Aufgrund von Corona sind touristische Reisen im eigenen Land noch verboten, Auslandsreisen auf absehbare Zeit nicht mehr möglich. Auch die Färöer kann man nicht besuchen – man kann aber einen Einheimischen im eigenen Auftrag auf Tour schicken.
Die Färöer liegen weit draußen im Atlantik, auf halber Strecke zwischen Norwegen und Island. Auch zu normalen Zeiten sind die 18 sturmumtosten Eilande nur schwer zu erreichen – mit dem Flugzeug ab Kopenhagen oder für Reisende mit seefesten Mägen mit der Fähre von dem dänischen Hafen Hirtshals aus. Jetzt, wo das Coronavirus die Welt fest im Griff hat, sind die Inseln noch einmal in weitere Ferne gerückt.
Selbst bereisen kann man sie nicht, aber immerhin kann, wer will, einen Einheimischen an seiner Stelle losschicken. Mit einer Kopfkamera ausgestattet, wandert oder fährt der über die Insel um den virtuellen Besucher die steilen Berge, tiefen Fjorde und meerumtosten Felsformationen zu zeigen, die sein Heimatland zu einem der schönsten Reiseziele der Welt machen.
Sára Jacobsen spaziert durch die Straßen von Thorshavn. Sie steht vor dem roten Holzgebäude des Parlaments, erzählt von dessen Geschichte, dreht plötzlich um und läuft direkt aufs Meer zu. Kurz bevor sie ins Wasser fällt, hält sie an. Die 22-Jährige ist ferngesteuert.
Mehrmals täglich machen sich Menschen wie Sára im Auftrag von Visit Faroe Islands, der Tourismusorganisation der Inselgruppe, auf den Weg, um sich aus der Ferne über die Insel leiten zu lassen. Von zu Hause aus können Färöer-Fans dann mit einem „Remote tourism tool" via Smartphone, Laptop oder PC bestimmen, wohin die Tour auf den Inseln gehen soll. Wie bei einem Computerspiel können sie so die Bewegungen festlegen – allerdings nicht bei einem Avatar, sondern bei einem Menschen aus Fleisch und Blut. Ein paar Meter links, dann geradeaus und schließlich rechts den Berghang hinauf, dann umdrehen wegen des Rundblicks. Der ferngesteuerte Mensch macht, was man ihm befiehlt. Sogar rennen und auf der Stelle springen lassen darf man ihn. Workout aus der Ferne sozusagen. Sára lassen die Sofatouristen ganz gemein die Hauptstraße hinaufsprinten – sie sei schlecht in Form, muss sie schließlich gestehen. Damit jeder mal drankommt, müssen die virtuellen Reisenden ihren Platz als Chef der Tour nach einer Minute an den nächsten weiterreichen.
Die Färöer sind eine Seefahrernation. Wer sich den Dörfern der Inselgruppe vom Meer her nähert, dem fallen als erstes die Kirchen auf. Es brauchte früher auch viel Gottvertrauen, um auf diesen wilden Inseln inmitten des Atlantiks zu siedeln. Das hatten die irischen Mönche, die sich im 7. Jahrhundert als erste Menschen hier niederließen, um sich in aller Abgeschiedenheit ihrem Glauben zu widmen. Wirklich bevölkert wurden die Färöer aber erst 100 Jahre später. Dann kamen die Wikinger, vertrieben die Mönche und beanspruchten die Inseln für sich. Vom Christentum waren die Wikinger noch weit entfernt; das setzte sich erst um die Jahrtausendwende durch – und auch nicht ganz ohne Gewalt. Als einer der letzten wurde der mächtige Wikingerkönig Tróndur bekehrt, mit einem Messer an der Kehle, und der Frage, ob er den Tod oder das Christentum wählen wolle.
Die ersten auf den Inseln waren irische Mönche
Kirkjubøur heißt der Ort, an dem sich die ersten Mönche niederließen. Hier, auf dem äußersten Südzipfel von Streymoy, der größten Insel des Archipels, war der ideale Siedlungsplatz, denn in der Bucht sammelte sich häufig Treibholz. Auf den baumlosen Inseln war das zum Überleben ebenso wichtig wie das tägliche Brot. Kirkjubøur, wo heute nur noch ein Dutzend weit verstreuter Häuser steht, war einst Bischofssitz. Daran erinnern die Ruinen der Magnus-Kathedrale, die Bischof Erland im 12. Jahrhundert bauen ließ.
Von Kirkjubøur führt ein Wanderweg über die Berge in die Hauptstadt Thorshavn. Er diente früher als Verbindungspfad zwischen den Dörfern, riesige Steinmarker kennzeichnen seinen Verlauf. Lang ist die Wanderung nicht, nach knapp zwei Stunden hat man Thorshavn erreicht. Das ist typisch für Wanderungen über die Inseln: Länger als zwei, drei oder allenfalls vier Stunden ist man von einer Seite zur anderen selten unterwegs. Nur das launische Wetter behindert manchmal das Vorwärtskommen. Oder der Blick auf die grandiose Landschaft. Der Wanderer wird leicht von ihr gefangen genommen, und bleibt immer wieder stehen, um die Aussicht auf eine der vielen Inseln oder das Lichtspiel der Sonne zu genießen. Oder er rastet an einem Bachlauf, beobachtet Möwen, Austernfischer oder Gänse.
Thorshavn ist mit 20.000 Einwohnern die größte Stadt der Insel. Hier hat auch die Regierung der autonomen, zu Dänemark gehörenden Inseln, ihren Sitz. Das Regierungsviertel liegt in der historischen Altstadt mit ihren roten Holzhäusern, und die wiederum befindet sich malerisch auf einer Landspitze, die wie ein Finger in den Hafen hineinragt. Hier fand schon zu Wikingerzeiten das Allthing, die Versammlung der Männer, statt. Damit sei, so behaupten die Färinger stolz, ihr Parlament das älteste der Welt. Die Isländer, die dieselbe historische Wahrheit für ihr Thingvellir beanspruchen, sehen die Sache vermutlich anders. Doch da Isländer und Färinger freundschaftliche Beziehungen pflegen, wird darüber nicht gestritten.
Angeblich ältestes Parlament der Welt
Die Insel Mykines im Westen der Färöer gehört zu den Lieblingszielen der Touristen – zumindest im Sommer, wenn man das Eiland problemlos mit dem Ausflugsschiff erreichen kann und hier Hunderttausende Vögel ihre Nester bauen. Der Kleinste unter den Piepmätzen ist der Liebling der Besucher: Der nur 30 Zentimeter große Papageientaucher kennt keine Scheu und bietet Fotografen mit seinem bunten Schnabel ein ausgezeichnetes Motiv. Als wolle er den menschlichen Beobachtern stolz seinen Fang präsentieren, zeigt er sich gerne mit ein paar Fischen im Schnabel. Wie er es schafft, gleich mehrere Fische hintereinander zu fangen, ohne die zuvor gemachte Beute wieder zu verlieren, ist ein Rätsel, das Ornithologen bisher noch nicht lösen konnten.
Die Ortschaft Gjógv auf der Insel Eysturoy kann es mit Mykines durchaus aufnehmen. Man erreicht sie über Passstraßen, die erst hoch hinauf über die Berge und dann wieder hinab zum Meer führen. Von den Ausblicken zu schwärmen, die sich auf dieser Tour auftun, hieße, das Normale in den Stand des Besonderen zu erheben. Denn Ausblicke hinab aufs raue Meer, hinüber zu steilen Berghängen und über baumlose Weiten, zu kleinen Fischerdörfern mit bunten Holzhäusern oder auf spektakuläre Felsformationen, die sich wie in einer Traumwelt aus den tosenden Wellen erheben, bietet die Insel überall. Gjógv ist wegen etwas anderem bekannt: Einer markanten Felsspalte, die einen engen und schwer zugänglichen Naturhafen bildet. Früher, so erzählt man, sind die Fischer jeden Morgen mit einem Kirchenlied auf den Lippen hinausgefahren und singend am Abend zurückgekehrt – dem Heiland dafür dankend, dass er sie mit reichen Fängen belohnt und sie sicher in den Hafen zurückgeführt hat.
Street View mit Schafen
Vor einigen Jahren hatten die Färöer schon einmal einen PR-Coup gelandet. 2016 gehörte die Inselgruppe zu den letzten Regionen Europas, die von Google noch nicht per Street View erfasst waren. Das sei ein entscheidender Nachteil, fanden die Tourismusverantwortlichen der Inselgruppe, denn so könnten sich potenzielle Reisende nicht von Bildern inspirieren lassen. Weil der Internetriese keine Kameras schicken wollte, nahmen die Färinger die Sache selbst in die Hand. Allerdings befestigten sie die Kameras nicht auf Autos, sondern auf Schafen. Das war durchaus passend, denn während auf den Färöern nur 50.000 Menschen leben, wandern immerhin 80.000 Schafe über die grünen Wiesen der Insel. Einige der Tiere bekamen kleine Kameras verpasst und übertrugen fortan ihre Spaziergänge live in die Welt. Statt Street View gab es nun das färöische Sheep View. Die Schafsgeschichte war damals die am dritthäufigsten veröffentlichte Nachrichtengeschichte weltweit. In der Folge kam dann auch Google auf die Insel und wenige Wochen nach der Aktion konnten sämtliche Hotels der Insel vollbelegte Zimmer vermelden.
Der neue PR-Coup der Färinger ist zwar ähnlich genial wie damals Sheep View – ausgebuchte Hotelzimmer wird es aber wegen Corona erst einmal nicht geben. Und so bleibt Sára Jacobsen am Ende ihres einstündigen Rundgangs nicht viel mehr, als die Touristen auf einen Besuch in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft zu vertrösten. Denn obwohl ihr Spaziergang als „ferngesteuerter Guide" durch die Hauptstadt ziemlich witzig war, kann er eine Reise auf die Inseln im Atlantik letztendlich nicht ersetzen.