Bernd Jacobitz führte in den 60er- und 70er-Jahren als erfolgreicher Amateurboxer ein schillerndes Leben. Eine Knieverletzung brachte das jähe Ende, fast kam es zum kompletten Absturz. Doch der heute 73-Jährige wurde auch im Leben zum Kämpfer.
Ich mach sie fertig, indem ich ihnen das Nasenbein ins Gehirn drücke.“ Beeindruckend schlicht brachte einst Mike Tyson, Schwergewichtsweltmeister von 1986, sein Verständnis vom Boxen auf den Punkt. Damit war für ihn alles gesagt. Feingeister hingegen, Literaten und Künstler, die es vorzogen, von außen den brutalen Schlagabtausch zu bewundern, stilisierten diesen Faustkampf gerne zum archaischen Urerlebnis hoch, zum existenziellen Drama, wobei ihre Sympathie meist den Außenseitern galt. Philosophisches konnte Bernd Jacobitz hinter prasselnden Faustgewittern niemals entdecken. Er sah sich auch nicht als Underdog. „Alle liebten, achteten und schätzten mich. Und wer es mir nicht glaubte, dem habe ich das im Ring gezeigt.“ Vorrangig ging es dem 1947 in Goslar geborenen Boxtrainer um Respekt und Anerkennung, aber natürlich auch um Geld, dicke Autos und schöne Frauen. Das alles bekam der Amateur über Jahre, solange er zu den Gewinnern zählte: mehrfacher Berliner Juniorenmeister, zweifacher Deutscher Mannschaftsmeister, Einzelvizemeister, Nationalstaffelboxer. Das ist verdammt lange her, aber ruhiger ist das hagere, durchtrainierte Energiebündel nicht geworden. Seit 14 Jahren betreibt er im Hinterhof eines mehrstöckigen Mietshauses in Berlin-Charlottenburg ein Boxstudio mit allem, was dazu gehört. Hier weiß man gleich, worum es geht. Im fahlen Licht von Neonröhren schwitzt, stöhnt und trainiert abends eine Handvoll junger Männer Schattenboxen, Sit-ups und Seilspringen. Tagsüber sind es eher Frauen und Fitnessbewusste. In den Ring geht es auch. Es riecht leicht nach Schweiß und Bohnerwachs, und so muss es sein, wenn hart trainiert wird. Keine Show, keine Faxen. Bernd Jacobitz lässt seine Schützlinge nicht aus den Augen. Den Besucher taxiert er mit prüfendem Blick, bevor er ihn zu den Fotos, Zeitungsausschnitten und Urkunden bugsiert, die die Wände seines Boxstudios zieren. Er spricht schnell und heiser, vernuschelt halbe Sätze, setzt sich, springt wieder auf: „ Guck mal hier, lies mal da, haste det schon jesehn?“ Alte Zeiten, verwehte Welt der späten 60er und frühen 70er, seine besten Jahre. Da war er wer, und davon zehrt er, bis er vom Allmächtigen umgehauen wird. „Ich habe mich nie gefürchtet. Davor auch nicht.“ Ob man sich im Leben umhauen lässt, darauf kam es ihm immer an, sagt er selbstbewusst. Umhauen oder umgehauen werden, das ist seine Frage. Ein ganzes Leben lang.
„Ich habe mich nie gefürchtet“
Mit fünf Jahren zieht er mit der Familie aus dem Harz in die damalige Frontstadt Westberlin. Der Vater leitet eine kleine Fabrik, in der Schilder und Leuchtreklamen hergestellt werden, der Familie geht es gut. „Mein Vater trug immer eine goldene Uhr, fuhr einen Mercedes und wir verreisten viel“, erinnert sich Bernd Jacobitz. Aus armen Verhältnissen kam er sicher nicht. Aber er ist ein bisschen kleiner als die anderen in der Volksschule, die ihn im Turnverein „Krümel“ nennen, ihn hänseln und ihm gerne auflauern. Und dann prügelt er sich mit denen, bis sie ihn in Ruhe lassen, weil er nicht kneift und sogar Größere umhaut. Das hat er von seinem großen Bruder gelernt, der boxen kann und den er immer bewundert. Während seiner Lehre als Schildermaler im väterlichen Betrieb eifert er ihm nach. Er ist flink auf den Beinen, weicht den Haken aus, schlägt blitzschnell zurück. Und weil er gut ist, geht er zum Polizeisportverein. Ein bisschen Geld nebenbei verdient er sich auch damit. Zehn D-Mark stecken sie ihm zu, wenn er sich den Profis als Sparringspartner anbietet. „Bei denen hab ich mir die ganzen Tricks und Kniffe abgeguckt. Wenn Du besser sein willst als die anderen musst Du so was machen.“ Bernd Jacobitz, manchmal auch Schlitzohr. Er wird besser und gewinnt Titel. Und dann hinaus in die weite Welt, das ist ganz nach seinem Geschmack und schmeichelt seinem Ego. Er boxt in Japan, Russland und Afrika, das bezahlt der Amateurboxverband, und andere Vereine leihen ihn schon mal aus, wenn es wichtig wird. Arm in Arm mit diesem Jacobitz lassen sich in Westberlin nun auch gerne mal die oberen Zehntausend sehen. Gönner und Sponsoren organisieren Kämpfe im ausverkauften Sportpalast, der Bernd lässt sich feiern und fördern von allen, die gerne einen auf dicke Hose machen. „Ich kannte die Zuhälter mit ihren Frauen in der dritten Reihe. Schicke Hüte, dicke Ketten, und wenn ich mal wieder einen richtiger Treffer landete, steckten sie mir einen Hunderter extra in die Tasche. Ich hätt‘ umsonst in den Puff gehen können, aber das war nichts für mich. Aber in der Disko am Prager Platz, da kannten sie mich alle, der DJ hat mich immer angekündigt, das war schon geil.“ Richtig Geld verdienen aber nur die Schwergewichtler im Profigeschäft, Jacobitz bleibt Amateur mit Nebenverdiensten. Und plötzlich scheint 1975 alles vorbei. Beim Hallenfußball geht sein Knie kaputt, die Karriere im Ring endete jäh. Für immer vorbei die schöne Zeit. Bernd Jacobitz muss sich jetzt alleine durchschlagen, und gerade das hat er nicht gelernt. Als Detektiv heuert er im Kaufhaus des Westens an, arbeitet sich hoch zu einer Art Chefermittler im Herthie-Konzern, aber das ist nicht seine Welt. Seine Partnerin verlässt ihn, und er erfährt, wie unselbstständig er noch immer ist; das verwöhnte Kind aus gutem Hause: „Ich konnte mir noch nicht mal selbst was zum Essen machen, ich humpelte durch die Wohnung, ich kriegte Komplexe, Minderwertigkeitsgefühle und dachte daran, vom Europa-Center zu springen. So hat mich keiner akzeptiert, das interessierte auch keinen von den früheren Freunden.“ Er kämpft gegen Depressionen, fast hauen sie ihn um. Aber der Jacobitz ist ein harter Hund, macht eine Kur, quält sich zurück ins Leben. „Früher war nur mein Körper stark, langsam wurde aber auch mein Kopf stark. Zäh sein, bissig bleiben, dich nicht umhauen lassen, darauf kommt es an. Genau wie beim Boxen.“ Er kratzt sein Geld zusammen, übernimmt ein Fitnessstudio, erweitert den Laden um ein Waschcenter und Solarium. Als er wieder aufsteht, sind sie dann plötzlich alle wieder da, die Promis aller Klassen, die Kiezgrößen, die Miss Germany. Jetzt geht die Party wieder los, Come-back-Bernd verjubelt sein Geld im Casino, und die Karawane zieht weiter. 1997 sitzt er ein paar Wochen in U-Haft, da fasst ihn keiner an. Sein Fitnessstudio war ausgebrannt, man verdächtigt ihn der Brandstiftung, viel Presse, keine Beweise. Er kommt frei. Aber er muss die Versicherung verklagen, um an sein Geld zu kommen, danach will er es ruhiger angehen lassen. „Das waren schöne Jahre. Ich hatte wieder eine feste Freundin, mein Sohn war bei uns, Gartenhaus, Hund, Sandkasten, alles prima.“ Wer ihn kennt, ahnt aber, dass es das noch nicht war. Statt Stillstand und Idylle dann doch lieber ein bisschen Auf und Ab und Risiko. „Das Beste, was mir passierte, kam noch. 2006 hab ich den Laden hier gemietet, alles umgebaut und hab wieder das gemacht, was ich konnte. Ich bring den Leuten Boxen bei und mach sie fit. In meinem eigenen Studio.“
Seine Partnerin verlässt ihn
Wenn Bernd Jacobitz seine Schützlinge beobachtet, sieht und korrigiert er jeden Fehler. Das interessiert ihn, macht ihm Spaß, ein Philosoph ist er nicht geworden. Dass die Zeiten eines Muhammad Ali mit seinem „Phantom Punch“ vorbei sind, weiß er. Bernd Jacobitz ahnt, dass er und sein im allerbesten Sinne altmodisches Boxstudio allmählich aus der Zeit fallen. „Im Wohlstand quält sich keiner mehr richtig.“ Dann schaut er rüber zu den Jungs im Ring und überlegt einen Moment: „Es gibt immer noch welche, die fleißig sind. Aber die haben kein Endziel. Sie machen es zur Selbstverteidigung, damit man ihnen das Handy nicht klaut. So ist es heute eben.“ Das meint er nicht spöttisch. „Ist auch okay.“ Bernd Jacobitz, ein Steher, der nimmt, wie es kommt.