Trump verstärkt die Krisen durch seine Politik – doch die Ursachen reichen tiefer
Molotowcocktails fliegen durch die Luft. Aus brennenden Häusern steigen Rauchsäulen auf. Demonstranten zertrümmern mit Baseballschlägern Schaufenster und plündern Geschäfte. Polizisten feuern mit Gummigeschossen und Tränengas in die Menge.
In mehr als 70 Städten Amerikas branden Protest, Wut und Zerstörung auf. Nach der Tötung von George Floyd, einem unbewaffneten Schwarzen, durch weiße Polizisten in Minneapolis sind die USA in Aufruhr. Ein Hauch von Somalia liegt über dem Land. Exzessive staatliche Gewalt auf der einen, Rebellion auf der anderen Seite.
Und der Präsident? Er versucht nicht, den Zorn, den Schmerz, die Trauer einer aufgebrachten Nation anzusprechen und zu mildern. Donald Trump reagiert wie ein wildgewordener Autokrat. Er spaltet und zündelt. Hätten die Demonstranten die Absperrung zum Weißen Haus überschritten, „wären sie durch die bösartigsten Hunde und die bedrohlichsten Waffen begrüßt worden, die ich jemals gesehen habe", giftete er. „Wenn Plünderungen anfangen, wird geschossen", lautete ein anderer rhetorischer Brandsatz.
Die Attacken gegen die Solidaritäts-Demonstrationen für George Floyd beweisen aufs Neue: Der Präsident braucht Feinde, Schlachten, Kriege. Mal sind es die Medien, die sich angeblich gegen ihn verschworen haben. Mal tragen China oder die Weltgesundheitsorganisation Schuld an der rasanten Ausbreitung des Corona-Virus. Und nun haben es die „linken" Gouverneure und Bürgermeister verbockt, dass die Polizei nicht rabiat genug gegen die Kundgebungen für George Floyd vorgeht. Trump droht sogar mit dem Einsatz des Militärs.
Aber was derzeit in den USA passiert, hat nicht nur mit Trump zu tun. Der Rassismus ist tief in der Gesellschaft verwurzelt. 1991 wurde der Afroamerikaner Rodney King in Los Angeles von vier nichtschwarzen Polizisten (drei Weißen und einem Latino) mit Stockschlägen und Fußtritten brutal traktiert. Als die Ordnungshüter gut ein Jahr später freigesprochen wurden, brachen blutige Unruhen aus. Präsident George H. W. Bush verurteilte Gewalt in jeder Form. Er wollte Brücken bauen.
Doch der Teufelskreis ging weiter. Selbst Barack Obama, der erste schwarze Präsident des Landes, konnte den Rassismus nicht zurückdrängen. Als 2015 neun Afroamerikaner in einer Kirche in Charleston im Bundesstaat South Carolina von einem Weißen erschossen wurden, kam Obama zur Trauerfeier. Er hielt eine bewegende Rede gegen den Hass und sang am Ende das Volkslied „Amazing Grace" von der „erstaunlichen Gnade" Gottes in schweren Zeiten. Der Auftritt hatte keine Langzeit-Wirkung.
Rassismus, Kulturkampf, die weit auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich: Amerika ist ein Land auf Abwegen. Die gesellschaftliche Polarisierung begann Mitte der 90er-Jahre. Der Republikaner Newt Gingrich, von 1995 bis 1999 Sprecher des Repräsentantenhauses, blies zur Kampagne gegen den demokratischen Präsidenten Bill Clinton. Die Forderungen nach Steuererleichterungen und der drastischen Kürzung von Sozialprogrammen wurden zum neuen Schlachtruf.
Die Unversöhnlichkeit und die Härte der politischen Auseinandersetzung erreichten einen neuen Höhepunkt. Die Republikaner und die Demokraten, jahrzehntelang pragmatische Plattformparteien, wurden zu ideologischen Kampfverbänden. Die 2009 entstandende Tea-Party-Bewegung führte Gingrichs Idee vom schlanken Staat mit geschrumpften Leistungen fort.
Heute ist Trump der Fackelträger des Staats-Minimalismus. Ausgerechnet der Milliardär macht sich zum Vorkämpfer der abgehängten weißen Arbeiter, deren Jobs in Zeiten der Globalisierung unter Druck geraten. Nach Berechnungen der Wirtschaftswissenschaftler John Komlos und Hermann Schubert stagniert das durchschnittliche jährliche Bruttoeinkommen der unteren Hälfte der Bevölkerung inflationsbereinigt seit 40 Jahren bei 16.500 Dollar, während sich jenes des obersten Prozents bis 2016 von 430.000 auf 1,3 Millionen Dollar verdreifacht hat.
Trump hat kein Rezept gegen diese Entwicklung. Er setzt auf den Propaganda-Mythos von „America First". Dieser speist sich aus Verschwörungstheorien und Hass auf die anderen. Die gegenwärtigen Krisen – Corona, Rezession, Rassismus – werden durch die Politik der rhetorischen Feuerwalze des Präsidenten verstärkt. Doch sie reichen viel tiefer als Trump.