Hierzulande haben mittlerweile viele Museen wieder für Besucher unter strengen Auflagen geöffnet. Bis man im Ausland jedoch Ausstellungen besuchen kann, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Wir stellen ein weibliches Quartett vor, das Lust aufs Wiedersehen nach Corona macht.
Der erste Akt der Neuzeit
Sandro Botticelli (1445 – 1510) „Geburt der Venus" (1485), Florenz, Uffizien
Wer den Botticelli-Saal in den Florentiner Uffizien betritt, ist allein schon durch die schlichte Größe dieses Gemäldes beeindruckt: Ein Meter 72 mal zwei Meter 78, Tempera auf Leinwand. Auf solche Maße bringen es auch in dieser italienischen Weltklasse-Gemäldesammlung nur wenige Kunstwerke. Treten Sie ein paar Schritte näher, lassen Sie sich von der nackten Schönheit mit dem Madonnengesicht bezaubern – von Botticellis Venus, einem der berühmtesten Gemälde der Welt. Bis heute entspricht die antike Göttin, so wie Botticelli sie malte, dem Inbegriff von Schönheit, Eleganz und Harmonie. Anmut vom Scheitel bis zur Sohle. Erst bei längerem Hinschauen bemerken aufmerksame Betrachter, dass der Hals der Frauengestalt unverhältnismäßig lang ist, dass die Schultern unnatürlich abfallen, der linke Arm den Körper in einer anatomisch unmöglichen Haltung flankiert. Man darf gewiss sein, dass dem Renaissancekünstler hier keine Fehler unterlaufen sind. Es sind die künstlerischen Freiheiten, mit denen Botticelli für das Auge des Betrachters den Eindruck einer Idealgestalt erzeugt. Mit der Hand verdeckt die Nackte die rechte Brust, mit ihrem sanft gewellten Haar verhüllt sie die Scham. Verschämt wirken diese Gesten absolut nicht. Eher bemüht, so viel Schönheit nicht allzu offensiv zur Schau zu stellen. Dennoch hat Botticelli mit seiner Venus ein Tabu gebrochen – er hat den ersten weiblichen Akt der Neuzeit erschaffen. Vom Untergang der antiken Kultur bis zum Ende des Mittelalters war der nackte Körper – zumal der weibliche – aus der europäischen Kunst nahezu verbannt. Rund 1.000 Jahre lang hatte die Malerei dem Zweck der religiösen Erbauung gedient. Nackt wurden lediglich die Sünder dargestellt, etwa Adam und Eva mit Apfel und Schlange. Für die Künstler des Mittelalters waren überirdisch reine Madonnen das Maß aller Dinge. Botticelli aber war ein Mann der Renaissance, der Epoche, in der Europas intellektuelle Elite an dem von der katholischen Kirche propagierten Weltbild rüttelte. Künstler und Denker entdeckten die Errungenschaften der Antike neu, ihre Mythen, ihre Kunst – und den nackten Körper, der für die alten Griechen und die Römer durchaus Gegenstand künstlerischer Bewunderung war.
Die Rache der Frauen
Artemisia Gentileschi (1593 – 1653) „Judith mit ihrer Magd", um 1623 – 1625, Detroit Institute of Arts
Eine Frau ermordet einen Mann, kaltblütig, nach vollzogenem Liebesakt. Michelangelo, Tizian, Lucas Cranach (d. Ä.), Caravaggio und Tintoretto – etliche der Alten Meister hatten sich der alttestamentarischen Erzählung von Judith und Holofernes angenommen, bevor es die italienische Barockmalerin Artemisia Gentileschi (1593 – 1654) tat. Thematisch geht es um Folgendes: Judith, die junge Israelitin, verführt den assyrischen Feldherrn Holofernes. Als er, der Unterdrücker der Israeliten, nach dem Liebesrausch in den Tiefschlaf sinkt, tötet ihn die Eben-noch-Geliebte mit dem Schwert.
Caravaggio & Co haben die Qualen des Opfers mit Pinsel und Farben in den Fokus gerückt. Nicht so Artemisia Gentileschi. In ihrem Gemälde dominieren Judith, die Herrin, und die ihr verschwörerisch verbundene Dienerin die Szenerie. Gentileschi lässt Judith als kraftvolle, reuelose Heldin erstrahlen, mit einer Maltechnik, die sie bei Caravaggio abgeschaut hat. Eine einzige Kerze bringt Licht in den dunklen Raum, wirft ihren Schein auf den rechten Arm der Mörderin und auf das Schwert –
als Symbol männlicher Macht die Waffe. Blickfang ist ihr gelbes Gewand. Die Farbe ist ohne Frage mit Bedacht gewählt. In der Antike die Farbe der Liebesgöttin Venus, wurde Gelb in der christlich inspirierten Kunst zur Farbe der Dirnen und Geächteten – hier also triumphiert die Geächtete. Als junge Frau war die Malerin von einem ihrer Lehrmeister vergewaltigt worden. Es kam zu einem für Gentileschi entwürdigenden Prozess – der Mann wurde zwar verurteilt, ihr aber haftete in der feinen römischen Gesellschaft ein Stigma an. Ihren Weg als Malerin ist Gentileschi trotzdem gegangen. Die Römerin zog nach Florenz, wurde dort als erste Frau überhaupt an der Kunstakademie aufgenommen. Später verdiente sie mit großformatigen Auftragsarbeiten eine Menge Geld – unter anderem in Rom, Neapel und im Auftrag des englischen Königs in London. Ihr Markenzeichen: heroische Frauengestalten, die männlicher Macht etwas entgegensetzen.
Geliebte oder Tochter?
Jan Vermeer (1632 – 1675) „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge" (1665), Mauritshuis, Den Haag
Eine junge Frau blickt den Betrachter aus großen Augen an. Ihr Mund ist leicht geöffnet – ganz so, als richte sie das Wort an denjenigen, der sie da so anschaut. Anders als in den Genrebildern Jan Vermeers weist auf diesem Bild kein Gegenstand auf die Alltagswelt der Porträtierten hin – keine Handarbeit, kein Küchenutensil. Dem Maler geht es allein um den Ausdruck des fast noch kindlichen Frauengesichts. Viel wurde darüber gerätselt, wer diese geheimnisvolle „Mona Lisa des Nordens" war. Vielleicht ein Dienstmädchen im Hause Vermeer, mit dem der Maler ein heimliches Liebesverhältnis hatte? Diese These befeuerte die amerikanische Schriftstellerin Tracy Chevalier mit ihrem 1998 erschienenen Bestseller „Das Mädchen mit dem Perlenohrring". 2003 wurde Chevaliers Roman vom britischen Regisseur Peter Webber verfilmt – mit Scarlett Johansson in der Hauptrolle. Vermeer-Forscher Benjamin Binstock zufolge entbehrt dieses Drama um den Künstler und das Hausmädchen Griet jeder Grundlage. Vermeer habe immer wieder Familienangehörige porträtiert – im Frühwerk die Ehefrau Catharina, in späteren Jahren die Schwiegermutter Maria Thins. In der Blütezeit seine älteste Tochter Maria – das Mädchen mit dem Perlenohrring. Binstock vertritt sogar die These, dass etwa ein Fünftel der Vermeer zugeschriebenen Bilder gar nicht von ihm selbst, sondern von eben dieser Tochter, gemalt wurden. Maria habe im Atelier des Vaters gelernt und ihre Werke unter seinem Namen verkauft, weil sich so höhere Preise erzielen ließen.
Die Nackte und die Inquisition
Francisco José de Goya y Lucientes (1746 – 1828) „La maja desnuda", (zwischen 1795 und 1800), Museo del Prado, Madrid
Francisco José de Goya y Lucientes war Hofmaler des spanischen Königs. In dieser Stellung fertigte er zahlreiche Porträts der adeligen Familienmitglieder, ein ums andere Mal hielt er die Gestalt einer vornehm gekleideten Aristokratin in Öl auf Leinwand für die Nachwelt fest. Das berühmteste Frauen-Gemälde des spanischen Nationalmalers hängt im Museo del Prado in Madrid – „La maja desnuda", die nackte Schöne. Wer die Dame ist, an welchem Ort Goya sie traf und malte, darüber rätselt die Forschung bis heute. 1815, ungefähr 15 Jahre nach der Entstehung des Bildes, muss es in die falsche Hände oder vor die falschen Augen gekommen sein. Für sein „obszönes Gemälde" musste sich der berühmte Maler vor dem Inquisitionsgericht verantworten. Verurteilt wurde er nicht, verlor jedoch seine Stellung als Hofmaler. 1930, über 100 Jahre nach Goyas Tod, gab der spanische Staat vier berühmte Goya-Gemälde als Briefmarken heraus – darunter auch „La maja desnuda". Katholiken im In- und Ausland protestierten gegen die Marke mit der Nackten. Allerdings ohne Erfolg.