BMX-Freestyle feiert in Tokio 2021 seine olympische Premiere. Auf einem Parcours mit Rampen, Sprüngen und anderen Hindernissen zeigen die Fahrer auf ihren Rädern spektakuläre Tricks. Die Berlinerin Lara Lessmann zählt zu den besten Fahrerinnen der Welt. Sie beherrscht einen Sprung, den keine andere Frau kann.
Der Crankflip Barspin ist bis heute ihr Alleinstellungsmerkmal. Als einzige Frau in der Welt beherrscht Lara Lessmann diesen Trick, bei dem die BMX-Freestylerin in der Luft gleichzeitig Lenker und Pedale loslässt und beides jeweils um 360 Grad dreht. Es ist ein waghalsiges Manöver, das dem Publikum jedes Mal aufs Neue den Atem verschlägt. Lessmann selbst zuckt dagegen mittlerweile fast gleichgültig mit den Schultern, wenn sie auf ihren Spezialtrick angesprochen wird. „Out" findet sie ihn inzwischen, langweilig, nicht mehr spektakulär genug. Ohne Rückwärts- und Vorwärtssaltos gehe es nicht mehr, erklärte sie im vergangenen Jahr im Gespräch mit der Deutschen Sporthilfe. „Die Fahrerinnen anderer Nationen schlafen nicht, sie holen und rüsten mächtig auf", sagte sie. Die Ankündigung im Sommer 2017, dass BMX-Freestyle bei den Spielen in Tokio erstmals olympisch sein wird, hat bei den Fahrerinnen für zusätzliche Motivation gesorgt und das Wettbewerbsniveau noch einmal deutlich erhöht. „Wenn Sie sich Videos der Weltmeisterschaften 2017 und von jetzt anschauen, sehen Sie einen großen Fortschritt. Nicht nur bei mir, sondern bei allen Frauen", so Lessmann.
Nach den BMX-Racern, die bereits seit 2008 bei Olympia dabei sind und sich rasante Rennen liefern, kommen nun also auch die BMX-Freestyler zu olympischen Ehren. Bei dieser Disziplin müssen die Fahrer einen Parcours mit Rampen, Sprüngen und anderen Hindernissen bewältigen, wobei sie auf ihren Rädern spektakuläre Stunts zeigen. Eigentlich war die olympische Premiere der fliegenden Radfahrer für diesen Sommer geplant. Wegen der Corona-Pandemie wurden die Olympischen Spiele in Japan jedoch um ein Jahr auf 2021 verschoben. Bis dahin bleibt Lara Lessmann noch viel Zeit, um ihr Repertoire auf der Rampe weiter auszubauen.
„Lara hat schon jetzt einen Haufen an Tricks in petto, und es macht so viel Spaß, ihr zuzuschauen, denn du hast keine Ahnung, welcher Trick kommen könnte. Die Zukunft ist sicher rosig für sie", hatten die Verantwortlichen der World Series bereits im vergangenen Jahr nur lobende Worte für die Berlinerin. Doch die 20-Jährige ruht sich darauf nicht aus. „Ich versuche jeden Tag, noch besser zu werden", sagt sie. Neue Tricks probiert sie zunächst an einer Schnitzelgrube aus Schaumstoff, ehe sie sich an eine kleine und später an immer größere Rampen herantraut. „Sicherheit ist das Wichtigste. Ich mache einen Trick nur dann, wenn ich weiß, dass ich ihn auch landen kann. Jeden Tag mache ich immer wieder denselben Trick, bis ich sicher bin, dass ich ihn zu 100 Prozent hinbekomme."
„Die Zukunft ist sicher rosig für sie"
Vor dem Wettkampf ist sie meist trotzdem sehr nervös, kriegt am Morgen davor oft kaum einen Bissen herunter. Doch wenn sie dann auf ihrem Fahrrad sitzt, ist die ganze Anspannung mit einem Mal wie weggeblasen. Am wichtigsten sei es, dass man im Wettkampf mit Freude bei der Sache ist, verriet sie schon vor längerer Zeit der „Berliner Morgenpost": „Wenn die Jury sieht, dass man Spaß dabei hat, dann ist das schon die halbe Miete."
Lara Lessmann hat gut lachen, schließlich zählt sie längst zu den besten BMX-Freestyle-Fahrerinnen der Welt. In der Weltrangliste des Radsportweltverbandes UCI steht sie auf Platz zwei, nur Weltmeisterin Hannah Roberts aus den USA rangiert noch vor ihr. Die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Tokio, an denen zunächst lediglich neun Athletinnen teilnehmen dürfen, ist ihr damit schon so gut wie sicher. Im Weltcup belegte Lessmann im vergangenen Jahr in der Gesamtwertung Platz drei, bei den Weltmeisterschaften in Chengdu (China) verpasste sie als Vierte nur knapp eine Medaille. Obwohl sie sich von der Qualifikation, über das Halbfinale bis zum Finale stetig steigerte, musste sie sich am Ende Hannah Roberts, Valentina Perez Grasset (Chile) und Charlotte Worthington (Großbritannien) geschlagen geben. Bei den vorherigen Welttitelkämpfen 2017 an gleicher Stelle hatte Lara Lessmann noch die Silbermedaille gewonnen. Ein Jahr später holte sie bei den Olympischen Jugendspielen in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires gemeinsam mit Evan Brandes die Goldmedaille für Deutschland in der Kategorie Mixed-BMX-Freestyle.
Allerdings dauerte es damals eine gewisse Zeit, bis die beiden wirklich im deutschen Team angekommen waren, wie Evan Brandes später der Deutschen Sporthilfe berichtete. Die Athleten der anderen Sportarten fremdelten anfangs noch etwas mit den Trendsportlern. „Anfangs hatte ich das Gefühl, dass wir als BMX-Freestyler eher argwöhnisch betrachtet wurden", erinnerte sich Brandes, „so nach dem Motto: Was wollen die denn hier, das sind doch gar keine richtigen Sportler." Das änderte sich zwar mit der Zeit. Auf der anderen Seite sind aber auch die BMX-Freestyler selbst durchaus geteilter Meinung, was die Aufnahme ihrer Sportart in das olympische Programm angeht.
Auf Platz zwei in der Weltrangliste
Die einen betonen die Vorteile: mehr Öffentlichkeit, mehr Nachwuchs, mehr Fördermittel und damit ganz neue Möglichkeiten, um neue Skateparks bauen zu lassen und größere Events zu organisieren. Wie sehr eine Randsportart davon profitieren kann, Teil eines größeren Multisportevents zu sein, haben zuletzt auf nationaler Ebene die „Finals 2019" in Berlin gezeigt, wo Fahrrad-Trial auf einmal unverhofft ins Rampenlicht rückte und viele Bewunderer fand.
Die Skeptiker sehen BMX-Freestyle dagegen als kaum kompatibel mit Olympia mit all seinen Regeln und Vorgaben – genau wie Skateboarden, das in Tokio ebenfalls olympisch wird. Sie kritisieren die extreme Kommerzialisierung der Spiele und den Mangel an Spontaneität und Kreativität, die BMX-Freestyle ansonsten auszeichnen. Und sie vermuten, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) ihre Sportart nur deshalb ins Programm genommen hat, um damit ein jüngeres Publikum anzusprechen und noch mehr Geld zu scheffeln. Oder wie es Skateboard-Legende Tony Hawk ausdrückte: „Olympia braucht uns mehr als wir Olympia."
Lara Lessmann hat sich dem Ziel Olympia dagegen fest verschrieben. Sie will als erste Olympiasiegerin Geschichte schreiben. „In Tokio will ich aufs Treppchen", sagt sie, „am liebsten ganz nach oben." Dabei profitiert die 20-Jährige einerseits von einer verbesserten Förderung, andererseits vom gestiegenen Interesse in der Privatwirtschaft. Seit einiger Zeit wird sie als erste BMX-Fahrerin weltweit vom Brausehersteller Red Bull finanziell unterstützt. Lessmann hat eine enorme Entwicklung genommen, seit sie sich als Neunjährige in ihrer Heimatstadt Flensburg erstmals auf einem BMX-Parcours versuchte. Ihr erstes BMX-Fahrrad bekam sie einst von den Großeltern, die damals wohl ebenso wenig ahnten wie sie selbst, was sich daraus entfalten würde. Schon bald war sie besser als die Jungs: Mit zwölf Jahren schlug sie die männliche Konkurrenz erstmals in einem wichtigen Wettkampf. Es folgten die ersten internationalen Wettbewerbe, wobei sie bei ihrem ersten Weltcup auf Anhieb Platz zwei erreichte – und das als jüngste Teilnehmerin im gesamten Feld.
„In Tokio will ich aufs Treppchen"
Mit 17 ging sie wegen der besseren Trainingsbedingungen nach Berlin. Dort trainiert sie im Mellowpark an der Wuhlheide, einem der größten Skateparks Europas. Mellowpark-Projektleiter Jens Werner ist zugleich BMX-Freestyle-Koordinator im Bund Deutscher Radfahrer, zudem ist auch Bundestrainer Tobias Wicke ständig vor Ort. „Berlin hat die besten Bedingungen in Deutschland", sagte Lessmann der „BZ". Und schränkte ein: „Aber man braucht gutes Wetter." Die Halle im Mellowpark ist schlicht zu klein für ihre Ansprüche. Die Wintermonate verbrachte Lessmann deshalb in Kalifornien, wo sie optimale Bedingungen vorfand. Dann kam Corona. Als sich die Lage in Berlin zuspitzte, flüchtete sie zeitweise zu ihrem Freund ins fränkische Kulmbach. Jetzt kann sie es kaum erwarten, dass sich die Situation wieder normalisiert, um ihren Sport einem breiten Publikum zu präsentieren. „Jeder kennt Fußball, aber BMX-Freestyle ist anders. Ich liebe es, es Leuten in China, Japan, Argentinien zu zeigen. Und sie mögen es wirklich", sagte sie im vergangenen Jahr in einem Interview mit dem Weltverband. Mit ihrem Crankflip Barspin sorgt sie dabei nach wie vor für ein Raunen in der Menge.