Der Kampf gegen die Pandemie wird viele hundert Milliarden kosten. Bezahlen wird zunächst der Staat, dann die Wirtschaft und die Mehrheit der Deutschen. Corona wird riesige Löcher in die Staatskasse reißen. Das Geld wird an allen Ecken fehlen, weil mehr gebraucht wird – und weniger davon da ist.
Kaum jemand war überrascht, als der Kreis der Steuerschätzer im gewohnten Halbjahresrhythmus Anfang Mai das ziemlich katastrophale Ergebnis seiner Rechnung vorstellte. In diesem Fall konnten die Volkswirte und Finanzexperten wirklich nicht viel mehr als eine Schätzung abgeben, denn alles ist unsicher in Corona-Zeiten. Die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen dürften demnach im ganzen Jahr 2020 um knapp 100 Milliarden Euro geringer ausfallen, als vor einem halben Jahr geschätzt. Statt um knapp 20 Milliarden Euro zu steigen, werden die Einnahmen wohl um 81,5 Milliarden Euro sinken.
Gleichzeitig steigen die geplanten und für notwendig erachteten Ausgaben, und zwar massiv. Da ist zum einen der Nachtragshaushalt von Bundesfinanzminister Olaf Scholz in Höhe von 156 Milliarden Euro, dazu kommt noch ein „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“, den Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier aufgelegt haben und der erst mal mit 200 Milliarden Euro gefüllt ist. Damit braucht der Bundeshaushalt insgesamt etwas über 350 Milliarden Euro zusätzlich. Dazu kommen Garantien für Unternehmenskredite im Umfang von insgesamt 820 Milliarden Euro. Die scheinen erst mal nichts zu kosten. Aber sollte es zu massenhaften Pleiten kommen, muss der Staat einspringen. Es gibt keine offizielle Aufstellung, wie viel Geld die Regierungen des Bundes und der Länder insgesamt nun in die Hand nehmen. Zu Beginn, im März, hieß es, der Umfang aller Hilfen liege bei 750 Milliarden Euro, aber das reicht nicht. Zumal es von Woche zu Woche mehr werden: Hier noch ein Rettungsschirm, da vielleicht noch eine Abwrackprämie. Es dürften also noch viele Milliarden Euro dazukommen.
Die Volkswirte der Deutschen Bank haben alles, was sie an Zahlen bislang finden konnten, schon mal zusammengerechnet und kommen so auf die „schwindelerregende Summe von 1,9 Billionen Euro“, also 1.900 Milliarden Euro. Da sind zusätzliche Staatsausgaben, Steuererlasse, Garantien und Beteiligungen mit drin. Der Umfang ist gewaltig: immerhin das Fünffache des Bundeshaushaltes. Das ist die Größenordnung, die der Aufbau Ost gekostet hat.
„Deutschland hat das größte Hilfspaket in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg gebracht“, so der Bundesfinanzminister. Olaf Scholz hält die Corona-Krise für „die größte wirtschaftliche Herausforderung in der Geschichte der Bundesrepublik.“ Und: „Wir werden alles tun, was notwendig ist, um Arbeitsplätze, Beschäftigung und Gesundheit zu verteidigen. Weil wir in den letzten Jahren gut gewirtschaftet haben, der Schuldenstand auf 60 Prozent gesunken ist, können wir das auch.“ Immer und immer wieder betonte er, Geld sei da. Alles wirtschaftspolitische Handeln gilt nun dem Kampf gegen die Rezession und der drohenden Pleitewelle. Dafür wird Deutschland viele neue Schulden aufnehmen müssen. Deutschland ist ja reich, es kann viele Milliarden in die Hand nehmen, mehr als die meisten anderen Länder in Europa und weltweit ohnehin. „Deutschland kann sich den Schuldenberg, den es zur Bewältigung der Corona-Krise jetzt anhäuft, im Prinzip leisten“, sagt Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Institut für Weltwirtschaft.
Die finanziellen Polster schmelzen ab
Der Griff in die Staatsschatulle wird aber Spuren hinterlassen: Das über Jahre aufgebaute Polster wird nun in kürzester Zeit dahinschmelzen: In den Jahren von 2012 bis 2019 war die Staatsschuldenquote wegen der guten Konjunktur von 82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf knapp 60 Prozent gesunken und lag damit erstmals seit vielen Jahren wieder unter der Maastricht-Grenze, die sich die Euro-Länder vor vielen Jahren mal gegeben haben. Aber wie gewonnen, so zerronnen: Schon Ende 2021 dürfte der Schuldenstand wieder bei diesen 82 Prozent liegen, rechnet Sebastian Becker, Volkswirt der Deutschen Bank vor. Wenn es noch schlimmer kommt, sei sogar ein Wert von 100 Prozent des BIP nicht ausgeschlossen. So hoch waren die Schulden in Deutschland nach dem Krieg noch nie. Das sind südeuropäische Größenordnungen.
Immerhin haben die Konstrukteure der Schuldenbremse im Grundgesetz vor über zehn Jahren an so etwas wie Corona gedacht: Es gibt nämlich eine „Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen.“
Noch heftiger dürfte es vermutlich die Sozialkassen treffen. Auch sie haben bis zum Februar noch mit Überschüssen glänzen können. Insgesamt hatten die gesetzlichen Kassen zusammengenommen ein Polster von rund 100 Milliarden Euro aufbauen können. „Für schlechte Zeiten“ wie Sozialminister Hubertus Heil immer wieder betont. Die sind jetzt da.
Als Erstes dürfte die Kasse der Arbeitslosenversicherung aufgebraucht werden. Sie hat nach fast zehn Jahren guter Konjunktur Rücklagen in Höhe von 26 Milliarden Euro bilden können. Die werden nun für das Kurzarbeitergeld gebraucht. Nach der Zugangserleichterung haben schon Ende April bereits 750.000 Unternehmen für 10 Millionen Beschäftigte Kurzarbeit angemeldet. Wie viele am Ende tatsächlich Kurzarbeitergeld bekommen, wird sich noch zeigen. Die Ökonomen der Deutschen Bank schätzen, es werden sechs bis acht Millionen Menschen sein. In der Finanzkrise 2009 waren es im Mai 2009 kurzzeitig nur 1,4 Millionen Menschen. Die Gesamtkosten der Kurzarbeit betrugen damals 11 Milliarden Euro. Die 26-Milliarden-Kasse dürfte also schnell leer sein. Dann muss ein Bundeszuschuss her. Nach internen Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit werden allein dieses Jahr etwas über 30 Milliarden Euro ausgegeben werden müssen, der Bund müsse sogar 13 Milliarden Euro zuschießen.
Ähnliches gilt für die Rentenversicherung. Sie hat bis jetzt ein Polster von 40 Milliarden Euro aufbauen können. Zunächst steigen die Renten sogar noch einmal: Im Juli dieses Jahres erhalten die rund 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner noch eine Rentenerhöhung: im Westen um 3,4 Prozent, im Osten um 4,2 Prozent. Danach wird es eng werden, da eine Rentenkürzung aber seit der Rentengarantieklausel gesetzlich ausgeschlossen ist, sind die Rentner recht gut geschützt. Die Folge wird sein, dass der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung aus Steuermitteln deutlich steigen wird. Bereits jetzt sind das knapp 100 Milliarden Euro jedes Jahr. Es dürften nun deutlich mehr werden.
Als Folge der Corona-Krise werden die Sozialkassen ihre Rücklagen von rund 100 Milliarden Euro wohl vollständig aufbrauchen, wie der Ökonom Boysen-Hogrefe betont. Dies dürfte für viele Bürger die spürbarste Folge der Corona-Krise sein. Entweder werden Leistungen eingeschränkt werden, oder die Beitragssätze in nahezu allen Versicherungszweigen steigen. Was von beiden kommt, darum wird in den kommenden Monaten viel gestritten werden.
Letztlich ist der Staat nur so reich wie die Wirtschaft, von der er seine Steuern beziehen kann. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, in denen die Steuerschätzer immer wieder ein Plus von sechs bis zwölf Milliarden voraussagten, wird es diesmal nicht um neue Wünsche, sondern eiserne Einschnitte gehen. Wie schnell sich das wieder ändert, hängt vom Wirtschaftswachstum ab und davon, ob uns eine zweite Pandemie-Welle erwischen wird. 2020 wird der Rückgang wohl zwischen minus sieben und minus neun Prozent liegen, so stark, wie noch nie in der Nachkriegsgeschichte. 2009 lag der Einbruch „nur“ bei 5,7 Prozent. Das ist allein schon schlimm genug, könnte aber verkraftbar sein, wenn es danach sehr schnell wieder aufwärtsgeht.
Doch das ist nicht gesagt. Wenn Menschen grundsätzlich nicht mehr so viel shoppen und ausgehen, wenn die Unternehmen sich mit Investitionen zurückhalten, sind die Folgen auf Dauer viel massiver. Dabei ist von „grünem“ Wachstum noch gar nicht die Rede. „Größte Hypothek für die Staatsfinanzen ist ein sich durch die Corona-Krise verschlechterndes Wachstumspotenzial, das wegen der Konjunkturbereinigung die eigentliche Richtschnur der Finanzpolitik zur Einhaltung der Schuldenbremse ist“, so Boysen-Hogrefe. Mit anderen Worten: Nur wenn die Wirtschaft dauerhaft ordentlich wächst, ist das Geld auch da, das man nun verteilt.