Ästhetische Fotos und die aufwendige Gestaltung der Kochbücher von Tim Raue mit der „Brasserie Colette", Sebastian Frank vom „Horváth" sowie von Christoph Hauser und Michael Köhle vom „Herz & Niere" machen Lust aufs Lesen und Nachkochen.
Kann der Gast nicht ins Restaurant kommen, kommt der Küchenchef nach Hause. Das macht er derzeit öfter in Form von Gerichten zum Abholen oder Liefern und Zuhause-Erwärmen. Doch es gibt auch die elegantere und nutzwertige analoge Form, die nach Do-it-Yourself von Grund auf verlangt – das gute, alte Kochbuch. Schön gedruckt und illustriert auf hochwertigem Papier und mit Wissenswertem und Anekdoten angereichert. Dem Surplus, das über die reine Kochanleitung hinausweist. Wie praktisch, dass mit Tim Raue, Sebastian Frank sowie Christoph Hauser und Michael Köhle drei Berliner Restaurants und Gastronomen eigene Kochbücher herausgebracht haben. Sie eint, dass sie Länderküchen im näheren oder weiteren Sinne aufgreifen: Frankreich lässt bei Tim Raue mit „Rezepte aus der Brasserie Colette", Österreich bei Sebastian Frank vom „Horváth" sowie Deutschland bei Hauser und Köhle vom „Herz & Niere" grüßen.
Wenn Tim Raue und sein Küchendirektor Steve Karlsch „à table" bitten, wissen Frankreich-Liebhaber, dass es um die „Brasserie Colette" geht. Jetzt auch im Buch. Gerichte, die in Raue-typischer Manier mit internationalen Produkten abgewandelt, einen Tick angeschärft und womöglich einen Hauch berlinisiert wurden, machen im Sinne einer zeitgenössischen, nicht überaufwendigen „Bistronomie"-Küche Lust aufs Nachkochen. Dürfte es eine Galette mit Zucchini, Kaffeecreme und Kumquats sein? Karibisches und französisches Frankreich werden in ihr zusammengefaltet. Oder doch lieber ein mit Foie Gras gefüllter „Berliner", den der eingeborene Berliner Raue selbstbewusst genau so nennt.
Die Brasserie-Küche ist nicht gerade als Hort des Vegetarismus bekannt. Doch Raue widmet Gemüse und Co ein eigenes Kapitel mit „Brasserie-Gerichten, die himmlisch versaut schmecken, ohne dass dafür ein Schweinchen sein Leben lassen musste". Ratatouille mit Pistou, korsische Aubergine mit Auberginenpüree, Granatapfelkernen und Rucola sowie ein Blumenkohl „Polonaise" – mit Weißbrotwürfelchen und pochiertem Ei auf dem Kopf – finden sich darin wieder.
Die Grundrezepte sind, wie etwa bei Ratatouille, Zwiebelsuppe oder Salat Niçoise, längst im deutschen kulinarischen Gedächtnis verankert. Neugierig machen die „Beiwerke" wie ein Lemon-Squash-Gel zum Blumenkohl, ein Trockenaprikosen-Eis zur Vichysoisse oder eine Spinat-Beurre-Blanc zum Seeteufel. Und die Geschichten über ein Paris voller „kulinarischer Obszönitäten" und über Madame Colette, die Raue die bodenständige französische Küche der Regionen nahebrachte. Katharina Raue steuerte lebhafte Texte, Jörg Lehmann Reportage- und Food-Fotos bei.
Hochwertige Produkte aus der Region
Die Stadt- und Brasserie-Impressionen machen Lust auf eine Paris-Reise, und die helle Bildsprache animiert dazu, zu Messer und Gabel zu greifen, sich die Karo-Serviette umzubinden und am besten gleich mit dem Essen loszulegen. Der Callwey-Verlag hat mit dem „Brasserie-Colette"-Band ein mit 200 Seiten und 66 Rezepten nicht überdimensioniertes, aber überaus lustvoll gestaltetes Buch herausgegeben. Es ist ein Anfassbuch durch und durch. Wer das Cover in die Hand nimmt, spürt beim Berühren der samtigen, jugendstilartigen Ornamente sofort, weshalb Kochen und Essen sinnliche Vergnügen sind.
Ganz direkt und ganz anders sinnlich springen den Leser die Bilder und Rezepte in „Herz & Niere – Unser Kochbuch" an. Der beinah quadratische Band entfaltet mit den Fotos von Manuel Krug sein Potenzial als Coffeetable-Book zum Schönsein und Anschauen, dürfte sich aber letztlich doch auf dem Küchenblock wohler fühlen. Küchenchef Christoph Hauser und Gastgeber und Sommelier Michael Köhle veröffentlichten 2015 ihr Buch. Wer ihr Restaurant kennt, weiß, dass sie ihren Fokus auf qualitativ hochwertige Produkte aus der Region legen, die in Gänze verarbeitet werden. „Wir behandeln jedes Lebensmittel mit Respekt", schreiben sie in ihrem Vorwort. Insbesondere, wenn es tierischer Herkunft ist, wird alles „jenseits vom Filet" genutzt.
Veggies sollten bei der Lektüre unempfindlich gegenüber Fotos von Hirn, Kalbsmaske oder Freilandhuhn sein. Schlehen, Mini-Äpfel oder Müller-Thurgau-Trauben finden aber ebenso ihren Platz in dem Band. Mit einer Menge Produktwissen und saisonaler Rubrizierung macht das Blättern, Stöbern und Lesen Spaß. Falls gerade junger Löwenzahn auf der Wiese steht: ernten, braten, reduzieren und die Knospen einlegen! Anschließend mit selbst gepökeltem Kalbsbäckchen servieren – schon ist Frühling auf dem Teller. Wer zufällig einen Maibock auf der Weide hat, könnte diesen mithilfe der „Herz & Niere"-Rezepte in eine würzige Salami verwandeln oder die Schulter geschmort mit Rhabarber-Ragout zusammen servieren.
Augen auf auch bei Wildkräutern! Giersch, Taubnessel oder Acker-Senf bieten ebenso wie Breitwegerich, Blutampfer und Sauerklee vielfältige Möglichkeiten, vermeintliche „Unkräuter" in Salate, Pesto, Gewürzmischungen oder Eis zu verwandeln. Michael Köhles Merksatz „Man sieht nur, wenn man hinschaut", kommt da auf Ausflügen oder beim Blick in den eigenen Garten oder Balkonkasten zu ganz neuen Ehren. Mit seiner unbedingten Produktbezogenheit macht der 240-Seiter aus dem „Tre Torri"-Verlag Lust, Pflanze und Tier anders wahrzunehmen und in schmackhafte Gerichte nach Rezept oder frei Schnauze umzusetzen. Wer ohne DIY-Ambitionen in die kulinarische Welt von Hauser und Köhle hineinschmecken will, hat samstags Gelegenheit dazu: Dann gibt’s in der Kreuzberger Fichtestraße getreu dem Motto „Weck die Heimat" eingekochte Gerichte wie Fischsuppe, Thunfisch-Rilette, Putenragout oder Terrine von der Leber zu erwerben.
Der „Schmankerlmarkt" auf der Terrasse vom „Horváth" verhieß an den vergangenen Wochenenden am Paul-Lincke-Ufer ein Eintauchen in den österreichischen Genuss-Kosmos von Sebastian Frank. Schnitzelsemmeln auf die Hand, Frittatensuppe oder sogar eine ganze „versteinerte" Salzsellerie-Knolle – was normalerweise im Zwei-Sterne-Restaurant als Essenz der zeitgenössischen Austria-Produktküche aufgetischt wird, war dort in seiner rustikaleren, handhabbareren Form zu finden. Sebastian Frank und sein Team zündeten diese vermeintlich „einfacheren" Aromabömbchen nicht zuletzt, um zum künftigen Besuch im Restaurant oder zum Kauf des „kuk [cook]"-Buches zu verführen.
Alle Gerichte wurden als strenge Stillleben in Szene gesetzt
Auch wenn die Pilzlebercreme sich nicht als Rezept in Franks Buch wiederfindet, will man nach dem Verzehr auf Brot oder Brioche sofort das Kapitel „Pilze" genauestens studieren. Wie lässt sich ein so dichtes Umami aus ihnen herauskitzeln und -kochen? Guter Trick, das mit dem Anfüttern! Viele Gäste hätten sich beim „Schmankerlmarkt", neben den Restaurant-Gutscheinen für „später", eines der Bücher gekauft, beobachtete Sebastian Frank.
Mit dem „kuk [cook]"-Buch lässt sich in jedem Fall der Genuss verlängern und ausprobieren, ob etwa der für Frank charakteristische „12 Monate gereifte Salzsellerie" in der heimischen ambitionierten Laien-Küche genauso gut gelingt wie beim Profi, der sich tief in seine Produkte hineindenkt. Kein Wunder, dass dem Knollensellerie als „Signature-Gemüse" gleich das erste Kapitel gewidmet ist. Als abstraktes 3-D-Gemälde präsentiert sich kurz darauf die schwarz-weiße „Gelbe Bete mit Rauchschmalzglasur und Mohn". Frank bezieht in seinem Buch konsequent Position: „Die Verwendung von tierischem Fett als Alternative zu Sous-vide, als Konservierungsmittel, Geschmacksträger oder Texturgeber ist mittlerweile eine der wichtigsten Säulen in meiner Küche." Dann also nichts wie ran an die Knollen und ans Schweinerückenfett! Dass die Produkte reduziert aus dem Weiß heraus strahlen, ist nicht allein der Anrichtekunst des „Horváth"-Teams zu verdanken, sondern auch dem fotografischen Blick von René Riis. Er setzte die Gerichte als strenge Stillleben in High-Key-Optik in Szene. Franks „emanzipatorische Küche" mit ihrer Konzentration auf das Wesentliche kann auf Chichi verzichten, die Fotos ebenso. Koch und Fotograf ergänzen einander hervorragend, und der Matthaes-Verlag gab ihnen auf 240 Seiten Raum dafür. Es entstand ein durchdachtes, beeindruckendes, zurückgenommenes Werk, das allein schon aus ästhetischen Gründen in keiner gut gepflegten Küche fehlen sollte.