Der Weltklasse-Cellist Jan Vogler hätte gemeinsam mit dem BBC Philharmonic Orchestra bei den Musikfestspielen Saar gastiert. Live ist er nun nicht zu erleben, aber der Künstler hat mehrere CD-Einspielungen vorgelegt – eine davon ist ungewöhnlich.
Herr Vogler, Sie haben 1984, im Alter von 20 Jahren, als Solo-Cellist (Erster Konzertmeister) bei der Dresdner Staatskapelle begonnen. Was gab den Anlass, diese renommierte, und vor allem sichere Position, im Jahr 1996 aufzugeben und sich ins Haifischbecken der Solisten zu begeben?
In der DDR gab es praktisch keine Solistenrolle, weil die Grenzen waren ja zu. Und Sie müssen sich vorstellen, wenn jemand gesagt hätte, ich spiele nur Solokonzerte, dann konnte er nur von Rostock bis vielleicht Gotha spielen. Dann war Schluss. Auch das Auswahlverfahren war sehr kompliziert und ansonsten musste man Visa beantragen…
Das heißt, die Musiker in der DDR wurden bei Reisen nicht so bevorzugt behandelt, wie das bei den Sportlern der Fall war?
Doch, die Musiker hatten eine sehr gute „Rolle", aber es hatte hier nichts von einem olympischen Gedanken, sondern war eher eine „Ensemble-Geschichte". Da war tatsächlich das Ziel, die bestmögliche Stelle zu bekommen und Dresden war zu meiner Zeit „die" Stelle, auf die alle mit Bewunderung schauten. Zu meiner eigenen Überraschung habe ich die Stelle gleich bekommen. Zunächst war das auch eine faszinierende und völlig erfüllende Aufgabe für mich, also ein Glücksfall. Ich denke, Cello-Solist von Anfang an zu sein, ist eine sehr gefährliche Geschichte, weil man ein so schmales beziehungsweise begrenztes Repertoire hat. Dann kam die Wende. Da war ich 25 Jahre alt, und da war der Wunsch aus meiner Kindheit wieder da, nämlich mit dem Cello um die Welt zu reisen. Der wurde plötzlich real. Und dann gab es viele Freunde – denen ich heute noch sehr dankbar bin – die mir sehr deutlich zugeraten haben, diesen Weg einzuschlagen. Und ich selbst war vielleicht derjenige, der am wenigsten daran geglaubt hat, dass das möglich ist. Ich hab’s einfach gemacht.
Die Möglichkeit war also da. Sie sind dann aber nicht einfach nach Hamburg oder Berlin gezogen, sondern gleich nach New York…
Mir war sofort klar, so eine Solokarriere fängt man nicht an, indem man einfach von zu Hause aus weiterarbeitet, sondern da braucht man einen Tapetenwechsel, und man braucht einen Ort, der einem ganz klar zeigt, wie groß die Welt ist und wie anspruchsvoll dieser Wunsch auch ist. Dann bin ich mit meiner Frau nach New York gezogen und habe sofort angefangen, Konzerte zu spielen, durfte dort 1997 alle Beethoven-Sonaten im Lincoln Center spielen und bin auch sehr freundlich aufgenommen worden. Und natürlich bin ich Lorin Maazel auch heute noch sehr dankbar, der mich zu meinem Debüt mit den New Yorker Philharmonikern eingeladen hat und so hat meine Solistenkarriere mehr in Amerika begonnen und ist dann nach Europa geschwappt.
Im Jahr 2017 haben Sie eine ganz besondere Einspielung gemacht und auch zahlreiche „Shows" unter dem Titel „New Worlds: Bill Murray, Jan Vogler and friends" herausgebracht, die in den amerikanischen Classic-Charts den ersten Platz belegte. Beteiligt war hier der amerikanische Schauspieler Bill Murray. Was haben Sie mit einem Schauspieler künstlerisch erarbeitet?
Bill Murray und ich waren vorher schon befreundet, wollten immer auch mal zusammen arbeiten, und haben schließlich ein Programm zusammen kreiert. Wir haben hauptsächlich die großen Errungenschaften der amerikanischen Literatur und Musik präsentiert, zum Beispiel Mark Twain oder auch James Fenimore Cooper. Das war ein ganz schöner Wirbel, das war aber eigentlich nicht geplant (lacht). Wir haben in zwei Jahren fast 65 Shows auf der ganzen Welt gespielt, und ich habe dabei viel gelernt. Von Bill Murray, der eine wahnsinnige Persönlichkeit ist und eine unglaublich tolle originelle Lebenseinstellung hat. Und zweitens habe ich auch sehr viel auf der Bühne gelernt, denn wir haben teilweise in riesigen Sälen, vom Opernhaus in Sydney bis Chicago Theatre – wo Frank Sinatra auch aufgetreten ist – gespielt, das hat über 3.500 Plätze. Wir haben vor Publikum gespielt, das nicht unbedingt immer klassik-affin war. Gleich am Anfang des Programms hab ich ein Bach-Preludium gespielt und festgestellt, dass das meiste Publikum auf der Welt ein Interesse daran hat, was man musikalisch verwendet und nicht unbedingt daran, wie ausgefeilt musikalisch es in diesem Moment ist. Das heißt, diese ursprüngliche musikalische oder überhaupt theatralische Ausstrahlung einer künstlerischen Leistung, das ist mir wie Schuppen von den Augen gefallen, wenn ich Bill Murray vor einem Publikum erlebt habe.
Gibt es etwas, das Sie in den USA vermissen?
Ich vermisse manchmal die deutsche Beständigkeit, dieses etwas Grüblerische und manchmal auch etwas Griesgrämige. Die Amerikaner sind ja sehr zukunftsorientiert und sind auch für Innovationen offen. Aber ich hüte mich eigentlich davor, meine deutschen Erwartungen in Amerika, oder umgekehrt meine amerikanischen Erfahrungen auf Deutschland zu übertragen. Ich glaube, dass wir sehr gut unserer Kultur treu bleiben können und trotzdem offen sein können für anderes.
