In einem neuen Report warnen Wissenschaftler vor den Folgen des Klimawandels für die Gesundheit. Vor allem Kinder seien weltweit davon besonders stark betroffen. In einem Sonderbericht wird für Deutschland vor allem die zunehmende Hitzebelastung als zentrales Gesundheitsproblem herausgestellt.
Nicht nur Klimaforscher fordern inzwischen wirksame Sofortmaßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels. Auch angesehene Mediziner wollen die Weltöffentlichkeit aufrütteln und auf wachsende Gesundheitsrisiken aufmerksam machen, die die Veränderungen des Weltklimas mit sich bringen. Sie haben sich zu einer internationalen, multidisziplinären Forschungskooperation namens „The Lancet Countdown" zusammengeschlossen, deren rund 100 Mitglieder aus 35 führenden akademischen Institutionen und UN-Behörden wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder der Weltbank stammen.
Sie haben es sich zum Ziel gesetzt, auf Basis aktueller, wissenschaftlich fundierter Daten die Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit zu beobachten und zusätzlich zu kontrollieren, inwieweit die politischen Entscheidungsträger die speziell auch für die Gesundheit eminent wichtigen Klimaversprechen einhalten. Die Ergebnisse ihrer Arbeit legen sie regelmäßig in einem in der renommierten Fachzeitschrift „The Lancet" veröffentlichten Jahresreport vor, der letzte ist Ende 2019 unter dem Berichtsnamen „The Lancet Countdown on health and climate change" veröffentlicht worden. Man könnte die Arbeit des „Lancet Countdown" durchaus mit den andere Bereiche des Klimawandels untersuchenden Sachstandsberichten des Weltklimarats IPCC vergleichen.
100 Mitglieder aus 35 Institutionen
Auch wenn der jüngste Report anhand von 41 Indikatoren aus fünf Schlüsselbereichen die Folgen des Klimawandels auf die Gesundheit der gesamten Weltbevölkerung darlegt, so standen diesmal doch die Kinder ganz besonders im Fokus. Die Kernaussage lautete denn auch, dass die Gesundheit von Kindern durch den Klimawandel ganz besonders stark gefährdet sei. Wenn in den kommenden Jahren keine entscheidenden Verbesserungen in Sachen Klimaschutz gelingen werden, „wird das Leben jedes heute geborenen Kindes tief greifend vom Klimawandel beeinträchtigt werden", so die Einschätzung des Forscherkonsortiums. „Kinder sind besonders anfällig für die gesundheitlichen Risiken in einem sich verändernden Klima", so der geschäftsführende Direktor des „Lancet Countdown" Nick Watts. Ihr Körper befinde sich noch in der Entwicklungsphase und etwaige Schädigungen, beispielsweise durch von fossilen Brennstoffen verunreinigte Luft, können ins spätere Leben mit übernommen werden. Ein heute geborenes Kind werde an seinem 71. Lebensjahr wahrscheinlich mit einer Welt zurechtkommen müssen, in der die Temperatur vier Grad wärmer sei als zu Beginn der Industrialisierung. Höhere Temperaturen begünstigten die Ausbreitung von Infektionskrankheiten, worunter die Kinder am meisten zu leiden hätten. Auch von Ernterückgängen seien sie durch die geistige und körperliche Entwicklung stark beeinträchtigende Unterernährung am schlimmsten betroffen. Zudem litten sie am stärksten unter Durchfallerkrankungen und an von Mücken übertragenen Erkrankungen wie dem Dengue-Fieber. Schon jetzt ist laut Unicef jedes dritte Kind unter fünf Jahren weltweit unterernährt, der Klimawandel werde die Lage weiter verschärfen.
Für die gesamte Weltbevölkerung sehen die Wissenschaftler, die als Sofortmaßnahmen die schnelle und komplette weltweite Abkehr vom Kohlestrom sowie Investitionen in Gesundheitssysteme, mit denen durch die Erderwärmung geschädigten Menschen geholfen werden könne, für absolut unerlässlich halten, verschiedenste gesundheitliche Hauptbedrohungen. Vor allem die Ausbreitung von Infektionskrankheiten bereitet ihnen dabei großes Kopfzerbrechen. Beispielsweise Vibrionen, die Erreger von Durchfallerkrankungen, würden in einem zunehmend feucht-warmen Klima besonders gut gedeihen. Sie stellen inzwischen sogar schon eine große Gefahr in der immer wärmeren Ostsee dar, wo sie sich ab Temperaturen von 20 Grad rasant vermehren können. Über den Mund aufgenommen, können die Erreger schwere Magen-Darm-Probleme verursachen, bei offenen Wunden können sie Infektionen bis hin zu Blutvergiftungen auslösen.
Ausbreitung der Cholera
Am meisten wird jedoch die Ausbreitung des Cholera-Bakteriums befürchtet, weil dessen Auftauchen künftig auch in Regionen ermöglicht werden könnte, in denen die Krankheit bislang noch nicht verbreitet ist. Ähnliches gelte für Viren, die von Mücken übertragen werden. Vor allem das Dengue-Fieber, das sich in hohem Fieber und grippeähnlichen Symptomen äußert, könnte zu einem riesigen Gesundheitsproblem werden, zumal jetzt schon bei fast der Hälfte der Weltbevölkerung das Risiko bestehe, an Dengue zu erkranken. Die die Krankheit übertragende Gelbfiebermücke stammt zwar ursprünglich aus den Tropen, konnte aber schon auf den Kanaren und auf Madeira nachgewiesen werden. Auch die Ausbreitung des durch Stechmücken verursachten West-Nil-Virus könnte künftig eine große Gesundheitsbelastung werden. Ebenso die Tigermücke namens Zika, die unlängst in Südfrankreich aufgetaucht war, oder die Asiatische Tigermücke, die nicht nur in Südeuropa, sondern auch schon in Deutschland nachgewiesen werden konnte.
Neben der Ausbreitung von Infektionskrankheiten warnen die „Lancet Countdown"-Wissenschaftler vor der fortschreitenden Luftverschmutzung, die die Funktion der Lunge schädigen, das Risiko für Herzinfarkte oder Schlaganfälle erhöhen oder Asthma-Erkrankungen fördern könne. Auch in immer häufigeren Hitzewellen und zunehmender Waldbrandgefahr sehen die Forscher Gesundheitsgefahren lauern. Hitzestress und hohe bodennahe Ozonwerte können schwerwiegende Folgen wie Hitzschlag, Herzinfarkt oder akutes Nierenversagen infolge von Flüssigkeitsmangel haben. Der Allergieforscher Torsten Zuberier von der Berliner Charité hielt es für nötig, die in dem Report fehlende Gefahr durch einen verstärkten Pollenflug hinzuzufügen. Wegen des Klimawandels habe sich die Blütezeit der Pflanzen verlängert, zudem hätten sich neue allergene Pflanzenarten wie Ambrosia in Europa immer weiter ausgebreitet.
Erstmals wurde zeitgleich und in einer gemeinsamen Berliner Bundespressekonferenz neben dem „Lancet Countdown"-Report auch ein „Policy Brief" genannter Sonderbericht für den Zusammenhang von Klimawandel und Gesundheit in Deutschland veröffentlicht. Für diesen Sonderbericht zeichneten die Bundesärztekammer, die Berliner Charité, das Helmholtz Zentrum München, die private Berliner Hertie School und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung verantwortlich.
Veränderung der Ökosysteme
Der „Policy Brief" enthielt im Wesentlichen drei Kernbotschaften: In der medizinischen Ausbildung müsse dringend ein fundiertes Wissen um die zunehmende Gesundheitsbedrohung durch den Klimawandel vermittelt werden, der CO2-Fußabdruck des deutschen Gesundheitswesen von derzeit rund fünf Prozent der nationalen Treibhausgasemissionen müsse möglichst weit reduziert werden, den steigenden hitzebedingten Krankheitsrisiken müsse durch entsprechende Anpassungsmaßnahmen im Gesundheitsbereich entgegengetreten werden.
Man müsse davon ausgehen, dass bis zum Ende des Jahrhunderts im Vergleich zum Zeitraum 1971 bis 2000 jährlich in den Monaten Mai bis September in Norddeutschland fünf zusätzliche Hitzewellen auftreten werden, deren Zahl für Süddeutschland sogar auf 30 prognostiziert werde. Das werde erhebliche Folgen haben, nämlich eine akute Erhöhung der Sterblichkeit und ein Anstieg der Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen. 2015 seien 6.100 hitzebedingte Todesfälle registriert worden, bis zum Ende des Jahrhunderts könnten es bis zu 8.500 solcher Todesfälle werden. Es sei absolut nötig, möglichst umgehend die 2017 von der Bundesregierung verabschiedeten Hitzeaktionspläne umzusetzen, weil diesbezüglich bislang kaum etwas Konkretes geschehen sei.
Der Klimawandel werde sich in Deutschland auch durch Veränderungen in Ökosystemen ganz entscheidend auf die Gesundheit der Bürger auswirken. Was vor allem für die Ausbreitung von Überträgern von Infektionskrankheiten (beispielsweise durch Mücken und Zecken) gelte. Aktuelle Beispiele seien die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) und die Borreliose. Künftig könnten Dengue-Fieber, Zika, Chikungunya oder das West-Nil-Virus hinzukommen. Letzteres habe 2019 erstmals eine in Sachsen festgestellte Infektion ausgelöst. Höhere Temperaturen könnten außerdem in Seen und in der Ostsee zu Algenblüten durch Cyanobakterien führen, die Hautreizungen zur Folge haben könnten. „Nicht nur die Gletscher schmelzen", so Annette Peters, Direktorin für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München, „wir sind jetzt in einer Situation, wo der Klimawandel anfängt, unsere Gesundheit zu beeinträchtigen."