Lange galt die neuralgische Torhüter-Position als Problemzone bei den Eisbären Berlin, doch ein Rückkehrer soll dies nun ändern. Die Verpflichtung
von Mathias Niederberger gilt als Transfercoup.
Mit Mathias Niederberger im Tor schauen die Eisbären Berlin guten Mutes nach vorne, Marcel Noebels blickte dagegen erst einmal zurück ins Jahr 2014. Noebels und Niederberger teilten sich bei den Eisbären ein Zimmer, beide waren im Profi-Eishockey noch Greenhorns. Und das Duo hätte damals um ein Haar seine sportliche Zukunft verschlafen. „Es war mein allererstes Wochenende bei den Eisbären, ein Spiel gegen Düsseldorf stand an, als wir beide verschlafen haben", erinnert sich Noebels. Der Sportliche Leiter Stefan Ustorf habe damals „fast die Tür eingetreten, weil wir beide noch in der Koje lagen". Auch Niederberger hat die peinliche Episode aus den Anfängen seiner Karriere noch ganz genau im Gedächtnis: „Da haben wir komplett verpennt. Wir waren mit die jüngsten Spieler, da ist uns mal richtig das Herz in die Hose gerutscht."
Die Eisbären verzichteten damals auf harte Konsequenzen, auch deshalb stehen Noebels und Niederberger nun dort, wo sie stehen. Noebels wurde in der vorzeitig abgebrochenen Spielzeit in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) zum „Spieler der Saison" gewählt, Niederberger zum besten Torhüter ausgezeichnet. Ab der kommenden Saison ist das Duo bei den Eisbären wieder vereint. Niederbergers Wechsel von der Düsseldorfer EG zum Hauptstadtclub bringt nur ein kleines Problem mit sich: Leonhard Pföderl müsste seinen Platz räumen, damit die damalige Eisbären-„WG" wieder komplett ist. „Ich spreche mal mit Leo", sagt Noebels, „vielleicht hat er Verständnis, dass zwei aus dem Niederrhein vielleicht doch wieder zusammenfinden müssen."
Niederberger ist aber natürlich nicht als Noebels idealer Zimmer-Kollege vom Rhein an die Spree gewechselt. Der 27-Jährige soll bei den Eisbären endlich die Lücke schließen, die sich mit dem Abgang des Finnen Petri Vehanen aufgetan hat. „Es war viel Flickwerk zuletzt", gibt Geschäftsführer Peter John Lee zu. Marvin Cüpper, Maximilian Franzreb, Kevin Poulin, Sebastian Dahm und der erst dieses Jahr verpflichtete Justin Pogge – sie alle konnten der Berliner Defensive nicht die notwendige Sicherheit bieten. „Du brauchst einen Torhüter, so etwa Alter 28, der das Team über Jahre konstant begleitet. Nur so bekommst du die Kurve nach oben", sagte der ehemalige EHC-Goalie René Bielke. Und genau mit diesem Auftrag wurde Niederberger verpflichtet. Der Sohn des ehemaligen DEG-Verteidigers Andreas Niederberger soll die neuralgische Torhüter-Position in Berlin auf Jahre besetzen und wie in Düsseldorf zu einem Sieg-Garanten wachsen.
„Da ist uns mal richtig das Herz in die Hose gerutscht"
In der abgebrochenen Corona-Saison war Niederberger auch statistisch gesehen der mit Abstand Beste seines Fachs. Kein anderer Goalie weist bei den Gegentoren pro Spiel (2,01), bei abgewehrten Schüssen (93,2 Prozent), Zu-Null-Spielen (5) und Anzahl der Siege (25) einen besseren Wert auf als der Neu-Berliner. „Ich bin in einer sehr guten Form", sagt er selbst, „aber ich sehe immer noch Entwicklungspotenzial bei mir." Um noch ein paar Prozentpunkte aus sich herauszukitzeln, sah Niederberger einen Wechsel als den einzig richtigen Weg an. In Düsseldorf hätte er sofort verlängern und der König bleiben können, doch er setzte auf einen neuen Reiz. Obwohl: So wirklich neu ist das Abenteuer Berlin für ihn nicht, schon in der Saison 2014/15 bestritt er für den EHC insgesamt 14 Spiele. Damals war aber ein gewisser Vehanen im Tor übermächtig, Niederberger sah für sich keine Perspektive und wechselte zur DEG. Dort reifte er erst zum DEL-Stammtorhüter, dann zum Nationalspieler und nun zum großen Hoffnungsträger des DEL-Rekordmeisters. „Dieser Torwart ist ein Kaliber", sagt Geschäftsführer Lee. „Wir sind glücklich." Auch Sportdirektor Stéphane Richer freut sich über den Transfercoup mit Niederberger: „Er hat sich in den vergangenen fünf Jahren stetig weiterentwickelt und war in dieser Saison nicht nur statistisch der beste Torwart der Liga."
Niederberger war vor der Corona-Krise der wohl begehrteste deutsche Profi auf dem Spielermarkt, seine Berliner Vergangenheit spielte den Eisbären in die Karten. Die Organisation sei für ihn „nicht etwas komplett Fremdes", außerdem habe er sich in Berlin „extrem wohlgefühlt", und die Stimmung in der Mercedes-Benz-Arena sei „immer richtig gut" gewesen. Das waren die weichen Kriterien, doch auch die harten dürften für die Eisbären gesprochen haben. Laut „Bild" soll Niederberger beim Hauptstadtclub jährlich 155.000 Euro kassieren – für einen Eishockeyprofi viel Geld. Niederberger betont jedoch, er wolle seinen Wechsel „auf das Finanzielle allein nicht heruntergebrochen" wissen. Wichtig sei ihm auch gewesen, dass sich sein neuer Club „schon sehr früh und äußerst intensiv" um ihn bemüht habe. „Sie haben mir signalisiert, dass sie mich unbedingt haben wollen", sagt Niederbeger. „Das war für mich vom Gefühl her ganz wichtig."
In der Tat gab es seit Monaten die Spekulationen einer Rückkehr nach Berlin, doch den Vollzug wollten beide Parteien erst sehr spät vermelden. Der Grund: Sowohl Düsseldorf als auch Berlin hatten sich viel in der Saison ausgerechnet und wollten in den Play-offs bis zum Ende um den Titel mitkämpfen. „Ich wollte keinen großen Wind um die Sache machen, sondern mich voll und ganz auf die Saison konzentrieren", sagt Niederberger. Er habe schon früh „das Gefühl gehabt, in dieser Saison auch etwas erreichen zu können." Der Spielstopp wegen den Auswirkungen der Corona-Pandemie sei deshalb „ein Schock" für ihn gewesen, „am Ende war die Absage aber sicherlich eine rationale und vernünftige Entscheidung".
Hauptsächlich rationale und vernünftige Entscheidungen treffen, das wird auch Niederberger selbst nachgesagt. Er ist kein besonders emotionaler oder spektakulärer Torhüter, seine Stärken liegen in der Konstanz und Ruhe. In dieser Sache ähnelt er Vehanen, dem finnischen Eisblock, sehr. Auch Niederberger soll „Ruhe reinbringen" und auf Jahre hinaus „gute Leistungen für uns zeigen", wünscht sich Sportdirektor Richer. Wer die Nummer zwei hinter dem gesetzten Neuzugang wird, ist noch offen. Manches deutet auf Tobias Ancicka, dem hoch veranlagten 19-Jährigen, der zuletzt in Finnland spielte und dort von – genau –
Petri Vehanen trainiert wurde. Noch aber ist nicht genau sicher, ob überhaupt ab September wieder in der DEL der Puck übers Eis geschossen wird, die Gefahr durch Corona ist noch längst nicht gebannt. Vor allem bei einem Zuschauer-Verbot würden die DEL-Clubs stark über die Sinnhaftigkeit und finanzielle Machbarkeit nachdenken müssen.