Nachwuchs bespaßen und arbeiten: Seit mehr als acht Wochen versuchen berufstätige Eltern und Kinder diesen oft unmöglichen Spagat. Auch FORUM-Autorin Saskia Bommer macht diese Erfahrung mit ihrer Tochter. Einziger Ausweg: Notbetreuung. Der Weg zur „neuen Normalität" wird jedoch für Kitas, Kinder und Erwachsene schwierig – und er dauert.
Da steht meine kleine Tochter und sieht mich mit ihren großen blauen Augen vorwurfsvoll an. „Mami, du bist immer am Arbeiten!", sagt sie, enttäuscht darüber, dass ich sie wieder, wie viel zu häufig in den vergangenen Wochen, vertröste. Dabei ist das, was sie sich wünscht, so schlicht und einfach: Zeit und Nähe. Zeit, gemeinsam zu puzzeln, eine Geschichte zu lesen, Kindergeburtstagsspiele zu spielen oder zusammen auf dem Bett herumzutoben. Aber einfach ist nichts in den Zeiten von Corona.
Seit acht Wochen betreue ich nun meine Tochter zu Hause und arbeite dabei im Homeoffice. Zunächst war es noch möglich, sich mit anderen Familien abzusprechen, die Betreuung der Kinder aufzuteilen. Aber mit den Einschränkungen kam die Angst, und jeder blieb für sich.
Diese acht Wochen waren eine große Belastungsprobe und sind von den unterschiedlichsten Gemütszuständen geprägt: von absoluter Ohnmacht bis hin zu Überforderung. Von Resignation, aber auch von kleinen Momenten der Unbeschwertheit und der inneren Ruhe. Und letztlich, ein Annehmen der Gegebenheiten und ein Arrangieren mit der Situation.
Und doch sehne ich mich nach Entlastung bei der Betreuung meiner Tochter, um meiner Arbeit besser nachgehen zu können und wieder ein bisschen Normalität und Struktur im Alltag zu haben, oder um einfach mal durchzuatmen. Denn eins ist mir klar geworden: Effektiv von zu Hause aus zu arbeiten und gleichzeitig das eigene Kind ausreichend zu betreuen, ist nicht möglich. Dabei habe ich vieles versucht: selbst gestaltete Tagesablaufpläne mit festen Spiel- und Kuschelzeiten, Pinterest-Bastelvorlagen zum Zeitvertreib, das Bestellen von Tiermasken, Mal- und Bastelutensilien im Internet und so weiter. Ich bin ruhig geblieben, habe mir selbst gut zugeredet, habe meditiert, war in der Natur. Ich habe auch geschimpft, war ungerecht, unsäglich genervt, wütend und traurig zugleich, und: Ich habe mich verurteilt, sehr oft, für die viel zu vielen Netflix-Stunden meiner Tochter. Letzten Endes „geholfen" hat mir nur, die Situation anzunehmen und anzuerkennen, dass ich nicht allem gerecht werden kann.
Acht Wochen waren Belastungsprobe
Aber seit einigen Wochen gibt es ein immer größer werdendes Licht am Ende des Betreuungstunnels: die schrittweise Öffnung der Kitas in vier Stufen. Aber was genau heißt das? Und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, einen Platz zu ergattern? Zurzeit befinden wir uns im „Übergang von der Ausweitung der Notbetreuung zu einem eingeschränkten Regelbetrieb in den Kitas", sagt Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot.Die Notbetreuung sei ausgeweitet worden, um der Bedarfslage der Eltern und der Kinder besser gerecht zu werden. In ihren Augen sind es gerade Vorschulkinder und Kinder, die in prekären Verhältnissen leben, die Förderung brauchen, da die Kitas nicht nur Orte der Betreuung, sondern Bildungseinrichtungen sind. Diese Kinder müssten auch auf die Schule vorbereitet werden. Deshalb ermutigt sie Eltern, die etwa aufgrund ihrer Home-Office-Situation keinen Antrag auf Notbetreuung gestellt haben, diesen Schritt doch zu gehen, wenn sie merken, dass sie daheim an ihre Grenzen stoßen oder ihr Kind leidet. „Denn klar ist, die Situation ist für viele Familien enorm belastend", so Streichert-Clivot.
Überstürzen möchte das Ministerium für Bildung und Kultur allerdings nichts. „Wir wählen für uns den Weg, dass wir schrittweise in die Ausweitung der Kapazitäten gehen. Wir merken, dass die Anfrage sehr stark ansteigt." Zum Vergleich, am 24. April wurden im Saarland 2776 Kinder in der Notbetreuung versorgt, am 11. Mai waren es schon 5518 Kinder. Eine unbeschränkte Wiedereröffnung der Kitas steht aber weiterhin in den Sternen.
Auch ich überlege, diesen Antrag auf Notbetreuung für meine Tochter zu stellen, denn was ich mir für sie wünsche, ist ein geregelter Tagesablauf mit all den Ritualen, wie sie im Kindergarten gepflegt werden und natürlich vor allem ausgelassene Spielzeit mit ihren Freunden. Aber ist das ein realistischer Wunsch in Zeiten von Abstandsregeln, Berührungsängsten und Mundschutz? Ich spreche mit einer Kita-Leiterin (Name der Redaktion bekannt, Anm. d. Red.), die mir versichert, dass die Erzieherinnen alles sind, aber nicht ängstlich. „Wenn das so wäre, dann könnte man diesem Job gar nicht mehr nachgehen." Die Erzieher und Erzieherinnen sind in ihren Augen Helden des Alltags, weil sie diejenigen sind, die die eigene Sicherheit den Bedürfnissen der Kinder unterordnen. Die Verunsicherung sieht sie derzeit vor allem aufseiten der Kinder. Es hat sich schon viel verändert: Die Eltern dürfen nicht mehr mit in den Kindergarten, die Übergabe findet vor dem Gebäude statt. Auch die Erzieher sind nicht mehr die gleichen. Die Gruppen sind strikt voneinander getrennt, gegessen wird in den Gruppenräumen. Auch im Außenbereich bleibt man unter sich, um eventuelle Infektionsketten nachverfolgen zu können und eine Schließung des Kindergartens aufgrund von Quarantänebestimmungen zu verhindern. „Wir machen alles, was notwendig ist", versichert mir die Leiterin.
Übergabe der Kinder vorm Gebäude
Aber was ist mit den Familien, die keine Notbetreuung für ihre Kinder beanspruchen können? Hier beraten die Erzieherinnen telefonisch, schreiben wöchentlich Briefe, die sie persönlich ausfahren, um den Kontakt zu halten. Denn die Kitas möchten so schnell wie möglich „ihre" Kinder wieder zurück, am besten alle. Aber, klar ist, auch vonseiten der Kita-Leiterin darf nichts überstürzt werden. „Wir müssen es langsam angehen. Bei einer Verdopplung der Kinder pro Gruppe, also von nun fünf auf zehn Kinder, wird es direkt schon schwierig", meint sie. Die Entscheidung liegt allerdings nicht bei den Kindergärten selbst, sondern bei der Landesregierung und den Trägern. In den Augen der Kita-Leitung bedarf es vor allem individueller Lösungen für die Kindertagesstätten in den einzelnen Stadtgebieten.
Dafür verantwortlich sind die Träger der Kitas im Land. Petra Oberhauser ist pädagogische Assistentin der Geschäftsführung der Katholischen Kita gGmbH Saarland, mit 157 Kindertageseinrichtungen der größte Träger saarlandweit. Sie war von Anfang an mit dabei, im eigens gegründeten Krisenstab, und weiß, wo es hakt. „Wir entscheiden, wie die Vorgaben, die vom Ministerium und dem Landesjugendamt kommen, in den Einrichtungen umgesetzt werden können und versuchen unsere Verantwortlichen gut zu beraten." In ihren Augen ist die größte Herausforderung: die Auflagen für die Notbetreuung im Sinne der Hygieneverordnung, die zweifelsfrei wichtig und notwendig sind, weil sie Kinder und Personal schützen, mit dem Ablauf im Kindergarten zu vereinbaren. „Pädagogische Grundsätze müssen hintenangestellt werden, da sie mit den strengen Regelungen oft nicht vereinbar sind." Auch personell könnten die Kitas schnell an ihre Grenzen stoßen, wenn der Regelbetrieb nach und nach einsetzt, da zurzeit ein Teil des Personals wegen der Zugehörigkeit zur Risikogruppe nicht einsetzbar ist. Hinzu kommt die Herausforderung des Fachkräftemangels, der schon vor Corona präsent war. Momentan, sagt sie, sei die Betreuung in den Notgruppen aber gut geregelt. Was sie sich vonseiten der Politik wünscht, ist mehr Bezug zur Praxis in allen Entscheidungen, und das Ganze mit genügend Vorlaufzeit. Beispielsweise beim Einhalten der Hygienekonzepte.
Besonderer Umgang mit Hygieneregeln
Die GEW fordert in einem offenen Brief an das Ministerium ein einheitliches Vorgehen gemäß des Schulbetriebs. Aber ist das realistisch? „Diese Maßnahmen können nicht mit denen im Schulbetrieb verglichen werden", meint Streichert-Clivot, „da die Betreuung der Kita-Kinder stark auf persönlichem Kontakt und Nähe aufgebaut ist." Sowieso hätten die Kitas einen besonderen Umgang mit Hygienemaßnahmen und wüssten, worauf es ankommt. Und auch die Kinder verstünden sehr genau, was wichtig sei, angefangen beim Händewaschen bis hin zum Niesen in die Armbeuge.
Deutschlandweit werden 3,7 Millionen Kinder in Kitas betreut – und die Zahl wächst. Gerade mal ein Drittel dieser Kinder sind zurzeit in der Notbetreuung untergebracht. Zwei davon sind die vierjährigen Zwillinge von Jochen Erdmenger (41). Für ihn und seine Frau ist dies eine enorme Erleichterung. Rückblickend auf die Wochen vor der Notbetreuung zieht er eine gemischte Bilanz. „Es war für uns gerade so zu leisten." Für ihn war es wichtig die Kinder nicht nur ruhigzustellen, sondern auch sinnvoll zu beschäftigen. Positiv sieht er, dass die Beziehung zu seinen Kindern an Qualität zugenommen hat. Dinge einfach zu machen mit den Kindern und nicht mehr so viel nachdenken, ob es nun gerade zeitlich passt, auch wenn es anstrengend ist, das möchte er auch in eine Zeit nach Corona mitnehmen. Die größte Sorge sei für ihn der Zwiespalt zwischen dem sozialen Miteinander, das die Kinder in den Kitas brauchen, und dem Risiko sich zu infizieren.
Diese Angst, meine Tochter, mich selbst und damit auch andere zu gefährden ist auch etwas, das mich in den letzten Wochen begleitet und tief verunsichert hat. Trotzdem werde ich den Antrag auf Notbetreuung abgeben, um endlich wieder ein bisschen durchatmen zu können, Kraft zu tanken für die Arbeit und die alltäglichen Aufgaben und vor allem um meiner Tochter wieder gerecht zu werden. Auch für mich gilt die Devise: Weniger ist mehr. Überstürztes Handeln ist für mich keine Lösung. Der Schock über den Zustand der letzten Wochen der Corona-Pandemie sitzt tief. Das spüre ich in jeder Begegnung auf der Straße, beim Einkaufen, in Gesprächen mit Freunden und Bekannten. Und es stehen viele Fragen im Raum, auf die es wohl noch lange keine Antwort geben wird. Allen voran, die Frage, wie sich unsere Gesellschaft und unser Alltag wohl im Laufe dieser Zeit wandeln werden. Auch der Alltag in den Kindergärten. Im Umgang mit meiner Tochter habe ich in den letzten Jahren jedoch eins gelernt: Wie wichtig es ist, Übergänge gut und mit ausreichend Zeit zu gestalten. Auch in Kitas sollten wir uns diese Zeit nehmen.