Ob Homeoffice oder Videokonferenzen: Unternehmen digitalisieren sich gerade in atemberaubender Schnelligkeit. Rückgrat und zugleich Schwachstelle: Deutschlands Glasfasernetz. David Zimmers Inexio und die Deutsche Glasfaser sind kurz vor der Krise zum drittgrößten deutschen Netzbetreiber fusioniert. Ein Gespräch über Corona, Start-ups und die Digitalisierung.
Herr Zimmer, wann ist Ihr Internet zu Hause das letzte Mal ausgefallen?
Gerade hat mir meine Frau eine Nachricht geschrieben, unser Internet wäre weg. Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass unser Server gerade nicht hochgefahren ist, weil wir wegen Handwerkern den Strom abstellen mussten. Meine Frau ist jedenfalls gerade nicht amüsiert. Ansonsten ist das Netz bei mir zu Hause sehr stabil. Schließlich habe ich einen Glasfaser-Hausanschluss von Inexio.
Inexio verdient sein Geld mit Leitungen und dem damit verbundenen Service. In Zeiten des Coronavirus arbeiten viele Menschen zu Hause und bleiben auch in ihrer Freizeit daheim, dank Videokonferenzen, Streamingdiensten oder Online-spielen. Wie wirkt sich das auf den Datenverkehr aus?
Seit Beginn der Krise hat sich unser Traffic um rund 50 Prozent erhöht. Der Peak bleibt in den Abendstunden. Trotz des erhöhten Datenverkehrs sind die NGA-Glasfasernetze bestens dafür gewappnet. Inexio hatte keine Probleme, den durch Corona gestiegenen Verkehr über das Netz abzuwickeln.
Man könnte den Eindruck haben, das Land digitalisiert sich gerade im Schweinsgalopp. Ist das auch Ihre Beobachtung?
Ja und nein. Bei vielen Akteuren scheint es kein Wollen, sondern ein Müssen zu sein. Ich denke da etwa an Lehrer, die sich seit Wochen mit dem Thema Homeschooling mehr oder weniger schwertun. Ansonsten bleibt sehr viel zu tun. Gerade bei den öffentlichen Verwaltungen bleibt abzuwarten, was von der Digitalisierung übrig bleibt, wenn der Druck aus Corona nicht mehr täglich omnipräsent ist. Hier wäre meine dringende Forderung an die Politik jetzt nicht den Fuß vom Gas zu nehmen sondern die Verwaltungen im Eiltempo fit für die Zukunft zu machen.
Nun ist Inexio in knapp 13 Jahren vom Start-up zum milliardenschweren Unternehmen aufgestiegen. Das können nicht viele Saarländer erzählen. Warum nicht, was glauben Sie?
Zunächst, wir sind mit der richtigen Idee, Glasfaseranschlüsse aufs Land zu bringen, zur richtigen Zeit gestartet. Wir in Deutschland haben keinen Mangel an Ideen, die meisten Unternehmen scheitern an der Umsetzung: Zum Beispiel einfach daran, die Idee zu Papier zu bringen. Oder an der Gruppendynamik in Gründerteams, die dann rasch zerfallen. Inexio ist von sieben Personen 2007 gegründet worden und wir haben über die Gründungsphase hinaus lange in dieser Zusammensetzung gut zusammengearbeitet. Anderen gelingt dies nicht. Gründen ist eben wie ein Marathonlauf, den man durchhalten muss und kein Sprint.
Die Saarländer sind doch „Schaffer". Warum gibt es denn im Saarland so wenige nachhaltig erfolgreiche Start-ups?
Die Struktur des Saarlandes ist die eines Industrielandes, eines Arbeitnehmerlandes. Die DNA ist der Bergbau, die Schwer- und Großindustrie, keine von Gründermentalität oder Selbstständigkeit. Diese DNA zu verändern ist eine Sache von Generationen. Im Silicon Valley heißt es: Dreimal als Unternehmer gescheitert? Kein Problem, dann wird die vierte Idee erfolgreich. So etwas ist hier noch undenkbar. Zum zweiten fehlt es oft an Unterstützung, um Start-ups über einen bestimmten Punkt hinauszubringen. Es gibt finanzielle Starthilfen, aber das Volumen darüber hinaus ist viel zu klein. 2013 haben wir die Deutsche Beteiligungs AG mit zehn Millionen Euro ins Boot geholt – im Saarland hätten wir niemanden gefunden, der so viel Geld in eine einzige Beteiligung in einem Unternehmen investieren kann. Deshalb habe ich den Entschluss gefasst: Wenn ich in Rente gehe, lege ich einen Private-Equity-Fonds mit Fokus in der Großregion auf. Unternehmergeist entwickelt sich eben nicht auf Knopfdruck. Es bedarf dazu einer entsprechenden Geisteshaltung und dem Rüstzeug, am wichtigsten ist echtes Risikokapital.
Sie nennen sich einen begeisterten Netzwerker. Würden Sie dies als entscheidend auch für die Start-up-Szene im Saarland bezeichnen?
Wir haben progressive Unternehmer, ich nenne hier mal als Beispiel Philipp Gross, der Bauunternehmer ist, aber die Brück-Schmiede mit übernommen und auf Erfolgskurs gebracht hat. Unternehmer, die über Ideen verfügen und als Vorbild fungieren, sollten stärker in den Vordergrund rücken. Und wenn es nur ein Kontakttreffen, zwei- oder dreimal im Jahr, mit Studenten an der Uni ist, die dieses Netzwerk später auch nutzen können. Und dass man Saarländer ist, spielt gelegentlich auch eine besondere Rolle: Bei Inexio ist die schwedische EQT als Investor eingestiegen, ein internationaler Konzern. Einer von vielen Beratern des Investors, ein ehemaliger Lufthansa-Vorstand, hatte EQT immer wieder auf Inexio aus Saarlouis als vielversprechend hingewiesen. Der Mann kommt gebürtig aus Schwemlingen bei Merzig.
Ministerpräsident Tobias Hans will bis 2030 rund 25.000 neue Unternehmen im Land haben – ist die Zahl realistisch?
Das ist egal. Das Level an Ambition stimmt, auch wenn es am Ende nur 15.000 sind. Gut, wenn er in zehn Jahren noch Ministerpräsident ist, haut man ihm die Zahl um die Ohren. Aber im Moment haben wir netto circa 800 Neugründungen im Jahr im Land. Wenn es bis 2030 schon zu einer Verdoppelung käme, fände ich das sinnvoll. Um aber substanziell Arbeitsplätze zu schaffen, bräuchten wir alle paar Jahre einen Scheer oder eine Inexio, um den Strukturwandel im Land zu befördern und eine bessere Vernetzung, auch international im Finanzbereich. Denn am Ende ist gesundes Wachstum immer an die richtige Finanzierung gekoppelt.
Ob Stahl-, Automobil- oder Zulieferindustrie, im Saarland findet gerade wieder ein Strukturwandel statt. Wenn es nach dem Willen der Landesregierung geht, hin zu digitaler Technologie – der richtige Ansatz?
Im Saarland sind wir von einem Klumpen Risiko zum nächsten gewandert, und das haben wir Strukturwandel genannt. Das Thema Bergbau und Stahl wurde durch die Monokultur Automobil- und Zulieferindustrie ersetzt, das fällt uns jetzt auf die Füße. Ich als Unternehmer habe gesagt, ich will mit keinem Kunden mehr als fünf Prozent Umsatz machen. Alles darüber hinaus ist riskant. Als Bundesland sollte man versuchen, in eine ähnliche Situation zu kommen: ZF mit 9.000 Beschäftigten bringt der Saar-Wirtschaft ziemlich viel, auf lange Sicht aber wären neun Betriebe aus neun verschiedenen Branchen mit jeweils 1.000 Beschäftigten sinnvoller, weil widerstandsfähiger gegen Krisen. Das Problem kann man nur mit Ansiedlungen, aber auch mit Start-ups lösen.
Digital-Start-ups tragen zum Strukturwandel bei, die brauchen aber –wie auch Mittelständler und Großunternehmen – ein modernes Netz. Inexio ist einer von drei Treibern des Breitbandausbaus im Saarland. Wie weit sind Sie denn?
Die Telekom, VSE.net und wir haben jeweils die Ausschreibungen zum Ausbau gewonnen. Wir im Saarland sind somit die ersten, die flächendeckend 50 Megabit anbieten und wir wollen jetzt auch selbst investieren, um auf ein Gigabit zu kommen. Auch alle Schulen im Land sollen jetzt ans Glasfasernetz angeschlossen werden. Wir haben also die Infrastruktur, darauf können wir aufsetzen: Schulen, Verwaltungen digitalisieren. Da hapert es noch.
Woran genau?
An der Digitalisierung von Schulen zum Beispiel, oder wenn ich sehe, dass wir Bauanträge heute immer noch in zigfacher Ausfertigung in Papierform einreichen. Wir können weltweit mit einer Karte Geld abheben und dieser Prozess ist hochkomplex, aber einen Bauantrag geben wir noch in Papierform ab? Ich verstehe, wenn Menschen Angst haben vor Neuem, aber es gibt keine Alternative zur Digitalisierung. Unser Aha-Erlebnis war, als wir Rechnungen nach einem vom Bundeswirtschaftsministerium empfohlenen digitalen Austauschformat einführen wollten. Also haben wir unsere Lieferanten gebeten, die Rechnungen in diesem Format zu erstellen. Die meisten haben geantwortet, dass sie das Format überhaupt nicht kennen, geschweige denn ihre Software das Format unterstützt.
Liegt das an mangelnder Kommunikation der Verwaltung oder an der noch nicht vorhandenen Digitalisierungskultur?
Ich glaube, die Verwaltung hat hier Vorbildfunktion. Wenn Google besser Daten aggregiert als unsere Verwaltung, habe ich keine Veranlassung, mich auf eine digitalere Welt einzulassen. Hier suche ich noch den Mut, der uns in Deutschland noch fehlt. Das Glas ist immer halbleer.
Nun liegt ein Großteil der Infrastruktur für die Digitalisierung bereit. Ist der Saar-Mittelstand aus Ihrer Sicht jetzt gut aufgestellt?
Die Digitalisierung wird zum Haupt-Wettbewerbsvorteil oder -nachteil für ein Unternehmen werden. Ein Defizit sehe ich noch im Handwerk, das ist womöglich ein Generationenproblem, das vom Unternehmensnachfolger gelöst wird, zu dessen Nachteil, denn der hat dann schlechtere Startchancen. Aber im Saarland haben wir jedoch eine Menge gut aufgestellter Unternehmen, wenn es um die Digitalisierung geht.
Gerade gerät der deutsche Glasfaser- und Leitungsmarkt in Bewegung, durch Zukäufe und den Einstieg von Finanzinvestoren, die händeringend sichere Renditen suchen – da Deutschland weit zurückliegt, ist hier noch viel Ausbaupotenzial. Inexio und die Deutsche Glasfaser wurden nun an Investoren verkauft und sollen fusionieren. Was bedeutet dies für Inexio im Saarland?
Wir wollen wachsen, über das Saarland hinaus. Die Deutsche Glasfaser, die in Borken sitzt, kann von dort aus genauso wenig alleine den Rest der Republik bespielen wie wir hier aus dem Saarland. In Kombination mit der Deutschen Glasfaser kann uns das gut gelingen, wir haben uns mehrere Tausend Mitarbeiter und vier Millionen Kunden deutschlandweit im ländlichen oder semi-urbanen Raum zum Ziel gesetzt. Mit EQT und jetzt auch OMERS als Partner kann uns das auch gut gelingen.
Ja, der Hauptsitz des neuen, aus Inexio und Deutscher Glasfaser gebildeten Unternehmens wird sich irgendwann zentral in Deutschland befinden, nicht in Borken und nicht in Saarlouis. Das ändert aber nichts am Standort Saarlouis. Von hier aus werden wir in der Gruppe weiter stark wachsen und ganz Südwestdeutschland bespielen. Außerdem wird es Kompetenzzentren geben, die Deutsche Glasfaser ist im Thema Bau stärker als wir, wir sind im Vertrieb und in der Technik stärker. Also könnte dieser auch von Saarlouis aus gesteuert werden. Insgesamt wird der Konzern dann eine recht dezentrale Struktur mit Regionalzentren und einem Hauptquartier haben, eine virtuelle Organisation, die die Menschen heimatnah wohnen und arbeiten lässt. Und ich habe auch nicht vor, meinen derzeitigen Lebensmittelpunkt ganz aus Merzig wegzuverlagern.
Werden Sie Doppelstrukturen abbauen?
Nein, unser Business Case ist auf Wachstum ausgelegt, es wird keine betriebsbedingten Kündigungen geben, im Gegenteil, insbesondere in Zeiten von Fachkräftemangel wäre das nicht sinnvoll.
Ein Beispiel: Inexio will dieses Jahr 150 neue Leute einstellen, aber unsere HR-Abteilung war skeptisch, überhaupt so viele geeignete Bewerber zu finden. Der Aufsichtsrat aber drängte darauf, die kommunizierte Zahl einzustellen – also brauchen wir mehr Angestellte im Personalbereich, mehr Headhunter, mehr Personalreferenten, mehr Trainer zur Einarbeitung und so weiter. Also: Private-Equity-Firmen wie EQT und OMERS sind zwar auf schnelle Entscheidungen getrimmt, aber an Wachstum und Umsatz interessiert. Also auch daran, Arbeitsplätze zu schaffen, die diesen Umsatz und das Wachstum dann auch generieren.