Green Deal oder doch Grey Deal? Es gibt Rufe nach gelockerten Umweltauflagen für die Wirtschaft nach der Corona-Krise. Dabei stehen jetzt die Chancen für einen klimafreundlichen Wirtschafts-Neustart so gut wie nie.
Es sollte das Vorzeigeprojekt von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen werden: der „Green Deal" der EU. Die Eckpunkte: bis 2050 soll Europa klimaneutral werden; langfristig soll das produzierende Gewerbe der EU nur noch mit erneuerbaren Energien arbeiten; E-Mobilität soll ausgebaut, die CO2-intensive Industrieproduktion umweltfreundlicher werden, Land- und Fortwirtschaft weniger chemischen Dünger einsetzen dürfen. Angesichts des drohenden Klimawandels eine gute Idee.
Ob sie sich durchsetzt, hängt von den Mitgliedsländern ab. Denn dort grassiert das Virus. Jetzt, wo die Wirtschaft schmerzhaft die Auswirkungen des Lockdowns infolge der Corona-Pandemie spürt, werden Rufe nach einer Lockerung lauter – der Lockerung von Umweltauflagen. Die USA sind bereits dem Ruf ihrer darbenden Öl- und Gasindustrie gefolgt und haben Auflagen gekippt: Umweltverstöße während der Pandemie will die Umweltbehörde EPA nicht bestrafen. Auch Stimmen in der EU sind skeptisch, ob gerade jetzt der Zeitpunkt für Klimaschutz so sinnvoll sei. Tschechiens konservativer Premier Andrej Babis schlug vor, den Green Deal erst einmal einzufrieren. Dahinter mag jedoch auch die Frage stehen, was nach den Rettungs-Milliarden für EU-Unternehmen und die von der Pandemie stark getroffenen südlichen Länder noch für die östlichen EU-Mitglieder übrig bleibt. Autohersteller drängen darauf, keine höheren Emissions-Grenzen einzuführen.
Friedrich Merz, der sich für den Parteivorsitz der CDU bewirbt, verlangte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland ein umfassendes Konjunkturpaket, das „Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik umfasst". Auf die Frage der Verknüpfung von Umweltauflagen an Konjunkturhilfen sagte er, dass eine wirtschaftliche Wiederbelebung natürlich mit einer sinnvollen Umweltpolitik einhergehen müsse. Bei den Konjunkturhilfen aber gehe es zunächst um Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland, so Merz. Dagegen will Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) die Konjunkturhilfen etwa für die Luftfahrtbranche an Umweltauflagen knüpfen – zum Beispiel, damit diese mehr Kerosin aus grüner Wasserstoffproduktion verwenden.
Umweltschutz als Luxus in der Krise
Die Diskussion nimmt an Fahrt auf, je breiter die Lockerungsmaßnahmen, je besser die zuvor unerreichbaren Märkte für die deutsche Industrie wieder beliefert werden können. Manch Lobbyverband sieht es als Luxus an, gerade jetzt auf Umweltschutz zu achten. Doch das Wiederanfahren der Produktion könnte der Umwelt, die in den vergangenen beiden Monaten eine Verschnaufpause erhielt, erheblich mehr schaden, als wenn es den Lockdown nicht gegeben hätte. Zwar sinken die CO2-Emissionen laut Internationaler Energieagentur (IEA) in diesem Jahr um 2,6 Milliarden Tonnen – etwa so viel wie Indien pro Jahr emittiert, gerade mal acht Prozent des weltweiten Ausstoßes. Das ist bei weitem der größte Rückgang von Treibhausgasen seit dem Zweiten Weltkrieg. Am Ende des Jahres aber rechnet die IEA mit einer beginnenden graduellen Aufholjagd. Und diese führt zu mehr Emissionen, das zeigt der Blick in die Geschichte: Der Zweite Weltkrieg, die Ölkrise oder die Finanzkrise von 2008 ließen den CO2-Ausstoß sinken, aber nie dauerhaft. Er stieg nach Beendigung der Krise immer weiter an. Dennoch, eine kurze Pause gibt es auch beim künftigen Bedarf zu vermelden: Die Agentur geht von sechs Prozent weniger Energiebedarf in diesem Jahr aus, das bedeutet auch weniger fossile Energie aus Öl und Kohle. Gute Chancen für die Erneuerbaren also, deren Anteil in der Krise unvermindert weiter wächst, während Gas und vor allem Öl einen historischen Crash erfuhren.
Die Voraussetzungen sind vorhanden, um dem Green Deal der EU Vorschub zu leisten. Entsprechend verteidigt EU-Klimakommissar Frans Timmermans das Vorhaben auch vehement in der Presse: das Ziel der Klimaneutralität habe weiterhin Bestand. Doch Klimaschutz kostet Geld. Geschätzte 260 Milliarden Euro Investitionen, private wie öffentliche, sind nötig, um den Zielen aus dem Green Deal in der EU gerecht werden zu können. Pro Jahr. Etwas mehr als die Hälfte der Summe, die die EU-Staaten derzeit in die durch das Virus gebeutelte Wirtschaft pumpen –
aber Geld, das, zielgerichtet investiert, einen deutlichen Fortschritt bei den Klimazielen der EU verspricht. Das glauben jedenfalls die Wirtschaftsforscher des Deutschen Instituts für Weltwirtschaft (DIW). In ihrem Aufsatz „Green New Deal: Die Wirtschaft nach Corona" kommen Forscher des DIW zu dem Schluss, dass staatliche Investitionen und Konjunkturhilfen, versehen mit „grünen Komponenten", sinnvoll sind. Zum einen transformieren sie die Wirtschaft in gewünschter Weise, hin zu mehr Klimaschutz, zum anderen wirken sie gleichzeitig als konjunktureller Stimulus für den „kranken Mann Europa": „In der gegenwärtigen Krise scheinen die europäischen Regierungen aufgrund der verstärkten öffentlichen Aufmerksamkeit für das Thema und der verbesserten nationalen und internationalen Rahmenbedingungen in der Klimagesetzgebung besser für die Umsetzung eines grünen Konjunkturpakets gerüstet zu sein. In Kombination mit den Erfahrungen aus der letzten Krise sollte dies den politischen Entscheidungsträgern ermöglichen, das Gewicht grüner Maßnahmen in den anstehenden Konjunkturpaketen zu stärken."
Wissenschaft für „grünen" Umbau
Klares Votum für einen zielgerichteten grünen Umbau nach der Krise. Ein erstes Signal, dass der Green Deal nicht ohne Rückendeckung aus der Wirtschaft auskommt, setzte das Schreiben des französischen Abgeordneten des EU-Parlaments, Pascal Canfin. Es wurde von zahlreichen Politikern, Wissenschaftlern und Nichtergierungsorganisationen, aber auch von Unternehmenschefs unterzeichnet, darunter Ikea, Danone, Microsoft, Eon und Volvo. Darin fordern die Unterzeichner, dass nun der Zeitpunkt gekommen sei, die Wirtschaft auf den Klimawandel hin umzubauen – und damit die Gesellschaft insgesamt widerstandsfähiger zu machen.
Die Bundeskanzlerin jedenfalls hat sich schon mal hinter die EU-Pläne gestellt, bis 2030 den Treibhausgas-Ausstoß um 50 bis 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren – und befürwortete sogar eine noch höhere Zahl, die allerdings Verhandlungssache sei. Beim diesjährigen „Petersberger Klimadialog" Ende April, zu dem die Bundesregierung mehr als 30 Minister aus dem Ausland eingeladen hatte, sagte Angela Merkel (CDU), dass trotz Corona-Krise die Aufgabe bleibe, „mit Ernsthaftigkeit und Leidenschaft" das Pariser Klimaabkommen umzusetzen. Aktuell liegt die Zahl der EU bei 40 Prozent. Offiziell hatte Deutschland bislang keine Position dazu. Für Deutschland gilt bereits ein 55-Prozent-Ziel für 2030. Was eine Anhebung des EU-Ziels für die einzelnen Mitgliedsstaaten genau bedeuten würde, ist Verhandlungssache – es könnte unter Umständen bedeuten, dass Deutschland sein Ziel noch einmal anheben muss. Diskussionen um Kaufprämien auch für Benzin-Autos, wie sie derzeit in Deutschland geführt werden, unterlaufen jedoch die Glaubwürdigkeit Deutschlands bei Verhandlungen über eine Anhebung der EU-Ziele 2030.
Dennoch stehen die Chancen für den Green Deal von der Leyens denkbar gut – als Rettungsleine für die Wirtschaft. Wenn die Mitgliedsstaaten zustimmen. Und das ist vor allem in Zeiten von Corona fraglich.