Katja Flint ist nicht nur eine der gefragtesten deutschen Kino- und Fernsehschauspielerinnen. Die 60-Jährige hat vor einigen Jahren ihre Leidenschaft für die Fotokamera entdeckt und verzeichnet hier große Erfolge. FORUM-Autorin Dorothee Wendel traf die Künstlerin bei ihrer Ausstellung in der Saarbrücker Galerie Neuheisel.
Ich wollte fotografisch von einem Thema erzählen, von dem ich etwas verstehe“, erklärt Katja Flint ganz stringent und bringt so ihr Thema auf den Punkt: „Die Macht der Emotionen“. Ihre Schwarz-Weiß-Fotos besitzen einen erweiterten Bezug zum Filmischen, sie arbeiten sichtbar die Essenz heraus. In Filmen sehen wir Emotionen in einem gewissen Kontext, einer Geschichte. Katja Flint, die alle Facetten von Gefühlen in ihrer langen und abwechslungsreichen Filmkarriere gezeigt hat, möchte über die empathische Darstellung von Charakteren, deren Befindlichkeiten und daraus folgenden Handlungen hinausgehen – tiefer gehen. Es sind nicht die Personen, die sie in ihren Fotos dokumentiert, sie dokumentiert Emotionen.
Ihre fotografische Umsetzung ist der Schritt vom Individuellen zum Allgemeinen. Was bedeutet es, Mensch zu sein? Wie drücken wir Emotionen aus, und welche Macht haben diese auf Individuum und Gesellschaft? Diesen philosophischen Fragen spürt die Künstlerin in ihrem fotografischen Prozess nach.
Noch vor ihrem Entschluss, Schauspielerin zu werden, hatte Katja Flint, die damals gerade als Kosmetikerin diplomierte, eine erste Rolle als Kleindarstellerin in „Piratensender Powerplay“, einer deutschen Filmkomödie aus dem Jahr 1981 mit Mike Krüger und Thomas Gottschalk. Heute daran erinnert, ist sie ein wenig peinlich berührt; es schaudert sie zu einem Lachen: „Das war so schlecht, dass ich danach die Motivation hatte, das Schauspiel richtig zu lernen.“
„Es richtig lernen“ – ein Credo, welches sie auch in der Fotografie beherzigt. Nachdem ihre Leidenschaft für das Fotografieren immer mehr technisches Wissen erforderte, eignete sie sich diese Professionalität an. „Mithilfe von Lehrern und learning by doing. Ich mache fast alles selbst“ erzählt die Künstlerin, deren humorvolle Schilderungen die Begeisterung für das, was sie tut, offensichtlich werden lassen. „Mit einem Arm die Lampe halten und mit der anderen zu fotografieren, erfordert manchmal schon akrobatische Verrenkungen.“ Hierbei ist sie Regisseurin, Beleuchterin und Ausstatterin.
Motive, die andere nie fotografiert hätten
Was 2013 spielerisch mit Handy-Fotos begann, entwickelte sich in Begleitung von Profis aus der Kunstwelt, die ihr Talent entdeckten, zusehends zu einem Mittel, den Blick zu intensivieren und neue Perspektiven zu entdecken. Es war genau die kreative Ergänzung zur darstellenden Kunst, nach der sie schon länger gesucht hatte.
Die Fotografie ist eine neue Herausforderung. Die Gelassenheit einer Schauspielerin, die alle Herausforderungen in ihrem Beruf gemeistert hat, eingeschlossen der Erfüllung des grundsätzlichen Traumes eines jeden Schauspielers, die ganz große Hauptrolle zu spielen, diese Gelassenheit besitzt Katja Flint. So ein Traum hatte sich mit dem Film „Marlene“, in dem sie die Titelrolle Marlene Dietrich verkörperte und der mit dem Hollywood Film Award ausgezeichnet wurde, erfüllt. „Eine schwierige historische Rolle, monatelang Gesangsunterricht, um die Marlene-Lieder im Film selbst zu singen. Alles was man sich als Schauspieler so wünscht.“ Schreibend kreativ ist die Schauspielerin auch in ihrem ursprünglichen Metier. Die Drehbuchidee mit der Figur der Hobbydetektivin Franziska Luginsland entwickelte sie beispielsweise für das ZDF, zusammen mit dem Schriftsteller Friedrich Ani und der Regisseurin und Autorin Nina Grosse. Auch die Rolle der Ginger in den Familienfilmen „Wie kriege ich meine Mutter groß“ (2004) und „Mütter, Väter, Kinder“ (2007) wurde von Katja Flint mitentwickelt.
Dennoch hatte sie die Sehnsucht, etwas ganz eigenes Kreatives zu machen und unabhängiger zu sein, auch unabhängiger vom Medium Film. Die freie Motivwahl. „Motive, die andere nie fotografiert hätten“, und der veränderte Blick auf die Dinge weckten ihre Leidenschaft. Reale und surreale, fast gemäldehafte Bildkompositionen entstanden. „Ich liebe Malerei. Hier hat mich unter vielen anderen Francis Bacon inspiriert.“ Nachdem sie zunächst alles Mögliche abgelichtet hatte, entschied sie, nicht dokumentarisch vorzugehen, sondern „Fotografien, die ein Geheimnis in sich tragen“ zu erarbeiten. Katja Flint zitiert Gerhard Richter: „Ein gutes Bild muss etwas haben, was über uns hinausgeht.“
Der Reiz der Fotografie liegt für Katja Flint auch in deren Freiheit. „Wann ich fotografiere, wen ich fotografiere, was ich ausstelle, diese Freiheit genieße ich. Nicht mehr Sklave des Drehplans zu sein, um 5 Uhr morgens aufzustehen, viele Stunden in der Maske zu verbringen und mit einem dünnen Kleidchen bis tief in der Nacht in der Kälte lange Monologe und komplizierte Emotionen auf den Punkt zu bringen und dabei möglichst gut auszusehen.“ Das Schauspielleben ist sowohl faszinierend als auch kräftezehrend. Die Vorstellung, Schauspieler würden ihr Leben vor allem Champagner trinkend auf roten Teppichen verbringen, sei eine falsche Vorstellung, schildert Katja Flint lachend und verweist auf die wahren Mühen des Schauspielerdaseins. Natürlich habe alles seine zwei Seiten. Für den Film „Die weiße Massai“ durfte sie 14 Tage vorher anreisen und hatte die Gelegenheit, das wunderbare Land Kenia zu erkunden. Allerdings war der wochenlange Dreh danach auch weit ab der Zivilisation. „Das Wasser für die Dusche, das aus einem hochgezogenen Eimer bestand, wurde über dem Feuer erhitzt. Der einheimische Mitarbeiter, welcher sich außerhalb des Duschzeltes befand, füllte und temperierte diesen. ‚Are you ready, Madam?‘ kündigte er den kommenden Guss an. Der war mal kälter, mal wärmer. Das Shampoo musste schnell verteilt werden, denn kurz danach kam dann wieder der Ruf: ‚Are you ready, Madam?‘“ Nach diesem Dreh fragte sie sich zu Hause: „Wozu braucht man all diesen Luxuskram?“ Zu ihrer fotokünstlerischen Mentorin und Kritikerin wurde Kerstin Wahala, Senior-Partnerin der Berliner Galerie Eigen und Art. Sie unterstützte Flints mehrjährigen Lernprozess und ihre Studien. Es war für Katja Flint wichtig, „ein Thema zu finden, von dem ich durch meine darstellerische Arbeit vielleicht etwas mehr verstehe als andere Fotografen.“ Angst, Hass, Liebe, das gesamte internalisierte Gefühlsleben in Fotoarbeiten zu ergründen, „da habe ich gemerkt: Jetzt bin ich auf dem richtigen Weg.“ Anfangs arbeitete sie überwiegend mit ernsten Emotionen, dann auch mit sinnlichen.
Lange Belichtungszeiten und Unschärfe
Die Künstlerin experimentiert mit langen Belichtungszeiten und Bewegungsunschärfe. Zunächst in Farbe, dann in Schwarz-Weiß. Nicht nur die Farbe habe sie reduziert, sondern auch vom Gesamtbild immer mehr weggenommen. Der „Angry Young Man“, der im Berufsleben Haltung bewahren muss, obwohl er lieber schreien würde, hatte zunächst mehr realen Hintergrund. Übrig blieb ein schwarzer Fond, der bei spontanen Fotos manchmal nur aus einer schwarzen Wolldecke besteht, die über ein Auto gelegt wird.
Der tiefschwarze Hintergrund ist nun all ihren Fotoarbeiten gemeinsam. Es ist das Gesicht, welches exponiert im Schwarz den Gesamtausdruck bestimmt. „Ich arbeite mit Schatten und Lichteffekten. Akzente mit einer gewissen Schärfe sind notwendig, um Spannung zu erzeugen. Alles Unnötige wird reduziert.“ Reduziert ist auch ihr Fotostudio. Ganze vier Quadratmeter stehen zur Verfügung. „Köpfe brauchen nicht so viel Platz, nur ein bis zwei Meter, auch wenn sie dabei umherschwirren, sonst sind sie weg.“ Diese Gefahr besteht, denn Katja Flints Fotos brauchen die Bewegung, welche die vielen winzigen Nuancen und Übergänge einer Emotion zur nächsten als diffuse Wahrnehmung im kurzen Zeitablauf dokumentiert.
Die Fotos entstehen in einer einzigen Aufnahme. Nachbearbeitet oder retuschiert werden die Bilder kaum. „Ich arbeite hauptsächlich am Kontrast“. Requisiten sind eher selten, mal sind es Schnürsenkel, die ein Gesicht einschnüren, mal Schatten von Gittern oder kosmetischer Glitzer.
Für ihre Fotoarbeiten braucht Katja Flint geduldige, aber auch aktive Modelle mit Durchhalte- und Einfühlungsvermögen. Die findet sie unter ihren Kollegen, aber auch in der Familie, unter Freunden und Nachbarn. Inzwischen habe sie auch etliche Anfragen, darunter von berühmten Regisseuren, die gerne ihrer Fotokunst dienen möchten. Sie mache keine Unterschiede zwischen Prominenz und „Normalen“. Niemand würde besser oder schlechter behandelt, behauptet sie augenzwinkernd. Es sei ein visuelles Gefühl, nachdem sie ihre Fotomodelle auswählt. Manchmal macht sich die Künstlerin auch selbst zum Modell.
Titelmodell ihres Fotobandes „Eins“ ist Schauspielkollegin Jasna Fritzi Bauer. Auch ihr Sohn Oscar und ihre 80-jährige Mutter wurden ihre „Opfer“. Katja Flint gibt ihrem Gegenüber Inspiration, zunächst in Form einer selbst zusammengestellten langen Liste mit zur Auswahl stehenden Worten wie Verlorenheit, Staunen, Stolz, Lust, Neid, Scham, Erwachen. Überraschenderweise seien nicht immer die Schauspieler die besten Modelle. Manchmal dauere es eine ganze Stunde, bis die Kollegen „warm“ würden, und erst die Erschöpfung dann das gewünschte Ergebnis hervorbringt. Manchmal bedarf es auch weiterer Hilfestellungen in Form von Regieanweisungen, die bei Laien und Profis individuell ganz unterschiedlich ausfallen. Manchmal ist es ein Vorteil für die Fotokünstlerin, die Person gut zu kennen, um deren schlummernden Gefühle zu wecken. So „triggerte“ sie etwas bei den Arbeiten mit ihrer Mutter.
Zunächst Skepsis unter Kunstkennern
Für die Zukunft wünscht sich Katja Flint, auch weiter als Schauspielerin zu arbeiten. Ebenso viel Zeit möchte sie mit der Fotografie verbringen. Der Galerist Benjamin Knur von der Galerie Neuheisel in Saarbrücken konnte eine gute Resonanz auf ihrer Ausstellung verzeichnen. Es ist jedoch nicht so, dass sie mit ihren Fotoarbeiten einen Promibonus hatte. Unter Kunstkennern war zunächst sogar eher Skepsis vorhanden, aber die Qualität ihrer Arbeiten überzeugte. Weitere Ausstellungen sind bereits in Planung. Ihre neuen Fotoarbeiten werden auch den Körper einbeziehen, verriet sie. Die nächste Filmarbeit ist eine kleine Rolle in der Kinoverfilmung des Romans „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Unter der Regie von Detlev Buck spielt sie mit der Crème de la Crème des deutschen Kinos eine Rolle, die im Roman wesentlich größer ist, in der Verfilmung aber auf zwei kurze Szenen reduziert wurde. Ungewohnt für die Schauspielerin, die sonst meist Hauptrollen spielt. Gerade deshalb freut sie sich besonders darauf: Die Dreharbeiten sind in Lissabon, und sie wird freie Tage haben.
Die Resonanz der Betrachter auf ihre Bilder interessiert Katja Flint. „Die Bilder wirken im Sinne eines offenen Narrativs. Es kommt zu spannenden Reaktionen. Manche Bilder wirken anziehend, manche abstoßend oder verstörend. Oft kommen die Besucher ins Gespräch, worüber ich mich natürlich freue. Es geht in meinen Bildern um die Macht der Emotionen. Emotionen steuern unser Verhalten, und unser Verhalten gestaltet unsere Welt. Die Stimmungslage unserer Zeit ist oft von Angst geprägt. Daraus kann sich ein Teufelskreis entwickeln: Aus Angst wird Wut, aus Wut wird Hass, dem Hass folgen Aggression und Gewalt, und die macht wieder Angst.“
Auf ihre eigenen Emotionen hat ihre Arbeit als Fotografin einen durchweg positiven Einfluss: „Seit ich fotografiere, habe ich nie mehr schlechte Laune“, sagt sie, und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen muss das einfach stimmen.