Opernhäuser, Konzertsäle und Plattenläden sind geschlossen. Wie kommen Musikliebhaber jetzt an ihren „Stoff"? Die Lösung findet sich online: Die Naxos Music Library ist der größte Streamingdienst im Klassik-Bereich. Hunderte Labels stellen ihre Aufnahmen zur Verfügung.
Die vielfältig vernetzte Welt der Klassik ist von den derzeitigen Einschränkungen des öffentlichen Lebens besonders betroffen. Künstler leiden ebenso darunter wie Musikkritiker, Tonträger-Produzenten oder Konzertveranstalter.
„Gerade in wirtschaftlich unklaren Zeiten mögen manche Menschen Musik als Luxus abtun", meint Matthias Lutzweiler, Geschäftsführer des Labels Naxos Deutschland. „Doch Musik ist etwas Elementares: Sie berührt die Seele, spendet Trost und Kraft – gerade in schwierigen und unsicheren Zeiten. Es ist gewiss kein Zufall, dass sich die Menschen in den isolierten Ortschaften Italiens über die Musik miteinander verbinden." Unter anderem dank der Online-Musikbibliothek von Naxos, genannt Naxos Music Library (NML), brauchen Liebhaber und Profis im Musikbereich auch in diesen Tagen nicht auf Sinfonien und Opern, Kammermusik oder Chorgesang zu verzichten. Der weltweit größte und profilierteste Klassik-Streamingdienst bedient Bibliotheken und Hochschulen, aber auch Einzelpersonen. Der Inhalt, der komplett werbefrei angeboten wird, entspricht 150.000 CDs.
Ins Leben gerufen wurde die NML von Klaus Heymann. Der deutsche Unternehmer gründete das Label Naxos in den 80er-Jahren in Hongkong. Dessen Erfolg basierte darauf, mit osteuropäischen Sinfonieorchestern und eher unbekannten Dirigenten besonders preisgünstig zu produzieren, ohne Abstriche bei der musikalischen Qualität zu machen.
Die Anfänge der Naxos Music Library wiederum liegen in den 90er-Jahren. Der damals 60-jährige Heymann erkannte früh die Möglichkeiten des Internets für den Verkauf von Musik. Während die Branche über sinkende Verkaufszahlen in Geschäften klagte, eröffnete Naxos einen eigenen Onlineshop, bot 2002 sämtliche Veröffentlichungen digital über die eigene Webseite an – ein Jahr, bevor Apple mit seinem iTunes Music Store loslegte.
Erst kürzlich ist der Online-Auftritt komplett überarbeitet worden, bietet jetzt neue Funktionen wie das Speichern von Lieblingstracks. Nutzer verwenden entweder die Browser-Version oder installieren sich auf dem Mobiltelefon eine App für die Betriebssysteme iOS oder Android. Das Portal ist auch für Sehbehinderte zugänglich und entsprechend mit dem Level AA zertifiziert. So gibt es einen auffälligen Mauszeiger und eine Bildschirmlupe. „Das hat für uns auch ein ideelles Moment", meint René Zühlke, der für die „Digital Services" zuständig ist. „Wir wollen uns für Diversität einsetzen und möglichst vielen Nutzern ein Musikerlebnis ermöglichen."
So viel Musik wie auf 150.000 CDs
Das Register dieses Online-Archivs, das Naxos in mehr als zwei Jahrzehnten aufgebaut hat, umfasst mittlerweile 80.000 Interpreten und 42.000 Komponisten. Unterm Strich sind rund 100.000 Werke aus allen denkbaren Bereichen der Musikgeschichte erfasst: Standard- ebenso wie Nischenrepertoire; vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Für die verfeinerte Recherche gibt es eine erweiterte Suchfunktion.
Was einst mit den hauseigenen Aufnahmen des Labels Naxos begann, ist inzwischen eine Sammlung der Kataloge von mehr als 870 Klassik-Labels. Die Bandbreite reicht von der Deutschen Grammophon über den Hänssler Verlag und Harmonia Mundi bis hin zu Sony Classical. Daneben gibt es reichhaltige Zusatzangebote. Abgesehen von der eigentlichen Musik enthält die Datenbank Infotexte, Werkanalysen, Biografien und CD-Booklets, ein Musikwörterbuch und ein Gehörbildungsprogramm. Noch ganz am Anfang steht die neue Plattform Naxos Musicology International, auf der sich Forscher und Musikwissenschaftler über ihre Erkenntnisse austauschen können.
Ein Team von mehr als 40 Musikwissenschaftlern kümmert sich um all das, prüft und erfasst die Aufnahmen, fügt Neues hinzu und verknüpft es mit den bestehenden Einträgen. Technik-Teams in Hongkong und Manila sorgen für den Schutz vor Hackern und technischen Pannen. Die meisten Kunden der NML sitzen in den Vereinigten Staaten, gilt doch das Land als Vorreiter der Digitalisierung. Aber auch hierzulande bieten zahlreiche Musikhochschulen, Universitäts- oder Stadtbibliotheken ihren Mitgliedern einen Zugang im Rahmen einer institutionellen Lizenz an, darunter die Musikhochschulen in Dresden oder Frankfurt, das Musikwissenschaftliche Seminar der Universität Göttingen oder die Universitätsbibliothek Tübingen. In Berlin bietet der Verbund der Öffentlichen Bibliotheken Berlins (VÖBB) allen Inhabern des Bibliotheksausweises den kostenlosen Zugang zur Naxos Music Library.
Man sehe sich als verlässlichen Partner im Bildungssektor, sagt Matthias Lutzweiler, der Geschäftsführer von Naxos Deutschland. „Wenn wir an die Digitalisierung in den Schulen und auch Musikschulen denken, wird klar, dass sich hier noch einiges bewegen muss, damit Deutschland international betrachtet nicht den Anschluss verliert."
Datenbank mit Mehrwert
In Zeiten der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus ist das Interesse der Institutionen deutlich größer geworden. „Wir bemerken derzeit größere Aktivität auf dem Portal und zahlreiche Anfragen von Musikschulen und Bibliotheken, die erkennen: ‚Genau das brauchen wir jetzt‘", sagt René Zühlke.
Die Kosten für die Institutionen sind gestaffelt nach der maximalen Anzahl der gleichzeitigen Zugänge und nach der Klangqualität, die in zwei Stufen bereitgestellt wird, Standard und Premium. Daneben gibt es Lizenzen für individuelle Nutzer; viele von ihnen sind Lehrer, Musiker, Mitglieder in Chören und Orchestern oder aber Freiberufler im Musikbereich.
Auf werbefinanzierte Gratismodelle verzichtet Naxos aus Prinzip. „Die Plattform der Music Library für sich genommen rechnet sich noch nicht", gibt René Zühlke zu. „Aber der Naxos-Konzern insgesamt schreibt schwarze Zahlen."
Matthias Lutzweiler weist darauf hin, dass das Label derzeit viele Menschen unterstützt, deren wirtschaftliche Lage von der Musik abhängt.
Lutzweilers Tipp für die Zeiten von Ausgangsbeschränkungen und Quarantäne: „Lesen Sie mal wieder eine gute Zeitschrift für klassische Musik und Jazz, hören Sie mit Kindern oder Partner daheim Musik – bewusst, konzentriert, ohne Ablenkung. Lassen Sie sich durch Musik inspirieren, ermutigen und trösten."