Mit seinen Muppets revolutionierte der vor 30 Jahren verstorbene Jim Henson nicht nur das Puppenspiel, sondern konnte mit der „Sesamstraße" zunächst Kinder und anschließend mit der „Muppet Show" auch Erwachsene begeistern.
Selbst die Beerdigung war wie ein einziges Trommelfeuer aus Chaos und Absurditäten inszeniert. Sie war einem fröhlichen Hippie-Happening oder schrägen Kindergeburtstag nachempfunden. Da niemand in der New Yorker Kathedrale am 21. Mai 1990 Schwarz trug und Organist und Jazz-Kapelle abwechselnd muntere Weisen spielten, wäre kaum jemand auf den Gedanken gekommen, dass es sich eigentlich um eine Trauerfeier zu Ehren des fünf Tage zuvor infolge einer verschleppten Lungenentzündung verstorbenen Jim Henson handeln könnte. Zumal die größtenteils bunt gekleideten Anwesenden auch noch an Puppenspieler-Stöcken befestigte Schaumstoff-Schmetterlinge vor dem Altar schwenkten, ein als Riesenvogel mit zotteligem Schnabelkostüm verkleideter Mann ein absurdes Singspiel vortrug und schließlich einige der bekannten Muppet-Figuren auf einer Bühne präsentiert wurden. Alles ganz im Sinne von Jim Henson, dessen letzte diesbezüglichen Worte von seinem Sohn Brian vorgetragen wurden: „Das alles kommt euch vermutlich total albern vor. Aber was zur Hölle soll’s, ich bin schließlich tot. Wer will sich da noch mit mir streiten? Seid nicht traurig, weil ich gestorben bin."
Nur holte der Tod den Vater der berühmten, von ihm selbst so getauften „Muppets" viel zu früh, im Alter von gerade mal 53 Jahren. Mit diesen neuartigen Geschöpfen, einer Kreuzung aus klassischen Handpuppen und Marionetten, war es ihm gelungen, das Puppenspiel vom Staub der Jahrhunderte zu befreien. Um die Ausdrucksmöglichkeiten seiner Figuren zu erweitern, verabschiedete er sich vom tradierten Material Holz zugunsten von Schaumstoff und Gips, weil die Puppen dadurch beweglicher und weitaus nuancierter steuerbar wurden – bis hin zum Bewegen der Lippen synchron zum Dialog.
Die Begeisterung für das Puppenspiel wurde bei dem am 24. September 1936 in Greenville im US-Bundesstaat Missouri geborenen James Maury Henson durch die ab 1947 im US-Fernsehen ausgestrahlten Shows von Burr Tillstrom geweckt, dessen eigentlich für Kinder entworfene Handfiguren Kukla, Fran und Ollie dank witziger Slapstick-Sketche schnell auch zahlreiche Fans in der Erwachsenenwelt fanden. Darunter so bekannte Persönlichkeiten wie Orson Welles oder John Steinbeck.
Kurzerhand entschloss sich der 14-Jährige mit dem Spitznamen Jim, der mit seiner Familie gerade nach Maryland umgezogen war und dank seiner als Schneiderin tätigen Großmutter schon früh mit Nadel und Zwirn vertraut war, seine erste eigene Puppe zu basteln. Dafür musste Mutters grüner Regenmantel herhalten, dem er zwei Ping-Pong-Bälle als Augen aufpflanzte. Das Ergebnis war ein früher Vorläufer von Kermit dem Frosch – jener Muppet-Figur, die Henson zeitlebens als sein Alter Ego ansah und daher von 1955 bis 1990 immer selbst spielte. Die Figur durfte mutige Dinge tun, die sich der von Natur aus eher zurückhaltende Henson im wahren Leben nie getraut hätte. Noch während seiner Highschool-Zeit entwarf er 1954 erste Puppen für die Kindershow eines lokalen TV-Senders. Auch nach dem Beginn seines Studiums an der University of Maryland mit den Fächern Kunst und Bühnenbild blieb er seinem Puppen-Hobby treu und verbuchte 1955 damit seinen ersten beruflichen Erfolg in Gestalt einer fünfminütigen TV-Sendung, die von einer NBC-Tochterfirma im späten Abendprogramm ausgestrahlt wurde.
Zusammenarbeit mit genialem Frank Oz
Das Puppentheater „Sam and Friends", dessen Konzept Jim Henson gemeinsam mit seiner Kommilitonin und späteren Ehefrau Jane Ann Nebel entworfen hatte, wurde zwischen Mai 1955 und Dezember 1961 zweimal täglich ausgestrahlt. Neben der glatzköpfigen Hauptfigur Sam war auch Kermit dabei. Das große Werbepotenzial der putzig-skurrillen Figuren wurde schnell von verschiedenen US-Unternehmen erkannt, weshalb Muppets ab 1957 auch in Reklamespots für Kaffee oder Lebensmittel ihren Auftritt hatten. Zusätzlich wurde die Popularität der Puppen durch gelegentliche Einladungen in beliebte Unterhaltungsendungen wie die „Ed Sullivan Show" gesteigert.
Dennoch traf Henson die Entscheidung, das Puppenspiel zu seinem Beruf zu machen, erst, nachdem er erfolgreich sein Studium abgeschlossen hatte. Auf einer Europareise 1960 machte er sich dort mit dem traditionellen Puppentheater vertraut und erzählte später: „Ich traf dort Menschen, die sich ihr ganzes Leben lang mit nichts anderem beschäftigt hatten, und ich begriff, dass das eine wirkliche Aufgabe sein konnte, ein echter Beruf."
Henson setzte allerdings nicht aufs klassische Theater oder Bühnen, sondern voll auf das Medium Fernsehen. 1959 heiratete Henson Jane Ann Nebel und gründete 1961 gemeinsam mit seiner Frau die Firma Muppets Inc. Die beiden verpflichteten den Puppenbauer Don Sahlin, der nach Henson-Entwürfen gezielt fürs Fernsehen konzipierte Muppets gestaltete. Auch die Zusammenarbeit mit dem späteren Regisseur Frank Oz, der aus einer Familie von Puppenspielern stammte, wurde damals schon begründet. Henson adelte Oz später als „größten Puppenspieler der Welt" und kreierte gemeinsam mit ihm Puppen wie Ernie und Bert, Miss Piggy, Sam den Adler oder Fozzie Bär – Muppets, die Generationen von Kindern und Erwachsenen begeisterten.
Amerikanisches TV winkte zunächst ab
Um die Puppenspieler vor den Zuschauern zu verbergen, begann Henson mit der Kameratechnik zu experimentieren. Zwischen 1964 und 1968 versuchte sich Henson auch als echter Filmemacher, wobei sein Streifen „Timepiece" von 1965 ein Jahr später sogar für den Oscar in der Kategorie „Bester Kurzfilm" nominiert wurde. Finanziert wurden diese Ausflüge mithilfe lukrativer Muppets-Werbespots – vor allem mit dem Klavier spielenden Hund Rowlf, dem Hundefutter-Hersteller Umsatzsprünge verdankten und der zudem Dauergast in der NBC-Morgensendung „Today Show" und der „Jimmy Dean Show" wurde.
Den Durchbruch zu internationaler Bekanntheit verdankten Jim Henson und seine Muppets der Mitwirkung an der Vorschulkindersendung „Sesame Street", die von einem Team des „Children’s Television Workshops" unter Leitung von Joan Ganz Cooney als Lernprogramm erdacht worden war und ab Ende 1969 auf Sendung ging. Schnell zeigte sich, dass der kommerzielle Erfolg der „Sesamstraße" vor allem den von Henson beigesteuerten Puppensegmenten zu verdanken war. Figuren wie das Krümelmonster, Kermit der Frosch, Grobi, Oscar the Grouch (Oscar aus der Mülltonne) oder Bibo ließen Kinderherzen weltweit höher schlagen. 1975 hatte Henson dann keine Lust mehr auf Kinder-Klamauk, er wollte aus der pädagogischen Nische raus und endlich seinen Traum von Puppenspiel für Erwachsene im Rahmen einer eigenen Comedy-Show realisieren. Dafür produzierte er 1975 einen Pilotfilm mit dem Titel „The Muppet Show. Sex and Violence", in dem in anarchisch-chaotischer Form Kalauer und Parodien am Fließband enthalten waren.
Die großen US-Fernsehsender winkten ab, weil sie einer solchen Puppen-Show für Erwachsene keinerlei Erfolgschance einräumten. In Großbritannien, wo das TV-Publikum den schrägen Humor von „Monty Pythons’s Flying Circus" lieben gelernt hatte und längst schon dank Gerry Anderson an Adult-Marionettenfilme gewöhnt war, sah man das völlig anders. Der Engländer Lew Grande, Besitzer der nahe London gelegenen Elstree-Studios, schlug zu. Gemeinsam mit Jim Henson, der mit Team und Puppen an die Themse zog, stellte er zwischen 1976 und 1981 die weltweit mega-erfolgreiche „Muppet Show" auf die Beine. Die Show wurde in mehr als 100 Länder verkauft und lockte wöchentlich bis zu 235 Millionen Zuschauer weltweit vor die Glotze.
Heute gehört der Nachlass zu Disney
Die Zuschauer ergötzten sich an den tumultartigen Späßen von fast 400 schrägen Puppenfiguren rund um Miss Piggy, Prof. Dr. Honigtau Bunsenbrenner, Waldorf und Statler oder den dänischen Koch, die der bei jeder Folge als Conferencier fungierende Kermit kaum bändigen konnte. Nationale und internationale Stars wie Peter Ustinov, Elton John, Diana Ross oder auch Johnny Cash und Liza Minnelli, um nur ein paar zu nennen, standen geradezu Schlange für Gastauftritte in der Show. Nach fünf Staffeln und insgesamt 120 Folgen war allerdings Schluss, und Henson wandte sich einer neuen Herausforderung zu.
Mit den „Fraggles" konzipierte er eine neue Puppen-Kinderserie, die zwischen 1983 und 1987 vom kanadischen Sender CBC ausgestrahlt wurde. Als Ableger der „Muppet Show" mit der Zielgruppe Kleinkinder wurde im US-Fernsehen zwischen 1984 und 1991 die Zeichentrickserie „Jim Henson’s Muppet Babies" gezeigt. Gemeinsam mit Frank Oz realisierte Henson 1982 den Puppen-Fantasyfilm „Der dunkle Kristall". Beim mit elektronischen Muppets aufwartenden Fantasy-Streifen „Die Reise ins Labyrinth" 1985 war kein Geringerer als George Lucas Co-Produzent. Für dessen „Star Wars"-Saga hatten Henson und sein Team Figuren wie Yoda, die Ewoks oder Jabba the Hutt mitentwickelt.
Kurz vor seinem Tod hatte Henson mit dem Walt-Disney-Konzern über den Verkauf seines Unternehmens verhandelt. Im Jahr 2000 ging Hensons Company dann allerdings an den Münchner Medienkonzern EM.TV, der sich jedoch schon drei Jahre später wieder zugunsten der Henson-Erben davon trennte. 2004 kam dann doch noch der Disney-Konzern als neuer Besitzer zum Zug.