Haushalt, Pflege, Betreuung und Ehrenämter – Frauen verbringen weltweit viel mehr Zeit mit unbezahlter Arbeit als Männer. Während Männer Vermögen generieren können, sind viele Frauen von Armut bedroht. Was tun gegen die Ungleichheit?
Das bisschen Haushalt macht sich von allein – sagt mein Mann", sang Johanna von Koczian schon 1977. Doch auch 2020 ist die Kluft zwischen Männern und Frauen hinsichtlich Haus- und Care-Arbeit noch riesig. Die kürzlich veröffentlichte Studie „Im Schatten der Profite" der Entwicklungsorganisation Oxfam liefert neue Zahlen: Weltweit leisten Frauen und Mädchen täglich weit über zwölf Milliarden Stunden Haus-, Pflege- und Fürsorgearbeit – unbezahlt. Würde man ihnen auch nur einen Mindestlohn für diese Arbeit zahlen, wären das umgerechnet über 11.000.000.000.000 US-Dollar pro Jahr. Das ist 24-mal mehr als Apple, Google und Facebook zusammen verdienen. „Weltweit erbringen Frauen und Mädchen jedes Jahr Pflege- und Sorgeleistungen, die das Vermögen der Superreichen bei Weitem übersteigen. Doch während der Reichtum der einen ins schier Unermessliche steigt, leben Frauen häufiger in Armut", schildert Dr. Ellen Ehmke, Analystin für soziale Ungleichheit bei Oxfam.
Dieses Missverhältnis hat gravierende Folgen: Frauen sind im Schnitt schlechter ausgebildet als Männer, verdienen weniger und besitzen weniger Vermögen. Auch hierzu hält Oxfam Zahlen und Fakten bereit. Weltweit verdienten Frauen im Schnitt 23 Prozent weniger als Männer. Die jedoch verfügten über ein um die Hälfte höheres Vermögen. Die Altersvorsorge, wenn es sie überhaupt gibt, sei bei Frauen deutlich schlechter. Dabei arbeiten sie global im Schnitt, so die Studie, pro Tag mehr als Männer – sieben Stunden und 28 Minuten zu sechs Stunden und 44 Minuten. Männer jedoch werden für gut fünf Stunden bezahlt, Frauen nur für drei. Zudem seien Frauen häufiger von extremer Armut betroffen, insbesondere in dem Alter, in dem sie Kinder bekommen und versorgen.
Gerade in Deutschland stehen viele Frauen im Alter finanziell schlecht da. Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erhalten Frauen hierzulande 46 Prozent weniger Rente als Männer. In keinem OECD-Land ist die Rentenlücke damit so groß wie in Deutschland. Zum Vergleich: In Estland beträgt die Rentenlücke zwei Prozent, in Norwegen 23 Prozent und der OECD-Durchschnitt liegt bei 25 Prozent. „Die bittere Wahrheit ist: So bereichernd Pflege- und Fürsorgearbeit für die Gesellschaft ist, so arm macht sie viele Frauen, die sie leisten. Das muss sich ändern", so Oxfam. Das Bundesfamilienministerium lässt derzeit untersuchen, ob die Rentenlücke zwischen Frauen und Männern in Deutschland tatsächlich mit der ungleichen Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit zusammenhängt. Ergebnisse soll es noch in diesem Jahr geben. In den Wirtschaftsstatistiken zumindest tauchen die Zahlen zur Haus- und Pflegearbeit gar nicht erst auf. „Diese Zahlen sind Ausdruck eines Wirtschaftssystems, das vor allem für wohlhabende Männer funktioniert", erklärt Dr. Ellen Ehmke. Die unbezahlte Arbeit wird laut der Entwicklungsorganisation häufig als unproduktiv angesehen.
Global arbeiten Frauen mehr als Männer
Dabei ist diese Arbeit das Gegenteil von Nichtstun. Kinder erziehen, alte, gebrechliche oder kranke Angehörige pflegen, putzen, kochen, waschen, einkaufen, aufräumen. Dabei alles im Blick behalten, planen und organisieren. Diese Arbeit ist nicht unproduktiv, wohl aber weniger sichtbar. Dazu kommt: Wer unbezahlt arbeitet hat keine Gewerkschaft, keine Lobby, keinen Erholungsurlaub. Niemand achtet auf die Einhaltung von Ruhephasen. Anerkennung und Wertschätzung gibt es selten. Erahnen lässt sich ihr finanzieller Wert trotzdem. Und zwar nicht nur in den elf Billionen US-Dollar pro Jahr, die Oxfam veranschlagt. Auch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) beziffert ihren Wert auf fast zehn Prozent des globalen Bruttosozialprodukts. Das allerdings dürfte noch zu niedrig sein, denn Daten liegen derzeit für nur zwei Drittel der Weltbevölkerung im erwerbsfähigen Alter vor.
Die italienisch-amerikanische Professorin für politische Philosophie Silvia Federici erklärte dies jüngst in einem Interview mit dem österreichischen Debatten-Blog „Kontrast" wie folgt: „Diese Arbeit ist unsichtbar geworden, weil es für die kapitalistische Klasse extrem profitabel war. Wie wäre das, wenn all die Leistungen, die Frauen kostenlos verrichtet haben, bezahlt hätten werden müssen? Damit meine ich all die Leistungen, die nötig sind, um es Menschen zu ermöglichen, um sieben Uhr morgens aus dem Haus zu gehen und um sieben am Abend wieder zurückzukommen. Oft scheint es so, als wäre der gesamte Wohlstand in der Welt von Männern erarbeitet – von der sogenannten Arbeiterklasse. Aber hinter all diesen Männern standen immer unsichtbare, ungewürdigte und unbezahlte Frauen." Federici war in den 1970ern Begründerin der feministischen Kampagne „Löhne für Hausarbeit" und hält die feministische Revolution für unvollendet. „Die feministische Bewegung aus den 70ern hat es zwar geschafft, die spezifischen Formen der Ausbeutung von Frauen im Kapitalismus – also reproduktive Arbeit, zum Beispiel Hausarbeit, Sexualität oder Familienverhältnisse – sichtbar zu machen, aber sie hat keine Strategie gefunden hat, um diese Verhältnisse zu verändern. Stattdessen kam die Frauenbewegung für den Kampf um Gleichberechtigung und den Eintritt in männerdominierte Arbeitsfelder zusammen. Das ist zwar ein sehr legitimer Kampf, aber meiner Meinung nach nicht ausreichend."
„Regierungen weltweit müssen handeln"
Federici glaubt, es bedürfe einer „feministischen Mobilisierung" und nennt als Beispiele Argentinien und Spanien, wo Frauen bereits zum Streik aufriefen. Darüber hinaus sei jedoch eine weiterführende Strategie notwendig. Auf die Straße zu gehen und Nein zu sagen, sei nicht genug. Auch Oxfam weist darauf hin, dass es in verschiedenen Ländern zahlreiche Ansätze gäbe, die zeigten, dass die Reduzierung, Umverteilung und Anerkennung von Pflege- und Fürsorgearbeit möglich sei, zu einer höheren Gleichberechtigung der Geschlechter beitrüge und Ungleichheit reduziere. So werde etwa in den Niederlanden im Vergleich zum EU-Durchschnitt mehr als doppelt so viel Geld in die Langzeitpflege investiert. Das mache sich bemerkbar: Die Auswahl an Alters- und Langzeitpflege-Optionen sei deutlich größer als in anderen europäischen Ländern. Hier gibt es beispielsweise speziell konzipierte Demenz-Dörfer, alternative Wohn-Modelle wie Pflege-WGs oder Wohngruppen in konventionellen Seniorenheimen, um eine individuellere Betreuung zu ermöglichen. Aber auch in anderen Ländern, wie etwa in Uruguay, würde etwas getan, um sich in puncto Pflege besser aufzustellen. 2015 gab es dort eine umfassende Gesundheitsreform. Seither finanziert der Staat spezielle Fortbildungen wie beispielsweise die zur „persönlichen Assistentin", um die Arbeitsbedingungen im Gesundheitssystem zu verbessern. Daneben garantiert das Land das Recht auf Betreuung Pflegebedürftiger.
„Regierungen weltweit müssen handeln, damit unbezahlte Pflege- und Fürsorgearbeit reduziert wird – und insbesondere Frauen und Mädchen entlastet werden. Daneben braucht es mehr Anreize, diese Arbeiten innerhalb von Familien und Paaren gerecht zu verteilen", so Oxfam. Die Entwicklungsorganisation fordert dafür etwa, dass mehr Entwicklungshilfe in öffentliche Kinderbetreuung fließt. Statt derzeit zwei Prozent der gesamten Gelder der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sollen ihrer Meinung nach zehn Prozent für Kitas und Grundschulen ausgegeben werden.
Die Soziologie-Professorin Lena Hipp, die die Forschungsgruppe „Work & Care" am Wissenschaftszentrum Berlin leitet, glaubt, dass die Politik auch hinsichtlich der Arbeitsmodelle gefragt sei. In Deutschland sei nach wie vor das Modell des vollzeitarbeitenden Mannes und der teilzeit- oder nicht erwerbstätigen Frau weit verbreitet. Das lasse dem einen keine Zeit für die Familie, der anderen verbaue es aber Aufstiegschancen und schmälere das Lebenseinkommen. Stattdessen schlägt sie eine Umverteilung von Erwerbsarbeit vor. In einem Modell der großen Teilzeit könnten beide 80 Prozent der regulären Arbeitszeit verrichten. Idealerweise würde man das mit einem Lohnausgleich kombinieren, wenn die Kinder klein sind oder kranke Eltern zu versorgen sind, erläutert die Soziologin dem Deutschlandfunk. Dass Frauen bessere Möglichkeiten zur Erwerbsarbeit bekämen, würde auch der deutschen Wirtschaft gut tun.
Frauen tragen nur 38 Prozent zum BIP bei
Die Initiative Chefsache, ein Netzwerk von Führungskräften aus Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlichem Sektor und Medien, das 2015 unter der Schirmherrschaft von Angela Merkel gegründet wurde, hat berechnet, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) durch mehr Chancengerechtigkeit, das heißt, eine ausgeglichenere Teilhabe von Frauen und Männern an der Arbeitswelt, bis 2025 um zusätzlich 422 Milliarden Euro oder rund zwölf Prozent gegenüber den Basisprognosen steigen könnte. Dieses Potenzial resultiere aus zwei Effekten: dem Aufholeffekt und dem Diversitätsbonus. Bislang trügen Frauen nur 38 Prozent zum BIP bei – obwohl sie die Hälfte der Gesellschaft ausmachten.
Die Informatikerin Melinda Gates, die gemeinsam mit ihrem Mann die Wohltätigkeitsorganisation „Melinda und Bill Gates Foundation" gegründet hat, schreibt in ihrem 2019 veröffentlichten Buch „The Moment of Lift. How empowering women changes the world", diese Initiative könne nicht alleine von Männern ausgehen. Könnte sie es, wäre das bereits geschehen. Stattdessen habe man auch heute noch eine ungleiche Gesellschaft, von der einige nicht abrückten wollten. Sie verweist auf die Wirtschaftspolitikerin Marilyn Waring, die schon 1988 in ihrem Werk „If women counted: A new feminist economics" schrieb: „Männer werden nicht leichtfertig ein System aufgeben, in dem die Hälfte der Weltbevölkerung für nahezu nichts arbeitet. Vor allem deshalb, weil diese Hälfte der Weltbevölkerung für so geringes Geld arbeitet, dass ihr keine Energie bleibt, um für etwas anderes zu kämpfen." Gates, die mit ihrer Organisation Frauen bei ganz unterschiedlichen Belangen unterstützt, sagt, ihr Ziel sei nicht, der Aufstieg der Frau und der Fall des Mannes. Vielmehr ginge es darum, endlich ein System der Dominanz zu beenden und einen Status der Partnerschaft zu schaffen.