Deutschlands Autokonzerne wollen eine Kaufprämie für ihre Produkte durchsetzen – und trotzdem Boni an die Manager und Dividenden an die Anteilseigner ausschütten. Das ruft Unmut hervor.
Die Wirtschaft fährt an – und gleich wieder herunter: Volkswagen hat die gerade erst angelaufene Produktion auf niedrigem Niveau gedrosselt. Zu schlecht sind die Zulassungszahlen. Im April sind laut Kraftfahrtbundesamt 120.840 Pkw neu zugelassen worden. Die Zahl sank sowohl im gewerblichen wie im privaten Bereich virusbedingt um mehr als die Hälfte. Dabei verlieren alle Automarken, am stärksten Smart (-94,1 Prozent gegenüber April 2019), dann folgen Mazda (-74,8 Prozent), Honda (-73,0 Prozent), Opel (-72,8 Prozent) und Mercedes (-71,2 Prozent). Um die in der Corona-Krise abgestürzte Nachfrage anzukurbeln, fordert die deutsche Autoindustrie jetzt staatliche Prämien für den Neuwagenkauf. Denn: „Die Produktion der Automobilindustrie kann nur hochfahren, wenn auch der Absatz der Fahrzeuge gesichert ist", sagte VW-Kernmarkenchef Ralf Brandstätter. Strittig ist jedoch etwa die Frage, ob sich eine mögliche Förderung auf klimafreundliche Antriebe beschränken oder auf alle Arten von Autos erstrecken könnte. Auch der Autoverband VDA sprach sich für konjunkturelle Impulse aus. Präsidentin Hildegard Müller sagte, wichtig sei es, dass solche Maßnahmen bald beschlossen und die Vielfalt der Fahrzeugsegmente berücksichtigt würde. „Denn nur mit einer solchen Breitenwirkung ergibt sich ein signifikanter Effekt auf die Kaufentscheidungen der Kunden und damit auf die Produktion und die gesamte Wertschöpfungskette." Damit schließt sie Verbrennungsmotoren mit ein.
Die Autobranche ist nur eine von vielen, die wegen des Lockdowns leidet: Ob Reiseveranstalter, Hotels, die Gastronomie, Konzertveranstalter oder der Laden um die Ecke, sie alle werden in den kommenden Monaten, wenn nicht sogar Jahren, unter den Ausfällen der vergangenen und noch kommenden Monate leiden. Es braucht also mehr Geld als die von Finanzminister Olaf Scholz vielzitierte finanzpolitische „Bazooka", um Arbeitsplätze längerfristig zu erhalten. Einerseits. Denn andererseits: Auch der private Konsum geht zurück. Im Augenblick, so Ökonomen, befindet sich die deutsche Wirtschaft in einem Zwischenzustand. „Wir sind an der Kreuzung zwischen Angebots- und Nachfrageschock", sagte Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Heißt: Sowohl Angebot als auch Nachfrage, die beiden bestimmenden Urfaktoren eines Marktes, waren in den vergangenen beiden Monaten mehr oder weniger auf Null heruntergefahren. Jetzt, mit den beginnenden Lockerungen und dem Wiederöffnen von Nachschubrouten für die Wirtschaft, könnte das Angebot wieder steigen. Diese nützt aber ohne Nachfrage wenig – siehe das Beispiel Volkswagen. Was also tun?
Scholz’ „Bazooka" wird nicht reichen
Gemeinsam mit dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, der Universität Mannheim sowie dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) legte Michael Hüther ein Papier mit Vorschlägen vor, wo welche Ausgaben hilfreich seien. Die Autoren fordern die Bundesregierung auf, öffentliche und private Investitionen unter anderem in den Bereichen Gesundheit, Umwelt und Bildung zu stärken. Kurzfristige Maßnahmen, die vor allem den Konsum ankurbeln sollen, kommen in dem Papier jedoch nicht vor. Stattdessen sollten Unternehmen dabei unterstützt werden, schneller auf klimaneutrale Technologien umzurüsten.
Um Anreize für den privaten Konsum wird die Bundesregierung nicht herumkommen. Der Einzelhandel fordert derzeit einmalige „Corona-Schecks", Helikoptergeld in Höhe von 500 Euro, um der bundesdeutschen Einkaufsfreude auf die Sprünge zu helfen. Stefan Genth, Chef des Handelsverbandes HDE, befürchtet bereits jetzt 50.000 Pleiten nach dem Lockdown – das wäre jedes neunte Geschäft in Deutschland. Im Spiel sind außerdem Steuersenkungen wie eine schnelle Abschaffung des Soli, die unlängst auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte.
Klar ist, es muss etwas geschehen. Zu welchen Bedingungen aber beide Seiten, Angebot wie Nachfrage, richtig, sinnvoll, nachhaltig aus dem „Coronaschlaf" geweckt werden können, darüber wird nun zu Recht debattiert. Bis Anfang Juni beispielsweise möchte die Bundesregierung entscheiden, ob und zu welchen Bedingungen Kaufanreize für Autos geschaffen werden sollen. Die „Autoländer" Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg drängen darauf, aber selbst der Wirtschaftsflügel der CDU hat sich nach Informationen der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" dagegen ausgesprochen und stattdessen branchenübergreifende Entbürokratisierungen gefordert. Der Emissionsskandal, der die gesamte deutsche Autobranche als gewohnheitsmäßige Betrüger entlarvte, dürfte dazu beitragen, dass die Reaktion in Berlin nicht so enthusiastisch positiv wie erhofft ausfiel.
Mit Dividenden wollen Daimler, BMW, VW und Co ihre Aktionäre bei Laune halten. Was aber ergibt sich für ein Bild, wenn Konzerne staatliche Kredite erhalten, gleichzeitig, wie im Falle von BMW, Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, 5.000 von ihnen entlassen, daneben Dividenden in Höhe von 1,6 Milliarden Euro an Aktionäre ausschütten und mehrere Tausend Euro Kaufanreize für ihre Produkte fordern – die es ohnehin schon gibt, wie im Falle von Elektro- oder Hybridfahrzeugen? BMW verteidigt sich, beschwichtigt und mahnt. Bei der kürzlich erstmals per Video gestreamten Hauptversammlung sagte Vorstandschef Oliver Zipse, auch die Erfolgsbeteiligung der 126.000 BMW-Mitarbeiter sei an die Dividende gebunden. Vom Unternehmenserfolg hingen 70 Prozent der Vorstandsgehälter ab, und das Jahr 2020 sehe düster aus – im Klartext, auch der Vorstand wird bald Abstriche machen müssen. Volkswagen hat selbst während seines milliardenschweren, welterschütternden Dieselskandals die Dividende nicht gestrichen – vor allem, weil der größte Anteilseigner, das Land Niedersachsen, darauf angewiesen ist. Daimler musste, auch wegen eines schwierigen Geschäftsjahres, wie BMW die Dividende bereits 2019 kürzen. Für das Geschäftsjahr 2019 soll sie 90 Cent pro Aktie betragen.
VW, BMW und Co: Kassen gut gefüllt
Dividenden also werden zumindest die deutschen Autokonzerne ausschütten. Das kommt nicht gut an. Selbst das konservative „Handelsblatt" titelte „Kaufprämie oder Dividende: BMW, Daimler und VW müssen sich entscheiden". Entschieden haben sie sich offenbar dazu, das Maximum für sich aus der Situation herauszuholen.
Monika Schnitzer, „Wirtschaftsweise" der Bundesregierung, hat bereits Kaufanreize, und dazu gehören beispielsweise auch Gutscheine für die Gastronomie, generell abgelehnt. Stattdessen plädiert sie dafür, dass die Autobauer ihre Kassen anzapfen sollten. Die sind gut gefüllt. VW verfügt über 17 Milliarden Euro in liquiden Mitteln, Daimler über acht Milliarden, BMW über etwa 13 Milliarden. Genug Geld wäre also vorhanden.
BMW-Chef Zipse sieht das anders. Er forderte auf der Hauptversammlung erneut ein Konjunkturpaket für die gesamte Wirtschaft – das Wort Kaufprämie vermied er bewusst. Die Autokonzerne „tragen die deutsche Wirtschaft", so Zipse. Sie seien die größten Steuerzahler. Sie beschäftigen 830.000 Menschen in Deutschland. Der schwer gebeutelten Event- und Konzertveranstalter-Branche mit 127.000 Beschäftigten – der Branche, die womöglich als letztes wieder an den Start darf – oder der deutschen Gastronomie mit 2,4 Millionen Beschäftigten ist diese Argumentation jedoch kaum zu vermitteln.