Als einzige größere Mannschaftssportart hinter „König Fußball“ nimmt die Basketball-Bundesliga nach den Lockerungen der Corona-Maßnahmen ihren Spielbetrieb wieder auf. Wirtschaftliche Gründe sind ausschlaggebend für den Kraftakt des Quarantäne-Turniers ab Anfang Juni.
Keine Zuschauer, hermetisch von der Außenwelt isolierte Profis und TV-Zeiten satt. Das Quarantäne-Turnier der Basketball-Bundesliga ab Anfang Juni in München ist in der Geschichte des deutschen Sports ein beispielloses Experiment.
Corona macht’s möglich und nötig: Ohne größeren Streit und imageschädigende Querelen wollen zehn Vereine durch ihre mehr als dreiwöchige Suche nach dem „Geister-Meister“ für sich und die sieben weiteren nicht teilnehmenden Clubs retten, was nach der Unterbrechung der Saison wegen der Virus-Pandemie noch zu retten ist. „Der Basketball erhält eine Plattform, um den Fortbestand unserer Sportart zu sichern“, brachte Geschäftsführer Marko Pesic vom Titelverteidiger und Finalturnier-Gastgeber Bayern München – nach dem grünen Licht durch die bayerische Landesregierung – Sinn und Zweck des gesamten Großmanövers trotz der dramatischen Wortwahl durchaus sachlich auf den Punkt.
„Den Fortbestand unserer Sportart sichern“
Anders als womöglich zu vermuten gehen die Bayern und ihre neun Rivalen im Gegensatz zu den Clubs der Deutschen Fußball Liga (DFL) mit deren „Geisterspielen“ nicht für etliche weitere Millionen an Fernsehgeldern auf Korbjagd. Angesichts von vergleichsweise zu vernachlässigenden TV-Honoraren ist das Münchner Turnier mit seinen insgesamt 35 Begegnungen vor allem eines: Schadensbegrenzung. Ohne eine Fortführung der Mitte März wegen der Corona-Krise unterbrochenen Saison würden allen Clubs des Oberhauses hohe Regressforderungen ihrer Sponsoren drohen – und dadurch mitunter auch der finanzielle Kollaps.
Pesics Kollege Marco Baldi von Pokalsieger Alba Berlin beschrieb die Lage der Liga denn auch als „einen Moment, in dem uns allen der Hintern brennt“. Rasta Vechtas Boss Stefan Niemeyer bemüht sich ebenfalls erst gar nicht, eine hehre sportliche Sehnsucht nach einem sportlich ermittelten Meister als Motivation – für den angesichts seiner völlig ungewohnten und extremen Rahmenbedingungen geradezu abenteuerlichen Wettbewerb – anzuführen: Hätte sich unter den Clubs keine Mehrheit für das Turnier gefunden, „würden wir jetzt alle in der Sommerpause sein und auf Rückforderungen warten können. Das Format lässt für uns die Chance größer zu werden, uns vor zu erwartenden sehr, sehr hohen Regressforderungen zu schützen. Am Ende soll uns dieses Format günstiger kommen, als wenn es einen Abbruch gegeben hätte.“ Außer Rückforderungen und den Verlusten einbehaltener Sponsorenzahlungen hätten die Vereine ohne einen Beschluss für München auch eine Welle von Kündigungen vieler Partner befürchten müssen.
Nicht zuletzt deswegen geht die Liga bei der ausgesprochen aufwendigen Organisation des Turniers paradoxerweise vollauf überzeugt ins finanzielle Risiko. Die Kosten in Höhe von geschätzt einer Million Euro sind laut Baldi zwar „Geld, das nicht da ist“, doch zugleich sieht der Berliner die Ausgaben als „Investition in die Zukunft“. Natürlich sei ein solches Turnier „sehr weit weg vom Optimum“, doch zugleich würde schon „eine filigrane Brücke in die nächste Saison geschlagen“. Es gehe darum, ergänzt Geschäftsführer Martin Romig von den Merlins Crailsheim, „nicht komplett von der Bildfläche zu verschwinden“.
Zudem spülen die 23 Tage von München auch etwas Bares in die in den vergangenen Wochen zunehmend ausgetrockneten Clubkassen. Der Telekom-Sender Magenta überträgt sämtliche Spiele aus der Münchner Halle in die Wohnzimmer und zahlt dafür nicht nur den zehn teilnehmenden Clubs, sondern auch den sieben Aussteigern jeweils 70.000 Euro und begleicht damit seine letzte Rate für die TV-Rechte an dieser so unglückselig verlaufenen Saison.
Die Grundlage dazu schufen die Liga und ihr fleißiger Geschäftsführer Stefan Holz allerdings erst mit einem, wie Bayerns Staatskanzleichef Florian Herrmann konstatierte, „sehr überzeugenden Hygienekonzept“. Der Plan der Basketballer fußt auf dem gleichnamigen Papier der DFL für ihre beiden Bundesligen, geht aber noch mal so weit darüber hinaus, dass der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und sein Kabinett kaum anders konnten als die Genehmigung zu erteilen. Denn das Basketball-Konzept ist erheblich einfacher und sicherer umzusetzen als im Fußball. Der wichtigste Unterschied ist, dass die Basketballer aufgrund ihrer kasernensähnlichen Unterbringung in einem einzigen Hotel in München nicht ständig durchs Land reisen müssen und damit ein erheblich niedrigeres Risiko tragen, sich irgendwo mit dem Virus zu infizieren und danach andere damit anzustecken.
Online-Lieferservice organisiert
Bis wenige Tage vor dem ersten Tipp Inn in der Isar-Metropole trainieren die zehn Teams zunächst noch in heimischen Gefilden, aber die Spieler werden bereits vor der Reise nach München regelmäßig getestet. Im Liga-Hotel sind die Mannschaften zwar hermetisch von der Außenwelt getrennt, aber zugleich doch nicht eingesperrt: In kleinen Gruppen dürfen die Spieler spazieren gehen oder auch joggen, dabei jedoch nicht mit Personen außerhalb ihrer „Blase“ und auch nicht mit ihren Familienangehörigen in körperlichen Kontakt treten.
Aufgrund der Probleme der Fußballer bei der Umsetzung des DFL-Konzeptes – angefangen bei Salomon Kalous unsäglichem Insider-Video aus der Kabine von Hertha BSC über den Drogerie-Ausflug von Trainer Heiko Herrlich während der Quarantäne des FC Augsburg bis hin zum Küsschen-Jubel wiederum in Herthas Mannschaft – werden die Vorschriften kontinuierlich fortgeschrieben. „Wir wollen keinen Fall Herrlich“, sagt Liga-Sportchef Jens Staudenmayer, „wir haben einen Online-Lieferservice organisiert, falls jemandem zwischendurch die Zahnpasta ausgeht.“ Pesic appellierte zudem an die Eigenverantwortung besonders der zuweilen kapriziösen Profis: „Jeder Einzelne muss sich in den kommenden sechs Wochen sehr intelligent und diszipliniert verhalten.“
Auch aus Sicht der Spieler, von denen vergleichsweise viele im Vorfeld der Entscheidung noch Kritik an ihrer mangelnden Einbindung in die Entwicklung der Pläne geäußert hatten, sind denkbare Gefahren auf ein weitgehend mögliches Minimum reduziert worden. „Das Konzept ist schon sehr sicher“, meinte ihr Sprecher Bastian Doreth in einem TV-Interview und bescheinigte den Funktionären, das Risiko einer Infizierung „höchstmöglich eliminiert“ zu haben.
Ob auch der sportliche Stellenwert höheren Ansprüchen genügen können wird, muss angesichts der monatelangen Pause, personellen Veränderungen in den Mannschaften durch Kündigungen und des nun anstehenden Kaltstarts zunächst in Frage stehen. Weil alle Teams in München wieder bei Null starten, sagte Bayern-Manager Pesic „die interessanteste Meisterschaft überhaupt“ voraus: „Das ist ein Turnier, wie es noch nie eines gab. Teams, die vor der Krise eine schlechte Saison hatten und chancenlos wirkten, können in wenigen Spielen sehr viel erreichen und Meister werden.“
„Die interessanteste Meisterschaft überhaupt“
Tatsächlich bietet der Modus Außenseitern durchaus Gelegenheiten zu großen Würfen. Aus den zwei Fünfer-Gruppen kommen jeweils gleich vier Mannschaften ins Viertelfinale, ab dem bis einschließlich der Endspiele im K.o.-Modus mit dem addierten Gesamtergebnis gespielt wird.
In den fernen USA verfolgt der deutsche NBA-Star Maximilian Kleber von den Dallas Mavericks die Entwicklung in der Heimat mit gemischten Gefühlen. „Ein solches Turnier ist wohl die einzig sinnvolle Möglichkeit“, meinte der gebürtige Würzburger, schränkte aber auch ein: „Es hätte sicher einen Beigeschmack, wenn man jetzt die Meisterschaft gewinnt. Es ist immer eine Corona-Meisterschaft.“
Berlins spanischer Trainer-Veteran Aíto García Reneses betonte hingegen das Privileg seines Sports gegenüber den abgebrochenen Bundesliga-Spielzeiten im Handball, Eishockey und Volleyball: „Es ist besser, diesen Wettbewerb zu spielen als gar keinen.“