Am Ende soll für den Berliner Pannenflughafen doch noch alles gut werden: Mitten in der Luftfahrtkrise wird der Großflughafen BER nun eröffnet. Der Vorteil dank Corona: ohne Passagiere keine Probleme. Das Geheimnis: T5.
Es gibt auf dem fast fertigen BER eine bösartige Schmonzette: „Engelbert hat das Coronavirus eingeschleppt, um im Oktober ganz in Ruhe den Flughafen anlaufen lassen zu können." Gemeint ist BER-Chef Engelbert Lütke Daldrup, der mit harter Hand den neuen Großflughafen Berlin-Brandenburg nun doch noch zum erfolgreichen Ende geführt hat. Das Terminal T1 wurde Ende April vom Tüv tatsächlich vollständig abgenommen. Für berlin-brandenburgische Verhältnisse fast ein Wunder. Man kann also doch Flughafen. Am 31. Oktober wird dieser nun tatsächlich eröffnet, 14 Jahre nach dem ersten Spatenstich und mit neun Jahren Verspätung in der Eröffnungsplanung. Die Schmonzette beruht darauf, dass der Flughafen zwar 2012 praktisch halbwegs fertig war, aber unter anderem dem Passagiertest mit 25.000 Statisten nicht einmal ansatzweise standgehalten hat. Ganz abgesehen von den Dübeln und den Feuerschutzvorkehrungen.
Es brauchte neun weitere Jahre des Umbaus: Die Sprinkleranlagen funktionieren unterdessen, die Dübel wurden inzwischen zugelassen und bei der Eröffnung am letzten Sonntag im Oktober hat man vermutlich auch das überaus lästige Problem mit den Passagieren im Griff – Corona sei dank: Der Ansturm bei der Eröffnung des BER wird voraussichtlich überschaubar sein. Der internationale Tourismus ist seit Anfang April weltweit völlig zusammengebrochen und damit auch der Flugverkehr. Auf den beiden Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld wurden noch im Februar pro Tag durchschnittlich 100.000 Reisende abgefertigt. Anfang Mai waren es noch 1.000 Fluggäste. Noch ein Prozent, rechnete Lütke Daldrup nach der Aufsichtsratssitzung Ende April vor. Die weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amtes gilt noch mindestens bis Mitte Juni, viele vermuten aber bis Anfang September. Man braucht also keine Glaskugel um zu ahnen, dass der Flugverkehr auch Ende Oktober noch am Boden liegen wird. Der amerikanische Flugzeugbauer Boeing geht davon aus, dass erst Ende 2023 die weltweiten Fluggastzahlen wieder das Niveau von 2019 erreicht haben werden, mit viel Glück. Da ist der Großflughafen Berlin-Brandenburg genau zum richtigen Zeitpunkt fertig geworden: Für eine ruhige Eröffnung, eben ohne störende Passagiere und nervende Flugzeuge, die starten und landen sollen.
Aktuell fliegen nur noch 1.000 Passagiere am Tag
Wirtschaftlich gesehen ist diese Ruhe allerdings ein völliges Fiasko für Berlin, Brandenburg und den Bund, die Gesellschafter des Airports. Bereits vor sieben Jahren ergab eine interne Studie des Bundesverkehrsministeriums, die FORUM vorliegt, dass der neue Großflughafen jährlich Anlaufverluste von bis zu 600 Millionen Euro generieren wird. Über den Zeitraum dieser Anlaufverluste, also ein, zwei oder drei Jahre, schwieg man sich in der internen Studie aus. Damals, im Sommer 2013, stand man vor dem fünften, immer wieder verschobenen Eröffnungstermin im Oktober. Doch wenn schon 600 Millionen Euro Verlust pro Jahr in den Boomzeiten des Flugverkehrs für den BER prognostiziert wurden, so sieht die finanzielle Zukunft jetzt wirklich düster aus. Lütke Daldrup musste zähneknirschend bestätigen, dass sein Unternehmen bis Ende 2023 einen Mehrbedarf von sage und schreibe 1,5 Milliarden Euro benötigen werde. Das Alarmierende an den ohnehin katastrophalen Zahlen: Die Aufrechnung wurde vor dem Zusammenbruch des internationalen Flugverkehrs gemacht. Die Corona-Auswirkungen sind also noch gar nicht eingerechnet. Eine Insolvenz der Flughafengesellschaft könnte damit nur noch eine Frage der Zeit sein, befürchten Analysten. Flughafen-Chef Lüdtke Daldrup verweist auf Nachfrage auf die Zukunft: Wenn der Flugverkehr wieder läuft, werden es andere Zahlen sein und im Übrigen geht seine Finanzplanung bis 2037. Ob es dann die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH in ihrer heutigen Form noch gibt, darf in Anbetracht dieser Aussichten bezweifelt werden.
Zum Vergeich: Allein der Betrieb des Flughafens Tegel ohne Passagiere kostet jeden Tag 200.000 Euro. Deswegen hat der Aufsichtsrat ab dem 1. Juni eine „zeitweilige Befreiung von der Betriebspflicht" für Tegel vorgeschlagen. Das würde heißen, der zivile Luftverkehr im Berliner Norden wird faktisch eingestellt. Berlin hätte dann nur noch den Flughafen Schönefeld. Lotsen, Feuerwehr und das Flughafenpersonal aus Tegel könnten also ihren Dienst dort antreten. Doch dagegen stemmt sich der Bund. Immerhin ist der Regierungsflughafen Teil des Flughafens Tegel und den möchte man doch gern aufrechterhalten. Was aber ohne Lotsen und Feuerwehr nicht geht. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer argumentiert – sehr zum Leidwesen der Tegel-Betreiber, dass der Flughafen Tegel zur kritischen Infrastruktur der Bundeshauptstadt gehört. Der Bund will also Tegel auf jeden Fall bis zum Betrieb auf dem BER offenhalten.
Trotz alledem hat Lütke Daldrup nun bei der Luftfahrtbehörde die Befreiung von der Betriebspflicht beantragt. Ende Mai solle dann endgültig entschieden werden, ob ab dem 1. Juni zumindest für zwei Monate der Flugbetrieb über Schönefeld läuft. Unwahrscheinlich ist das nicht, und klar ist, wenn der letzte deutsche Innenstadtflughafen vom Netz ist, dann war es das wohl.
Berlins Flugverkehr künftig ab Schönefeld?
Sollte Tegel aber wider Erwarten nicht vorzeitig geschlossen werden, hat die Flughafengesellschaft schon einen Plan B für die Zeit nach der Eröffnung des Großflughafens BER im Köcher. Die Ausgaben müssen runter: Der zu eröffnende BER ist in fünf Teile gegliedert: T1 bis T5. Terminal 1 ist das BER-Hauptgebäude, die große Abfertigungshalle in der pro Tag bis zu 80.000 Passagiere abgefertigt werden könnten. Die übrigen Terminals sind im Bau, beziehungsweise, wie T3 und T4, erst in Planung. T5 ist bereits im Betrieb – und zwar schon seit 1960: Es ist der alte Flughafen Schönefeld, der eigentlich für die Billigflieger vorgesehen war. Doch T5/Schönefeld-Alt soll nun bei der Bewältigung der wenigen Fluggäste die Hauptrolle spielen. Der Flughafen BER, also T1/Hauptterminal, wird am 31. Oktober offiziell eröffnet, aber die Abfertigungshalle für 80.000 Menschen am Tag ist für die erwarteten 1.000 völlig überdimensioniert. Wirtschaftlich macht das absolut keinen Sinn.
Darum soll laut internen Planungen der Flugverkehr für zwei Jahre nur über T5 laufen, also über Schönefeld-Alt. Aufmerksame Fluggäste würden die Änderung nur auf ihrem Flugticket bemerken: Aus „SXF" wird „BER". Der ehemalige Regierungsflughafen der DDR hat einen funktionierenden S-Bahn-Anschluss und noch vor zwei Jahren jeden Tag 35.000 Passagiere bewältigt. Bei den zu erwartenden Fluggastzahlen im Oktober dürfte es für den baulich in die Jahre gekommenen Alt-Flughafen ein Kinderspiel sein, den Flugverkehr für Berlin und Brandenburg abzuwickeln bis der Flugverkehr dann doch wieder zunimmt. Und bis dahin wäre dann auch der eigentliche Flughafen Berlin-Brandenburg, also T1, tatsächlich betriebsbereit – nachdem die Corona-Krise dem BER gut zwei Jahre Probezeit beschert hat.