeliefert werden. Mit der Auflösung der Verkaufssperre erwarten viele Experten eine gnadenlose Rabattschlacht, um im letzten Moment doch noch die prallvollen Lagerbestände der Sommerkollektionen loszuwerden und eine drohende Riesen-Insolvenzwelle abwenden zu können. Es kann allerdings noch gar nicht sicher ausgemacht werden, ob bei den potenziellen Kunden die nötige Kauflust vorhanden sein wird, da die Kunden das Einkaufen wegen Ansteckungsrisikos vielleicht meiden.
Nicht mal der erhoffte und allgemein auch erwartete Run auf das Online-Bestellen von Luxusartikeln hat sich in der Corona-Krise eingestellt, selbst der E-Commerce hat hierzulande unter deutlichem Orderrückgang zu leiden. Corona hat der Konsumlaune offenbar einen drastischen Dämpfer versetzt, die potenziellen Kunden haben derzeit anderes im Kopf als den Kauf von Klamotten, Schuhen oder Fashion-Accessoires. „Wir haben im Modehandel noch immer die Erfahrung gemacht", so der Präsident des Bundesverbands des Deutschen Textileinzelhandels Steffen Jost, „dass ein verlorener Konsum nicht nachgeholt wird." Kein Wunder also, dass 13 führende Unternehmen des hiesigen Fashion-Business mit Marc Cain, Marc O’Polo oder Mey an der Spitze von der Bundesregierung schon im März die Bereitstellung eines Liquiditätsfonds in Höhe von 850 Millionen Euro gefordert hatten.
Labels sitzen auf ihrer Saison-Ware
Auch für die internationalen Luxus-Labels sieht die nahe Zukunft ziemlich düster aus. Sie sitzen auf saisonaler Ware und haben Anfang des Jahres eine Herbst-Winterkollektion 2020/2021 präsentiert, die womöglich nur schwerlich irgendwo in ausreichender Menge und im nötigen Zeitrahmen hergestellt werden kann. Die für die Monate April und Mai geplanten Shows von Labels wie Gucci, Prada, Versace, Max Mara, Chanel oder Giorgio Armani für ihre kommenden Cruise-Kollektionen, die Zwischenkollektionen für Frühjahr-Sommer 2021, wurden längst abgesagt. Das Medium Internet kann dafür nur ein unzureichender Ersatz sein, was auch für das klassische Lookbook gilt. Die Wirkungskraft und Ausstrahlung einer richtigen Fashionshow kann damit niemals erzielt werden. Schließlich sind diese Events nicht nur wirtschaftlich enorm wichtig, sondern auch ein kulturelles Highlight. Aber diesbezüglich werden sich die Edelmarken wohl schnellstens nach einer Ersatzlösung umsehen müssen, da es aus heutiger Sicht mehr als fragwürdig sein dürfte, dass kommenden Herbst die vier großen Fashion Weeks von New York bis Paris durchgeführt werden können. Laut der „Neuen Zürcher Zeitung" sei es für viele Brands nun höchste Zeit dafür zu sorgen, dass sich mit ihren Produkten zur klaren Positionierung auf dem Markt eine Geschichte verbinden und erzählen lasse. Bezüglich des Storytellings könnten die großen Luxusmarken, so die „NZZ", „von den vielen jungen Labels, die derzeit immer wieder aus dem Boden von Instagram sprießen und allein durch Brand-Building auf Social Media erfolgreich wurden" noch vieles lernen.