Sein großes Vorbild ist Michael Jackson: Nico Santos. Der vor 27 Jahren in Bremen geborene und auf Mallorca aufgewachsene Sänger ist international erfolgreich und wurde mit Gold- und Platinplatten ausgezeichnet. Auf seinem neuen, nach ihm selbst benannten Album verarbeitet er in emotionalen Popsongs Einflüsse von Hip-Hop, Soul und R’n’B.
Nico Santos, wie nutzen Sie in der Corona-Krise die Zeit des Wartens?
Ich hatte eigentlich vor, 2021 Urlaub zu machen. Das habe ich jetzt vorgezogen, aber natürlich ist das ein anderer Urlaub, als ich ihn mir vorgestellt habe. Ich habe jetzt sehr viel Zeit, die ich auch für Musik nutze.
Sind Sie ein geduldiger Mensch?
Kommt drauf an. Beim Puzzeln bin ich nicht geduldig. Aber was den Shutdown angeht, wird das seine Zeit brauchen. Leider. Für meine Band ist es besonders schlimm. Ich kann ja wenigstens Songs schreiben und veröffentlichen. Ich habe auch Zeit, Videos zu drehen. Aber meine Band kann momentan nicht spielen. Kein Künstler kann auftreten, es gibt weder Theater noch Hochzeiten.
Verbringen Sie jetzt viel Zeit mit sich selbst?
Sehr viel. Ich bin zu Hause und spiele viel Klavier. Ich bin kreativ und habe Spaß daran.
Wir leben im Zeitalter des Streamings. Heutzutage dominieren Einzelsongs und mehr oder weniger kunstvoll zusammengestellte Playlists. Warum machen Sie da noch so etwas Altmodisches wie ein Album?
Ich schreibe anders als viele deutsche Künstler. Ich frage mich immer, was ich gerne von mir hören würde. Auf meinem neuen Album „Nico Santos“ sind Songs mit 80er-Jahre-Anleihen. Einer beginnt mit einem Basslauf, einer hat eine Acht-Akkord-Reihenfolge. Es gibt ein Schlaflied, das meine Mutter mir immer vorgesungen hat und bei dem ich am Ende auf Spanisch singe. Einmal spielt mein Papa Saxofon. Solche Songs werden keine Singles. Ohne dieses Album würden sie niemals das Licht der Welt erblicken.
Die Songs des Albums klingen stilistisch vielfältig. Legen Sie Wert darauf, dass Ihre Handschrift in Texten und Musik immer deutlich erkennbar ist?
Das entwickelt sich von alleine, ohne dass es von mir gewollt ist. Je mehr man schreibt, desto besser weiß man, worin man gut ist oder was man selbst von sich hören will. Ich mag ganz viele verschiedene Genres. Mein Papa war Jazzmusiker und meine Mama Gitarristin in einer Frauen-Grunge-Band. So vielfältig wie ich aufgewachsen bin, möchte ich Musik machen. Michael Jackson hat auch ganz viele verschiedene Stile kombiniert.
Auf welche Weise hat Michael Jackson Sie geprägt?
Ich habe mir musikalisch und gesanglich einiges bei ihm abgeguckt. Seitdem hat es kein anderer geschafft, über so lange Zeit so krasse Musik abzuliefern. Für mich ist es verrückt zu sehen, dass Songs von Jackson, die 1991 rausgekommen sind, immer noch aktuell klingen. Das hat in den 90ern kaum jemand geschafft. Auch wie er seine Songs abgemischt hat, ist eine Kunst.
Jedes Jahrzehnt hat seinen spezifischen Sound. Wie klingen die 20er-Jahre des neuen Jahrtausends?
Das wird sich erst noch herausstellen. Aber ich glaube, dass die typischen Sounds der 80er und 90er immer wieder zurückkehren werden – gepaart mit dem Klang des neuen Jahrzehnts.
Wie kam es zu der Nummer „Low On Love“?
Ich war viereinhalb Jahre in einer Beziehung und bin seit Anfang des Jahres wieder Single. Dieses Album ist generell nicht das positivste, was man schreiben kann. Das hört man speziell bei dem Song „Low On Love“. Mir ist es wichtig, dass sich viele Leute mit meinen Songs identifizieren können.
Wie gehen Sie mit solchen Lebenskrisen um?
Weil ich die Musik habe, ist es für mich relativ einfach, damit fertig zu werden. Das ist wie eine Therapiestunde. Wenn ich mich ans Klavier setze, habe ich das Gefühl, mit mir selbst zu sprechen, ohne mir dabei dumm vorzukommen. Man sagt quasi das, was man einer anderen Person sagen würde.
In dem Song „Walk In Your Shoes“ geht es um Ihren besten Freund, der bei einem Unfall gestorben ist, als sie beide 15 waren.
Es war der schwerste Song, den ich bis jetzt geschrieben habe. Ich wusste immer, dass ich das eines Tages tun werde. Es hat ein bisschen gedauert, aber jetzt bin ich damit glücklich.
Welche Erinnerungen sind bei Ihnen wieder hochgekommen, als Sie sich den Song erarbeiteten?
Dieses Ereignis hat mich gezeichnet. Das Leben auf Mallorca ist normalerweise sehr entspannt und man denkt nicht daran, dass so etwas überhaupt möglich ist. Aber auch da kann etwas Schreckliches passieren, und man wird aus seiner Fantasiewelt herausgerissen. Ab dem Zeitpunkt habe ich vieles anders gesehen. Das klingt super klischeehaft, aber seitdem sage ich mir: Man soll das Beste aus jedem Tag machen. Gerade jetzt in der Quarantänezeit merkt man, welches Privileg es eigentlich ist, frei zu sein. Nach dieser Zeit wird es einen Boom an Lebensfreude geben.
Fällt es Ihnen sehr schwer, auf Live-Auftritte zu verzichten?
Das ist für uns Künstler das allerschwerste. Als ich mit Max Giesinger vor Kurzem in Kapstadt war, hieß es, unsere Tourneen würden wahrscheinlich verschoben werden. Bis dahin war das für uns undenkbar. Eine Tour verschiebt man sonst nur, wenn man krank ist. Dass einmal eine Pandemie über uns kommt, hätte ich mir nie erträumen lassen.
Gewöhnt man sich an die neue Situation schnell?
Ich habe gerade ein neues Video hochgeladen. Ganz viele Kommentare lauteten: Du hältst den Mindestabstand nicht ein! Das Video ist vor zwei Monaten entstanden, da gab es noch gar keine Einschränkungen. Da wieder rauszukommen, dürfte schwer werden.
Sie haben eine Zeit lang gekellnert. Welche anderen Jobs hatten Sie vor Ihrer Karriere?
Ich war Animateur in Robinson Clubs. Da habe ich auch schon gesungen. Ich war damals Mitte 17 und habe nach einem ersten Sommerjob gesucht. Ich wusste gar nicht, dass Robinson Club ein deutsches Unternehmen ist. Lustigerweise war es eine der besten Sachen, die mir passieren konnten, weil ich dadurch nach Köln gezogen bin. Ich habe dabei viel gelernt.
Seit 2015 sind Sie auch als Produzent und Songwriter tätig, arbeiten unter anderem mit Helene Fischer. Orientieren Sie sich dabei immer am Geschmack des Publikums?
Ich respektiere eher das, was die Künstler gerne machen würden. Man macht es ja mit ihnen zusammen.
Für Helene Fischer zum Beispiel haben Sie „Achterbahn“ geschrieben. Wie kommt solch eine Zusammenarbeit normalerweise zustande?
Bei Helene war es so, dass ich gefragt wurde, ob ich Lust hätte, für sie Songs zu schreiben. Das war mein erster Job in der Schlagerwelt. Für mich ist es immer cool, herumzuexperimentieren. Man lernt aus allem, was man macht.
Wie haben Sie zu Ihrem Stil gefunden?
Meine Familie hat mich musikalisch am meisten geprägt. Mein Papa hat ein eigenes Studio auf Mallorca, Mama hat bei uns im Haus Schlagzeug gespielt. Papa war auch mit Mitgliedern von den Bee Gees und Annie Lennox’ Band am Start. Von denen habe ich in meiner Jugend am meisten gelernt.
Sie wirken in der neuen Staffel der beliebten TV-Show „Sing meinen Song“ mit. Hat Sie jemand bei dieser Sendung besonders überrascht?
Ich kannte Max Giesinger und Lea schon vor der Sendung sehr gut. Deswegen wusste ich auch schon ungefähr, was ich erwarten konnte. Obwohl sie in der Show auch ganz viele neue Seiten von sich zeigen.
Am wenigsten vorstellen konnte ich mir Jan Plewka, den Sänger der Band Selig. Er hat mich dann aber am meisten überrascht. Seine Art, Songs zu performen, ist anders als alles, was ich jemals zuvor gesehen habe. Es war super spannend, mitzuerleben, wie er in der Show bekannte Songs auf seine Weise singt oder neu arrangiert.
Wie war es, selber vor den anderen Künstlern aufzutreten?
Es war mit Abstand die schönste Zeit meines Lebens. Alleine weil man sich dort so unfassbar gut verstanden hat. Ich hatte schon viel Gutes von diesem Format gehört, aber nie gedacht, dass es so emotional wird. Schon beim zweiten Song in der ersten Folge habe ich Rotz und Wasser geheult. Echt verrückt, was da mit einem abgeht.