Die Streetball-Variante 3x3 erfreut sich auch hierzulande wachsender Beliebtheit. Der Verband fördert den jungen Sport – und Deutschlands Basketballerinnen träumen bereits von einer Olympiateilnahme.
Eigentlich stünde in der Frauenbasketball-Bundesliga in diesen Tagen das Finale an, am ersten Maiwochenende sollte der deutsche Meister feststehen. Doch wegen des Coronavirus wurde auch in der DBBL die Saison vorzeitig abgebrochen. Svenja Brunckhorst, Leonie Fiebich und Trainerin Sidney Parsons vom Spitzenclub TSV 1880 Wasserburg haben die unverhoffte Freizeit für einen guten Zweck genutzt. Das Trio engagiert sich beim Lieferservice eines örtlichen Kaufhauses und bringt Menschen aus der sogenannten Risikogruppe ihre Bestellungen nach Hause. Dabei wird vor allem Svenja Brunckhorst bestätigen, dass auch beim Basketball manchmal schon drei Leute genügen, um Großes zu bewerkstelligen. Bei den Europaspielen 2019 in Minsk verpasste die Nationalspielerin mit dem deutschen Team als Vierter nur knapp eine Medaille in der Streetball-Variante 3x3. Nach makelloser Bilanz in der Vorrunde und einem deutlichen Sieg im Viertelfinale gegen Spanien unterlag die DBB-Auswahl im Halbfinale hauchdünn gegen Frankreich sowie anschließend auch im Spiel um Platz drei gegen Gastgeber Weißrussland. Dennoch war es das beste internationale Ergebnis für den deutschen Frauenbasketball bei den Erwachsenen seit dem Gewinn der Bronzemedaille bei der Basketball-EM 1997 – damals noch in der klassischen Variante Fünf-gegen-Fünf.
Auf einmal schien sogar Olympia in Reichweite. Durch die guten Resultate ergatterten die deutschen 3x3-Damen einen der begehrten Plätze für das Qualifikationsturnier in Indien, bei dem 20 Nationen Mitte März insgesamt drei Startplätze für die Olympischen Spiele in Tokio ausspielen sollten. Dort wird die 3x3-Variante erstmals olympisch. Zwar wurde auch dieses Turnier ebenso wie die Spiele selbst wegen der Corona-Pandemie vorerst verschoben. Den weiteren Aufschwung des 3x3 in Deutschland kann das aber nur kurzzeitig bremsen. „3x3 hat unfassbar viel Potenzial und gibt dem gesamten Basketball einen ganz neuen Push. Das ist eine coole Plattform, total urban und zieht junge Menschen", schwärmte Svenja Brunckhorst erst kürzlich gegenüber dem Basketballmagazin „BIG". Beim Finale um die deutsche Meisterschaft an einem Samstagabend auf der Hamburger Reeperbahn seien viele Zuschauer gar keine Basketballfans gewesen. „Sie fanden es aber trotzdem cool: wegen der Musik, des Entertainments, des Lifestyles." Auch andernorts finden die Events oft mitten im Stadtzentrum statt, auf dem Platz vor dem Hauptbahnhof ebenso wie am Kölner Rheinufer. Für Svenja Brunckhorst hat die moderne Variante des Basketballs das Potenzial, einen ähnlichen Siegeszug anzutreten wie Beachvolleyball, der die Hallenvariante beim breiten Publikum längst abgehängt hat. „Ich glaube, es ist nur eine Frage der Zeit, bis 3x3 ähnlich populär wie Beachvolleyball wird", sagte sie dem „BIG"-Magazin.
In der DBBL wurde die Saison vorzeitig abgebrochen
Die Regeln beim 3x3 unterscheiden sich zum Teil deutlich von denen beim klassischen Hallenbasketball. Bei dieser Spielform treten zwei Mannschaften mit je drei Spielern auf einem kleineren Feld mit nur einem Korb gegeneinander an. Die Spielzeit beträgt höchstens zehn Minuten; sobald ein Team 21 Punkte erzielt hat, ist die Partie vorzeitig beendet. Für einen Korb gibt es beim 3x3 einen Punkt (in der Halle zwei), Treffer von jenseits der Dreierlinie zählen zwei statt wie drinnen drei Punkte. Ein Dreier ist demnach doppelt so viel wert wie ein Korbleger und damit noch wertvoller als in der Halle, was sich auch auf das Spielgeschehen auswirkt. 3x3-Basketball ist außerdem deutlich körperbetonter, die Schiedsrichter pfeifen weniger ab – vielleicht eine Reminiszenz an die Ursprünge des Streetballs auf amerikanischen Hinterhöfen. Weil das Spiel zudem kaum Verschnaufpausen bietet, ist es aus Sicht einiger Sportler sogar noch anstrengender als die Hallenvariante.
Auch taktisch gibt es deutliche Unterschiede zum klassischen Basketball. Beim 3x3 wird dabei weniger in festen Systemen gespielt – dafür spielt das Eins-gegen-Eins eine viel größere Rolle. Wegen der verkürzten Angriffszeit stehen einer Mannschaft lediglich zwölf Sekunden zur Verfügung, um auf den Korb zu werfen, statt wie sonst 24. Da ist Eigeninitiative gefragt: Die Spieler müssen ihren eigenen Wurf kreieren und können nicht darauf warten, dass sie von ihren Mitspielern freigespielt werden. „Normalerweise passt man solange, bis jemand einen freien Wurf bekommt, aber so viel Zeit hat man bei 3x3 einfach nicht", erklärte Nachwuchs-Nationalspielerin Victoria Poros von Alba Berlin der „Berliner Morgenpost". Auch Svenja Brunckhorst meinte: „Beim 3x3-Basketball wird die Individualität gefördert. Man wird automatisch mutiger, weil weniger Leute auf dem Feld stehen und man sich nicht mehr verstecken kann."
Jeder einzelne Spieler muss also mehr Verantwortung übernehmen. Davon profitieren die Spieler dann wiederum auch in der Halle. „Es ist definitiv so, dass ich jetzt ein bisschen freier, ein bisschen kreativer spiele als zuvor", so Brunckhorst im „BIG"-Magazin. Ihre Mitspielerin aus Wasserburg, Manuela Scholzgart, erklärte dem Blatt, Brunckhorst habe „jetzt einige Bewegungen drauf, die man vorher nicht von ihr kannte, zum Beispiel den Spin-Move. Oder auch einige spektakuläre Pässe, bei denen ich mir immer denke: Wie zur Hölle ist dieser Ball jetzt bloß wieder angekommen?"
Deutlich körperbetonter
Dabei hatte man hierzulande die Entwicklung im 3x3 zunächst verschlafen. Erst seit ein paar Jahren unternimmt der Deutsche Basketball-Bund (DBB) nun verstärkte Anstrengungen, um international den Anschluss zu schaffen. Mit Erfolg, denn neben dem vierten Platz der Frauen bei den letztjährigen Europaspielen stehen weitere gute Resultate zu Buche. So qualifizierten sich die Frauen sogar schon 2017 für die WM, was beim Fünf-gegen-Fünf bislang erst ein einziges Mal – 1998 bei den Weltmeisterschaften im eigenen Land – gelungen war; bei der weiblichen U18 sprang bei der EM im vergangenen Jahr sogar die Silbermedaille heraus. Lediglich die Spanierinnen waren im Endspiel zu stark. Albas Victoria Poros gewann bei diesem Turnier darüber hinaus die Goldmedaille im Shootout. Bereits in der Qualifikation traf sie sieben von zehn Würfen von der Dreierlinie, im Finale waren es dann zehn von 15 sowie ein Bonustreffer aus etwa neun Metern Entfernung. Der Wettbewerb lief geschlechterübergreifend, doch mit dieser Leistung konnten auch die männlichen Kollegen nicht mithalten.
Mit aller Macht will der DBB das 3x3 in Deutschland vorantreiben. Seit 2016 gibt es hierzulande eine eigene 3x3-Ausbildung für Schiedsrichter; zudem hat der Verband in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen, um die Spielform im Schulsport zu etablieren. Bereits seit 2013 wird eine Deutsche Meisterschaft ausgespielt, daneben existieren mehrere Turnierserien. Die Veranstaltungen werden als urbane Events mit Live-DJs und Streetfood zelebriert. Zum Programm gehören meist auch ein Dunking- und Shootout-Wettbewerb. Dabei können beim 3x3 Profis auf Amateure treffen, NBA-Stars duellieren sich mit Kreisligaspielern. Selbst der derzeit beste deutsche Basketballer Dennis Schröder von Oklahoma City Thunder ließ es sich in der Vergangenheit nicht nehmen, bei einigen Turnieren dabei zu sein. Reine 3x3-Spezialisten gibt es in Deutschland bislang aber nur wenige. Und solange es noch keinen separaten Ligaspielbetrieb in dieser Variante gibt, was in einigen anderen Ländern bereits der Fall ist, dürfte sich das auch erst einmal nicht ändern.
Die Spielform soll im Schulsport etabliert werden
Der SK Heuchling aus der Nähe von Nürnberg war wohl der erste Verein, der komplett auf den Streetball setzt. Gerade für kleinere Vereine bietet die Straßenversion eine große Chance, sich zu profilieren, weil Erfolge dort auch schon mit deutlich weniger Spielern möglich sind. Das gilt in gewisser Weise auch für das Nationalteam. Wenn die Corona-Krise überstanden ist, wollen Svenja Brunckhorst und ihre Kolleginnen im zweiten Anlauf das Ticket für Tokio lösen. Beim Fünf-gegen-Fünf kann das DBB-Team davon nur träumen. Auch wenn erst kürzlich drei weitere Deutsche für die US-Profiliga WNBA gedrafted wurden – unter anderem wechselt die anfangs erwähnte Leonie Fiebich 2021 zu den Los Angeles Sparks –, dürfte es in der klassischen Variante noch ein paar Jahre länger dauern, ehe Deutschlands Damen auch dort wieder auf der größten Bühne des Weltsports mitmischen.