Der Eröffnungstermin des BER im Herbst steht. Bis dahin muss der alte Flughafen Tegel noch durchhalten. Vor Monaten platzte er aus allen Nähten, jetzt herrscht hier wegen Corona gähnende Leere. Der Flughafen wird nun vorzeitig abgeschaltet – wohl für immer.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer kommt einfach nicht zur Ruhe. Die gescheiterte Pkw-Maut für EU-Bürger, dann die desolate Lage bei der Lufthansa. Als nächstes braucht die Bahn viele Milliarden Euro um ihre Corona-Löcher zu stopfen. Seit Wochen liegen ihm nun auch noch seine Ministerkollegen aus dem Bundeskabinett in den Ohren: Der Herr Verkehrsminister möge bitte dafür sorgen, dass der Hauptstadtflughafen in Tegel doch in Betrieb bleiben möge. Keiner der Vielflieger in der Bundesregierung hat wirklich Lust auf den neuen Regierungsterminal in Schönefeld, im Südosten der Hauptstadt. Was sich schon allein durch die dreimal so lange Fahrtstrecke vom BER bis ins Regierungsviertel erklärt. Mit Blaulicht schafft man die Strecke vom bisherigen Regierungsterminal an der Seidelstraße in Tegel in einer Viertelstunde.
Der Betrieb von zwei Flughäfen ist wegen Corona unwirtschaftlich
Doch nach dem Zusammenbruch des Flugverkehrs durch die Pandemie gingen Verkehrsminister Scheuer die Argumente für die Offenhaltung des TXL in Tegel aus. Mitte Mai hatte man pro Tag nicht mal mehr 2.000 Passagiere, noch im Februar kam man auf das Fünfzigfache. Bereits am 8. Mai hat man darum bereits das Hauptterminal, das charakteristische Sechseck geschlossen. Still und leise, beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit. Die wenigen Fluggäste werden seitdem im Terminal C, links vom Hauptgebäude, abgefertigt, dem ehemaligen Terminal von Germanwings und Air Berlin. Zwei Fluggesellschaften, die auch schon lange Geschichte sind – so, wie nun bald der ganze Flughafen in der Jungfernheide, dem letzten innerstädtischen Flughafen Deutschlands. Verkehrsminister Scheuer wollte es verhindern, doch der Kostendruck war zu groß. Allein der Betrieb des TXL, unterdessen beinahe ohne Passagiere, kostet jeden Tag 200.000 Euro. Da man in den kommenden drei Jahren bei der Flughafengesellschaft ohnehin einen Verlust von vermutlich 1,5 Milliarden Euro erwartet, „ist der Betrieb von zwei Flughäfen nicht länger wirtschaftlich darstellbar“, so der Chef der Flughafen-Gesellschaft Berlin-Brandenburg, Engelbert Lütke Daldrup, gegenüber dem FORUM. Darum nun die Notbremse und „zeitweilige Befreiung von der Betriebspflicht“ ab dem 15. Juni. Der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft hat sich gegen die Bundesregierung durchgesetzt und ein weiteres Stück West-Berlin ist endgültig Geschichte. 12 Jahre nach der Schließung des anderen ehemaligen innerstädtischen Flughafens Tempelhof.
Vor beinahe 120 Jahren begann die Fluggeschichte in Tegel. Neben Johannistal und Lichterfelde-Süd war hier eine der Pionierstätten des Fliegens. In Tegel wurde das 1. Preußische Luftschiffer-Bataillon aufgestellt, das mit verschiedenen Konstruktionen experimentierte. Das Areal firmierte damals als „Luftschiffhafen Reinickendorf“ und 1906 wurde die große Luftschiffhalle eingeweiht. Damals lag Tegel noch weit, weit vor den Toren Berlins. Aus dem Luftschiffhafen wurde dann 1930 der „Raketenschießplatz Tegel“, auf dem mit Flugobjekten mit flüssigem Treibstoff experimentiert wurde, unter Anleitung des legendären Wernher von Braun. Längst lag das hochexplosive Experimentierfeld mitten im Stadtgebiet und man zog um nach Kummersdorf im Brandenburgischen und etwas später dann nach Peenemünde an die Ostsee. Auf dem Gelände des heutigen Flughafens Tegel zog, bis zum Kriegsende im Mai 1945, das Flak-Regiment der Luftwaffe ein. Bis 1948 war dann erstmal Ruhe auf dem Pionierfeld der Luftfahrt. Doch im Spätsommer 1948 rollten wieder die Bulldozer über das Feld, diesmal von der französischen Armee. Die Blockade West-Berlins durch die Sowjets hatte am 24. Mai begonnen und nun brauchte man dringend ein weiteres Flugfeld, denn die Zwei-Millionen-Halbstadt wurde monatelang nur per Flugzeug aus der Luft versorgt. Die Transitwege in Westdeutschland waren dicht. Der Bau des damaligen Flughafens Tegel dauerte 90 Tage und hatte zum damaligen Zeitpunkt mit zweieinhalb Kilometern die längste Start- und Landebahn Europas. Alle zwei Minuten landete ein Flugzeug – und trotzdem wurde weiter gebaut. Wer das Baugeschehen auf dem neuen Hauptstadtflughafen BER in den letzten 14 Jahren beobachtet hat, reibt sich verwundert die Augen.
Viele Berliner bedauern das Aus für den Flughafen Tegel
Nach dem Mauerbau am 13. August 1961 wurde immer deutlicher, dass der zunehmende Flugtourismus allein über „TCA“, also den Zentralflughafen Berlin-Tempelhof, zukünftig in der Halbstadt nicht mehr zu bewerkstelligen ist. Der amerikanische Feldflugplatz im Herzen Berlins operierte längst weit über seine Kapazitätsgrenzen und außerdem war die „164 Feet Field Elevation“ ja auch die wichtigste Airbase der US-Armee im Osten Europas. Tegel musste also ran, um die Urlauber ans Mittelmeer zu bringen. Bereits seit Januar 1960 gab es einen Hin- und Rückflug Paris – Tegel, Mitte der 60er dann die Entscheidung, der gesamte Linien- und Charterflugverkehr geht nach Tegel, um den US-Militärstützpunkt „TCA“ in Tempelhof zu entlasten. Bis 1970 zogen alle Fluggesellschaften um in das Provisorium Tegel, das damals weniger aus Terminals, als vielmehr Blech-Barracken bestand. Erst am 1. November 1974 wurde der Flughafen Tegel in seiner heutigen Form eröffnet, geplant durch das Hamburger Architektenbüro Gerkan, Marg und Partner. Der ursprüngliche Plan, das Terminal-Sechseck noch einmal linksseitig zu spiegeln und damit die Passagier-Kapazität zu verdoppeln, wurde nie umgesetzt. Ebenso, aus absolut nicht nachzuvollziehenden Gründen, wurde auch auf eine U-Bahn-Anbindung verzichtet. Jetzt könnte dies der Nachnutzung des Gebäudekomplexes zum Nachteil gereichen. Was überhaupt aus dem Areal wird, ist weitgehend unklar. Wie immer in Berlin gibt es viele tolle Pläne, aber die gab es auch schon für die Gebäude des ehemaligen Flughafens Tempelhof, die bis zum heutigen Tag leer stehen. Der Unterschied zwischen Tegel und dem ehemaligen Zentralflughafen, dem größten zusammenhängenden Gebäude Europas am Tempelhofer Damm: Letzteres eignet sich für Büro-, Klinik- oder Verwaltungsnutzung, im Sechseck in Tegel könnte man vielleicht eine Shopping-Mall unterbringen. Doch erstens hat Berlin davon bereits genug und die Umsätze sind im stationären Handel spätestens seit den Corona-Maßnahmen stark rückläufig. Und ohne ÖPNV-Anbindung macht ein „Einkaufsparadies TXL“ auch wenig Sinn, wer steigt schon gerne dreimal um, um einkaufen zu gehen.
Den Anwohnern in Reinickendorf und Pankow ist das alles ziemlich egal, sie sind froh, dass sie den Fluglärm endlich los sind. Der Rest der Berliner sieht es ähnlich wie die meisten Mitglieder der Bundesregierung: Schade um den stadtnahen Flughafen, die Wege werden zukünftig länger.
Noch viel trauriger sind die „Planespotter“. Also Menschen, deren Hobby es ist, die startenden oder landenden Flugzeuge zu fotografieren. Für sie war der TXL ein wahres Eldorado der bildlichen Flugromantik mitten in der Stadt. „Du kommst nie wieder mit der Kamera so nah ran an die Flugzeuge wie hier in Tegel. Schönefeld kann man vergessen, das ist Bildpampa“, so Planespotter Jacob gegenüber FORUM. Ähnlich sieht das auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, allerdings nicht fotografisch, sondern rein von der Anbindung zu seinem Arbeitsplatz in Berlin-Mitte.