Profis verzichten nur ungern auf Geld – vor allem dann, wenn sie nicht in Pläne involviert sind und unter Zeitdruck gesetzt werden. Im deutschen Eishockey droht deswegen eine Zerreißprobe.
Mit ihrer schnellen Entscheidung für einen Saisonabbruch hat sich die Deutsche Eishockey Liga (DEL) eine Art Vorreiter-Rolle erarbeitet. Nachdem sich die DEL relativ schnell zu diesem schmerzvollen, in der Corona-Krise aber auch alternativlosen Schritt entschieden hatte, folgten andere Ligen. Nun schaut man im Handball, Volleyball und anderen Sportarten erneut auf die DEL, die derzeit ein anderes heißes Eisen anpackt: den „freiwilligen" Gehaltsverzicht bei den Profis.
Der Plan, der laut DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke auch „eine Blaupause für andere Ligen" sein könnte, lautet so: Die Spieler sollen pauschal auf ein Viertel ihres Jahresgehalts verzichten, um den Vereinen das Überleben zu sichern. Die Spielergehälter, die zwischen 50 und 70 Prozent des Etats verschlingen, seien „der zentrale Kostenfaktor und der einzige Posten, der steuerbar ist", erklärt Tripcke. „Es ist die einzige Möglichkeit, die Fixkosten der Clubs zu reduzieren."
Rein formal besteht für die Spieler die Chance, am Ende der Saison doch noch auf ein volles Gehalt zu kommen. Nämlich dann, wenn der Club auf der Einnahmeseite mindestens zu drei Vierteln das Vorjahresniveau erreicht. Das ist angesichts der vielen Probleme wie Sponsoren-Schwund und mögliche Geisterspiele aber höchst unwahrscheinlich. Deswegen regte sich unter den Profis auch reichlich Widerstand gegen die Pläne, zumal sie sich extrem unter Zeitdruck gesetzt fühlten.
„Der einzige Posten, der steuerbar ist"
Eigentlich hätten die Clubs bis zum 24. Mai, dem Stichtag für die Einreichung der Lizenz-Unterlagen, auch eine von den Spielern unterschriebene Einwilligung für den Gehaltsverzicht hinterlegen müssen. Doch das war angesichts der Kürze der Zeit für fast alle Vereine nicht leistbar. Einzig die Fischtown Pinguins aus Bremerhaven und die Augsburger Panther bestätigten offiziell bis zum 24. Mai, dass sie eine entsprechende Vereinbarung über die neuen Klauseln erzielt hätten. Alle anderen Clubs bekamen von der DEL einen Aufschub, doch am Grundsatz dürfte sich wohl nichts ändern: Die Lizenzerteilung ist an den Gehaltsverzicht gekoppelt. „Der Nachweis ist Bestandteil der Prüfungsmaßstäbe", bestätigte Tripcke in der Fachzeitung „Eishockeynews".
Genau deswegen fallen hinter vorgehaltener Hand von Spielern die Worte „Erpressung" und „Nötigung". Nationalspieler Moritz Müller sieht es höchst kritisch, dass die Kufencracks „unter Zeitdruck zu etwas gedrängt werden, ohne einen Gegenvorschlag einbringen zu können". Wenn man die Spieler mit an den Verhandlungstisch bringen würde, könnte man versuchen, „die beste Lösung zu finden – fernab von zeitlichen Begrenzungen und Drohungen". Für einen bitteren Beigeschmack sorgt beim spielenden Personal zudem die Tatsache, dass Trainer und Manager offensichtlich nicht auf 25 Prozent ihres Gehalts verzichten sollen. Auch darüber wird in Spielerkreisen heftig diskutiert.
DEL-Geschäftsführer Tripcke hält den aktuellen Plan dennoch für „die fairste Lösung", auch wenn er natürlich verstehen könne, dass die Berufsspieler sich damit nur schwer anfreunden können. Aber: „Wir wollen keinen über den Tisch ziehen. Das Geld ist derzeit einfach nicht da." Der DEL-Boss bezifferte den Verlust der abgebrochenen Corona-Saison auf bis zu 20 Millionen Euro, die Aussichten für die kommende Spielzeit sind ebenfalls düster. Ob und in welcher Form ab dem 18. September wieder gespielt werden kann, ist völlig offen.
Dass alle 14 DEL-Clubs ihre Lizenz-Unterlagen fristgerecht eingereicht haben, bedeutet noch lange nicht, dass die Liga auch in voller Teamstärke aus der langen Pause zurückkehren wird. Tripcke hofft auf den „Solidaritätseffekt" und warnt: „Eine Verweigerungshaltung kann schnell einen Flächenbrand auch bei anderen Clubs auslösen." Der Ligachef setzt daher auch auf eine Vorbildfunktion der Vereine aus München, Mannheim und Berlin. „Wenn die großen Clubs nicht mitmachen", so Tripcke, „wird es die kleinen zerreißen."
Zumindest bei den Eisbären Berlin hat man den Weg zum Gehaltsverzicht geebnet. „Wir haben alle Fragen beantwortet, bis jetzt haben wir von niemandem ein Nein bekommen", sagte Geschäftsführer Peter John Lee der „Berliner Morgenpost" (25. Mai). Das Problem: Spieler mit bestehenden Verträgen müssen entsprechend modifizierte Kontrakte unterschreiben, denn juristisch gesehen sind die Profis zu keinen finanziellen Abstrichen verpflichtet. Deshalb zögerten dem Vernehmen nach vor allem die Topverdiener mit der Unterschrift.
Tripcke hofft auf den „Solidaritätseffekt"
Doch nicht nur der Gehaltsverzicht sorgt für Ärger, auch die sogenannten Corona-Klauseln gefallen nicht allen. Verträge sind ab sofort aufschiebend bedingt, das bedeutet, dass sie bei einem unvorhersehbaren Ereignis wie einer Pandemie unwirksam würden. Sie enthalten zudem die Bereitschaft zur Kurzarbeit bei besonderen Fällen und eine neue Ausschüttungsregelung für die Play-off-Prämien.
Es ist natürlich kein Zufall, dass sich fast zeitgleich zu den Plänen der DEL eine Gruppe von Profis formiert hat, die die Gründung einer Spielergewerkschaft forciert. Die Anführer dahinter sind keine geringeren als Moritz Müller, Kapitän der Nationalmannschaft, und Patrick Reimer, DEL-Rekordtorschütze. „Wenn nicht jetzt, dann nie, haben wir uns gedacht und sind zusammengerückt", sagte Reimer von den Nürnberg Ice Tigers.
Die Idee einer Spielergewerkschaft ist nicht neu, schon 1992 hatten Jörg und Ulrich Hiemer zusammen mit Gerd Truntschka eine „Vereinigung der Eishockeyspieler" gegründet. Doch bis zum offiziellen Titel einer Gewerkschaft hat es keine Verbindung geschafft. Auch die jetzige Interessenvertretung „steckt noch in den Kinderschuhen", sagt Reimer. „Wir haben noch viel Arbeit vor uns." Es wird eine Satzung benötigt, und ein Verein muss gegründet werden.
Das Ziel ist klar: Die Meinungen und Interessen der Profis sollen deutlich mehr Gewicht bekommen als bisher. Vorbild ist die mächtige Spielergewerkschaft NHLPA in Nordamerika, die in der besten Eishockeyliga der Welt den Kurs mitbestimmt – zur Not unter Androhung und auch Umsetzung von Streiks. Die Lockouts in der NHL (1994/95, 2004/05 und 2012/12) beweisen, dass die Profis dort auch im Extremfall an einem Strang ziehen. „Unser Wunsch wäre schon, dass alle Spieler Teil der Gewerkschaft sind und bei Eintritt in die Liga auch in die Gewerkschaft eintreten, so wie das bei der NHLPA ist", sagte Müller.
Nur wenn die Spieler eine gewichtige Stimme erhalten, „können wir das Produkt verbessern, weil wir wissen, wie es sich anfühlt".
Einen Aufstand wird es in Eishockey-Deutschland aber wohl (noch) nicht geben. „Wir möchten in den Lösungsprozess für die aktuelle Situation mit eingebunden werden und mit Liga und Vereinen an einem gemeinsamen Verhandlungstisch sitzen" sagte Müller. Der Verteidiger der Kölner Haie betonte, man wolle „nicht gegen die Liga arbeiten", sondern „eine für alle Beteiligten gute Lösung finden".
„Wir haben noch viel Arbeit vor uns"
Doch mit zunehmender Dauer ohne diese einvernehmliche Lösung wird der Ton rauer, hinter vorgehaltener Hand sprechen Spieler von „Nötigung" und „Erpressung". Rechtsanwälte sind längst eingeschaltet. Der angekündigte offene Dialog mit der DEL und den Clubs habe zum Teil gar nicht stattgefunden, klagen Spieler. Sie würden vor vollendete Tatsachen gestellt, ganz nach dem Motto: Friss oder stirb! „Wir wollen den Vereinen gerne helfen und sie nicht im Stich lassen, aber wir wollen Offenheit", sagte Müller dem Sport-Informations-Dienst (SID). Im Gegenzug müssten die Clubs den Spielern aber genau aufzeigen, „wo ihre Probleme liegen". Er sei sich sicher, dass diese höchst unterschiedlich gelagert sind und daher eine pauschale Lösung – sprich das übergreifende Einfrieren von einem Viertel aller Spieler-Jahresgehälter –
nicht nachvollziehbar sei.
Ein gemeinsames Stimmrecht haben die Spieler aber zurzeit noch nicht, noch verhandelt quasi jeder Einzelne mit den Clubs. Auch deshalb findet Frank Hördler von den Eisbären Berlin die Idee einer Spielergewerkschaft gut, man hätte dann „einfache Wege, um Sachen zu besprechen" und die Clubs müssten „nicht mit knapp 300 Profis einzeln verhandeln".
Fakt ist: Alle Parteien sind daran interessiert, die neue Saison wie geplant im Herbst wieder aufzunehmen. Die Spieler erst recht, denn derzeit sind die Gehälter ligaweit auf 2.900 Euro netto pro Monat gedeckelt. Dabei würde es auch bleiben, wenn in der Saison 2020/21 nicht gespielt werden könnte. „Grundsätzlich bin ich sicher, dass die Spieler wissen, was gerade abgeht und zu einem Gehaltsverzicht bereit sind", sagte Nationalspieler Müller. Alle wüssten, „dass die Pandemie Auswirkungen auf unsere Sportart haben wird". Alle seien deswegen bereit, Opfer zu bringen, aber: „Es braucht Zeit, es braucht Diskussion. Eine Deadline bei so einem Thema hilft nicht."