Über den wohltuenden Entspannungseffekt hinaus verspricht die Aromatherapie auch jede Menge heilsame Wirkungen für die menschliche Gesundheit.
Angenehm duftende ätherische Öle aus hochkonzentrierten Pflanzenessenzen spielen längst eine wichtige Rolle im Wohlfühl-Angebot von Wellnesshotels oder Spas. Wobei sich im Rahmen des Entspannungsurlaubs vor allem dampfende Aromaölbäder, Aufgüsse in Sauna oder Dampfbad, Aromalampen, Gesichtskompressen oder Massagen mit Aromaölen großer Beliebtheit erfreuen. Auch im häuslichen Umfeld können die ätherischen Öle mit Wasserdampf inhaliert, als Badezusatz verwendet, direkt als Emulsionen in die Haut einmassiert oder dem Körper sogar in Form von Kapseln oder Zäpfchen zugeführt werden. Im Rahmen der Aromatherapie, bei der meist etwa 80 von weltweit rund 300 bekannten Ölen verwendet werden, werden den ätherischen Duftstoffen vielfältigste positive Effekte auf unsere Gesundheit zugeschrieben.
Wobei sich diesbezüglich die Geister scheiden. Die Adepten der Aromatherapie haben deren Wirkpotenzial über unstrittige Resultate wie das Spenden von Ruhe und Entspannung, der Hebung der Lebensfreude oder dem Wecken schöner Stimmungen und Gefühle hinaus Richtung Heilmittel für körperliche wie psychische oder psychosomatische Erkrankungen deklariert. Sehr zum Missfallen der klassischen Schulmedizin, deren Vertreter immer wieder das gewichtige Argument ins Feld führen können, dass es bislang nur ganz wenige wissenschaftliche Studien gibt, die einen hilfreichen Einsatz der ätherischen Öle zur Vorbeugung oder Behandlung von gesundheitlichen Problemen belegen könnten. Etwaige Erfolgsmeldungen beruhten letztlich nur auf praktischen Erfahrungen, die über Jahrzehnte gesammelt wurden. So fühlen viele Menschen Erleichterung bei Erkältungen durch Brustwickel oder Fußbäder mit Thymianölen, andere schwören bei Kopfschmerzen auf Basilikum- oder Pfefferminzöl, wieder anderen hilft Angelikaöl bei Magenproblemen, bei Gelenkschmerzen verspricht Zypressenöl häufig Linderung, gegen Reizhusten haben sich Muskat-, Thuja- oder Zitronenöl bewährt, und allgemein zur Stimulierung der Körperfunktionen gelten Bäder mit Fichtennadeln- oder Rosmarinöl als gute Wahl.
Nichtsdestotrotz versuchen inzwischen auch einige Vertreter der medizinischen Forschung etwaige therapeutische Geheimnisse ausgewählter Öle zu lüften. Hierzulande wird die Riege der Wissenschaftler, die von den heilsamen Effekten der Öle überzeugt sind, von dem Zellphysiologen Prof. Hanns Hatt von der Bochumer Ruhruniversität angeführt. 2010 hatte er mit seinem Team den Nachweis erbringen können, dass der nach Jasmin riechende Duftstoff „Gardenia Acetal" im Gehirn eine schlaffördernde Wirkung auslösen kann. 2018 hatte er gemeinsam mit internationalen Kollegen eine Studie veröffentlicht, wonach ein sandelholzartiger Duft die Lebensdauer von Haaren verlängern kann. Zum gleichen Ergebnis war eine klinische Pilotstudie aus Italien gekommen, bei der die dreimonatige Anwendung einer sandelholzhaltigen Lotion den Haarausfall signifikant um 17,5 Prozent im Vergleich zu einer Placebogabe reduzieren konnte. Prof. Hatt: „Ich gehe davon aus, dass Duftstoffe wie Brahmanol oder Sandalore in Haarwassern oder Shampoos zum Einsatz kommen könnten, um die Lebenszeit der Haare zu verlängern, vor allem bei hormon- oder stressbedingtem diffusem Haarausfall."
Heilmittel für psychische und psychosomatische Erkrankungen
In früheren Forschungen hatte Hatt übrigens die bahnbrechende Entdeckung machen können, dass der Mensch Duftmoleküle nicht nur über die Nase, sondern auch über bestimmte Hautzellen, die Keratinozyten, aufnehmen kann. Professor Hatt ist außerdem von der antibakteriellen und antifungalen (gegen Pilze gerichteten) Wirkung bestimmter Substanzen in der Aromatherapie überzeugt. Schließlich hatten japanische Forscher dies schon 2001 belegen können, als sie 14 ätherische Öle im Einsatz gegen die schwere Infektionen auslösenden Pneumokokken erfolgreich getestet hatten. Vor allem Öle aus Zimtrinde, Zitronengras und Thymian zeigten größtes antibakterielles Potenzial. Speziell bei Atemwegsinfekten können daher Öle mit Thymian oder auch Eukalyptus hilfreich sein. „Hier könnte der Einsatz ätherischer Öle dazu führen", so Dr. Rainer Stange, leitender Arzt der Abteilung für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin, „den Verbrauch von Antibiotika zu reduzieren."
Auch wenn bislang im hiesigen Klinikbereich die Aromatherapie, so Stange, noch kaum etabliert sei, weil ihr einfach ein Esoterik-Image anhafte und sie daher allenfalls laut in Hospizen, als begleitende Behandlung von Krebspatienten oder zur Linderung von Demenz-Symptomen eingesetzt werde. Das niederrheinische Evangelische Krankenhaus Wesel hatte vor einigen Jahren als erste bundesweite Klinik die Aromapflege als Ergänzung zur ärztlichen Therapie in sein Behandlungskonzept aufgenommen und seitdem positive Erfahrungen gemacht mit dem Einsatz von Lavendelöl und Lavendelhydrolat bei Verbrennungen zweiten Grades oder mit verduftendem Grapefruitöl bei Demenz- und Schwersterkrankten. Mitarbeiter des Deutschen Krebsforschungszentrums hatten 2011 mit mexikanischen Kollegen die toxische Wirkung von 50 ätherischen Ölen auf Krebszellen überprüft und dabei zehn Öle ausmachen können, die womöglich wuchernde Bauchspeicheldrüsenzellen eindämmen könnten. Auch für die Nutzung von Lavendelöl bei Angststörungen, Teebaumöl zur Bekämpfung von Bakterien oder Veilchenöl gegen Krebstumore gibt es erste wissenschaftliche Forschungserkenntnisse. Aus all dem hatte der jüngst verstorbene ehemalige Chemie-Professor der TU München, Dietrich Wabner, den Schluss gezogen: „Die Aromatherapie ist eine rationale Therapie mit pflanzlichen Ölen und fern aller Esoterik."
Ein grundlegendes Problem bleibt dabei allerdings, dass bei vielen Ölen längst noch nicht alle Inhaltsstoffe bekannt sind und es daher sehr schwierig ist, etwaige positive Effekte ganz speziellen einzelnen Substanzen zuzuweisen. „Ätherische Öle sind natürliche Stoffgemische, die aus bis zu 500 unterschiedlichen Pflanzenstoffen bestehen", so Hatt. So konnten beim kostbaren Rosenöl beispielsweise 120 der insgesamt rund 550 pflanzlichen Inhaltsstoffe bislang noch nicht identifiziert werden. Die Komplexität der Öle stellt denn auch die größte Herausforderung für die moderne Pharmaforschung dar, da sich diese prinzipiell auf Einzelsubstanzen und deren Wirkung auf den menschlichen Körper konzentriert.
Lavendel, Vanille und Kamille wirken entspannend
Zudem ist das Interesse an aufwendigen und kostenintensiven Studien bei den Konzernen nicht sonderlich ausgeprägt, weil sie für ein neues Produkt auf Basis natürlicher Substanzen kein Patent erhalten können und daher schnell das Kopier-Risiko besteht.
Apropos natürlich: Da sollte man genau auf die Inhaltsstoffe der Öle achten, weil angeblich acht von zehn der im Handel angebotenen Aromaöle synthetisch hergestellt sind und daher keinerlei pflanzlichen Stoffe enthalten. Mit Natur- oder Pflanzenheilkunde haben diese Produkte dann nichts mehr zu tun und können daher auch nicht die auf dem Etikett versprochene Wirkung erzielen. „Hände weg von Billigölen", rät denn auch Hatt. Nur wenn der rechtlich geschützte Begriff „naturrein" auf dem Produkt draufsteht, ist man auf der sicheren Seite. Dagegen von „naturidentisch" bloß die Finger lassen. Wichtig ist zudem, dass die Öle aus kontrolliert biologischem Anbau stammen sollten, weil die Produkte ansonsten Pestizidrückstände enthalten können.
Häufig fehlen bei vielen Anwendungen auch noch verlässliche Angaben oder Erfahrungswerte über die ideale Dosierung, auch die Gefahr von allergischen Reaktionen auf bestimmte Öle darf nicht außer Acht gelassen werden. Bei der Dosierung halten die meisten deutschen Aromatherapeuten eine ein- bis dreiprozentige Mischung für ausreichend, was bei einer einprozentigen Mischung etwa ein bis zwei Tropfen ätherischen Öls pro zehn Milliliter fettem Basisöl entspricht. Unverdünntes Auftragen von manchen Ölen kann zu Hautverätzungen führen. Es mehren sich die Hinweise darauf, dass ätherische Öle tatsächlich bestimmte Krankheiten womöglich zumindest lindern helfen können. Doch bis dies durch wissenschaftliche Studien exakt nachgewiesen werden kann, kann die Aromatherapie zumindest im medizinischen Bereich allenfalls als unterstützende Behandlung der Patienten in Erwägung gezogen werden. Auch wenn sich Hanns Hatt diesbezüglich in einem „Spiegel"-Beitrag noch ziemlich skeptisch geäußert hatte: „Je höher Ärzte in der Hierarchie aufsteigen, desto weniger sind sie alternativen Heilmethoden zugeneigt."
Auch wenn das Räuchern von Pflanzen zu Kultzwecken oder zur Behandlung von Krankheiten schon seit Jahrtausenden gebräuchlich ist, so ist die heutige Aromatherapie gerade mal knapp 75 Jahre alt. Als Erfinder gilt der französische Chemiker René-Maurice Gattefossé, der nach einem Brandunfall seine Wunden mithilfe von zufällig gerade griffbereitem Lavendelöl heilen konnte. Und danach auch noch andere Öle mit der Bergamotte-Essenz an der Spitze erforschte und als Erster den Begriff „Aromatherapie" verwendet hatte. In den heutigen Wellness-Tempeln werden vor allem Düfte aus folgenden Substanzen als besonders entspannend angesehen: Lavendel, Vanille, Rosmarin, Bergamotte, Zedernholz, Sandelholz, Jasmin, Kamille, Fichtennadeln, Rose, Anis, Zimt, Zitronengras oder Pfefferminze. Als Stimmungsaufheller gelten Rosenöl, Naroli-Öl oder Öl aus Zitronengras, Grapefruit, Bergamotten, Vanille und Lavendel. Zum Stressabbau werden gerne Kamille-, Thymian- oder Rosmarinöl verwendet. Für weitere Versprechungen, wie sie auch häufig in den Lifestyle-Rubriken diverser Frauen-Magazine nachzulesen sind, mithilfe von ätherischen Ölen beispielsweise Depressionen abbauen, die Konzentrationsfähigkeit steigern, Hauterkrankungen wie Schuppenflechte heilen, Verdauungsprobleme lösen oder Bluthochdruck senken zu können, fehlen bislang jegliche fundierte wissenschaftliche Belege.