Bislang sind gerade mal 15 Prozent vom Boden des größten Ökosystems der Erde exakt vermessen. Bis 2030 soll sich das ändern. Dieses Jahr läuft ein Mega-Projekt mit einer Armada von Roboterbooten an.
Ozeane bedecken 71 Prozent der Erdoberfläche, was flächenmäßig mehr als 361 Millionen Quadratkilometern entspricht und die Erde dadurch zum Blauen Planeten unseres Sonnensystems macht. Und doch wissen wir bislang vergleichsweise wenig über die Topografie unserer Meeresböden, in der wissenschaftlichen Fachsprache „Bathymetrie" genannt, während wir über die Oberfläche von Mond und Mars schon weitaus besser im Bilde sind. Obwohl Weltkarten den Eindruck vermitteln, als ob selbst das letzte Fleckchen Meerwasser bereits bestens dokumentiert sei, so sind tatsächlich gerade mal 15 Prozent des im Schnitt vier Kilometer unter der Meeresoberfläche liegenden Ozeanbodens exakt kartiert. Die mithilfe von Satelliten seit den 70er-Jahren im Zuge der sogenannten Satellitenaltimetrie, einem Radarverfahren zur Erkundung der Meeresoberfläche, erstellten Karten des globalen Meeresgrundes sind viel zu ungenau mit einer Auflösung im Kilometerbereich. Und die Gewinnung von feineren Daten mithilfe von Schiffsecholoten, die Strukturen von deutlich weniger als 100 Metern in der Tiefsee sichtbar machen können, oder durch mit Echoloten ausgestattete Tauchfahrzeuge, die Strukturen auf dem Meeresboden sogar im Zentimeterbereich auflösen können, ist zwar grundsätzlich möglich, bislang allerdings an einem vermeintlich zu hohen Kosten- und Zeitaufwand gescheitert.
Dabei war es bereits 1960 erstmals gelungen, in den Marianengraben im westlichen Pazifischen Ozean mithilfe eines Tauchfahrzeugs vorzudringen und dabei den mit elf Kilometern tiefsten Bereich der Ozeane zu erkunden. 2012 konnte die zweite Expedition zu dieser Tiefseerinne erfolgreich absolviert werden. Sowohl 1960 beim Tauchboot „Trieste" als auch 2012 bei der Fahrt der „Deepsea Challenger" waren Menschen an Bord, der Schweizer Jacques Picard und der Amerikaner Don Walsh einerseits und der kanadische Filmemacher James Cameron andererseits. Inzwischen gibt es unbemannte Tauchroboter, mit denen sich gesundheitliche Risiken für Menschen vermeiden lassen, die viel länger unter Wasser agieren, die selbstständig bis in Tiefen von elf Kilometer abtauchen und von dort aus den Meeresboden kartieren können. Japan hat mit den Modellen „Kaiko" und „Kaiko II" Pionierarbeit in Sachen dieser speziellen Tauchroboter geleistet, das renommierte deutsche Meeresforschungsinstitut Geomar – Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel vertraut bei der Kartierung des Meeresbodens inzwischen auf das Unterwasserfahrzeug „AUV Abyss". Deutschland leistet sich zudem eine der weltgrößten Meeresforschungsflotten mit 29 Schiffen, die ebenfalls mit der Mission der Meeresbodenkartierung betraut werden können. Seit 2015 haben sich daher besonders die drei deutschen Forschungsschiffe „Maria S. Merian", „Meteor" und „Sonne" Verdienste in der Erhebung von bathymetrischen Daten erworben und dabei jährlich die Strukturen von etwa 200.000 Quadratkilometer Meeresboden wissenschaftlich bekannt gemacht.
International ist Gebco zuständig
Auf internationaler Ebene gibt es weltweit eine einzige Organisation, die offiziell mit dem Auftrag beauftragt ist, den kompletten Meeresboden zu kartieren. Sie wurde bereits 1903 von Prinz Albert I. von Monaco gegründet und trägt heute den Namen The General Bathymetric Chart of the Oceans (Gebco). Gebco arbeitet unter der Schirmherrschaft der Internationalen Hydrografischen Organisation (IHO) und der Zwischenstaatlichen Ozeanografischen Kommission (IOC) der Unesco als ein Zusammenschluss führender Wissenschaftler und Forschungsorganisationen auf dem Gebiet der Meeresforschung. Aus Deutschland sind daran beispielsweise das Alfred-Wegener-Institut, das Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung oder Geomar beteiligt.
Auf der im Juni 2017 in New York abgehaltenen Ozeankonferenz der Vereinten Nationen präsentierte Gebco der Öffentlichkeit erstmals ein geradezu spektakuläres Projekt namens „Seabed 2030", für das sich die Gebco mit der Nippon Foundation, einer privaten japanischen, gemeinnützig-philanthropischen Stiftung und Non-Profit-Organisation, einen Partner zugelegt hatte, der bereit war, jährlich zwei Millionen Dollar beizusteuern. Bei Weitem nicht ausreichend, um das ambitionierte Ziel des Projekts, bis zum Jahr 2030 die Kartierung des kompletten Meeresboden zu realisieren, zu erreichen. Denn die Experten schätzten die Gesamtkosten auf rund drei Milliarden Dollar, also etwa in der Größenordnung einer unbemannten Mars-Mission. Obwohl natürlich auch Gelder aus einem Netzwerk von zunächst 28 an dem Projekt interessierten Institutionen, Stiftungen und Organisationen einflossen, war man von Anfang an auf der Suche nach weiteren finanzkräftigen Partnern.
Der wurde in Gestalt eines geheimnisvollen, 2017 gegründeten texanischen Unternehmens namens Ocean Infinity gefunden, dessen Inhaber oder Besitzverhältnisse laut einem aktuellen „Spiegel"-Bericht völlig unklar sind. Immerhin hatte das junge Unternehmen seine Fachkenntnisse im Erkunden des Meeresbodens durch Suchaktionen beispielsweise nach der vermissten Boeing 777 von Malaysia Airlines, nach dem argentinischen U-Boot „ARA San Juan", nach dem französischen U-Boot „La Minerve", nach einem im Südatlantik versunkenen südkoreanischen Frachter oder einem in der Biskaya verschollenen italienischen Autofrachter bereits nachdrücklich unter Beweis stellen können. Als Referenz konnte Ocean Infinity zudem eine Ozeanboden-Kartografierung von 120.000 Quadratkilometern vorlegen, die das Unternehmen bei der letztlich vergeblichen Suche nach der Boeing 777 im Indischen Ozean vor Australien erstellt hatte. Man wird davon ausgehen können, dass Ocean Infinity mit seinem beträchtlichen pekuniären Engagement in das Projekt „Seabed 2030" viel Geld verdienen möchte, beispielsweise durch Lokalisierung lukrativer Öl- und Gasvorkommen, durch Auffinden idealer Plattformen für Offshorewindparks, durch Aufspüren von Schäden an Unterwasser-Pipelines oder Kommunikationskabeln und so weiter.
Radar- und Sonartechnik
Dafür geht Ocean Infinity aber auch in die Vollen. Denn das Unternehmen hat eigenen Angaben zufolge bereits den Bau von elf Roboterschiffen in Auftrag gegeben, die schon Ende 2020 ihre Arbeit aufnehmen sollen. Die Flotte soll in den Folgejahren laut dem Unternehmen kontinuierlich Richtung einer veritablen „Armada" ausgebaut werden. Die kleinsten der sogenannten Uncrewed Surface Vessels sollen rund 21 Meter lang sein, die größten über eine Länge von bis zu 37 Metern verfügen. Angetrieben von einem umweltfreundlichen Diesel-Hybrid-Motor sollen sie mit einer Geschwindigkeit von rund 22 Kilometern pro Stunde, also relativ langsam, weitgehend selbstständig über die Meere fahren, können jedoch von im texanischen Austin und im englischen Southampton ansässigen Leitstellen überwacht und im Bedarfsfall auch ferngesteuert werden. Die Reichweite der größeren Schiffe soll bei 9.260 Kilometern liegen, die der kleineren bei rund 6.800 Kilometern. Im Schnitt sollen sie rund zwei Wochen auf See bleiben können, bevor sie in einem Hafen nachgetankt werden müssen. An Bord wird die Kartierung mithilfe verschiedenster Sensoren oder Radar- und Sonartechnik ablaufen, zusätzlich können Tauchroboter ausgesetzt werden, die laut Ocean Infinity bis in Tiefen von sechs Kilometer vordringen können. Die ermittelten Daten werden via Satellitenkommunikation an die Leitstellen weitergeleitet. Auf ihren Routen können die Roboterboote laut Ocean Infinity theoretisch auch nicht so eilige Frachten transportieren, beispielsweise Container zu Ölplattformen. Immerhin können die größten Boote ein Zusatzgewicht von bis 60 Tonnen problemlos aufnehmen. Auch wenn sich das Projekt womöglich nach Science Fiction anhört, ist es laut dem Geomar-Ozeanografen Martin Visbeck in einem „Spiegel"-Interview durchaus realisierbar: „Technologisch ist das nicht sehr kompliziert", so Visbeck. Und weiter: „Autonomes Fahren auf See ist risikoloser als an Land." Auch Geomar habe testweise bereits autonome Boote im Einsatz. Viel entscheidender für das Gelingen des Projekts ist es laut Visbeck, dass Ocean Infinity noch weitere Geldgeber zum Mitmachen animieren kann.
Die Initiatoren des Projekts, Nippon Foundation und Gebco, verfolgen im Unterschied zu Ocean Infinity natürlich gänzlich andere Ziele mit dem Projekt „Seabed 2030". Sie möchten auf Basis der bathymetrischen Daten zur Verbesserung der Seeschifffahrt-Sicherheit beitragen, den Klimawandel oder Tsunamis besser prognostizieren können, die marine Artenvielfalt und maritime Ressourcen besser überwachen können, ein besseres Verständnis von Gezeiten, Wellenbewegungen und Sedimenttransporten gewinnen können, die Umweltbelastung der Ozeane besser erforschen können oder auch verschollene Flugzeuge schneller lokalisieren können.