Schauspielerin, Mutter, Feministin, Brexit-Gegnerin, Freigeist, Chanel-Werbe-Ikone – Keira Knightley ist all das – und entzieht sich dennoch jeglicher Etikettierung. Ein Versuch, ihr trotzdem etwas näherzukommen.
Weltberühmt wurde Keira Knightley als rebellische Gouverneurs-Tochter Elizabeth Swann in den „Pirates of the Caribbean – Fluch der Karibik"-Filmen. Im Sommer 2003 traf ich sie zum ersten Mal in Los Angeles zum Interview. Da war sie gerade einmal 18 Jahre alt. Sie sah aus wie ein Mädcheninternatszögling, dem man eine Woche lang nichts zu essen gegeben hatte. Schüchtern, blass –
ein Strich in der Landschaft. Ich dachte noch: Typ Mauerblümchen – aber da irrte ich mich gewaltig. Schon nach wenigen Minuten entpuppte sie sich als intelligente junge Frau, die vor Lebenslust förmlich sprühte, überhaupt nicht auf den Mund gefallen war und sehr kluge und witzige Dinge sagte. Kein Wunder also, dass ihre Co-Stars Johnny „Captain Jack Sparrow" Depp und Brit-Beau Orlando Bloom hin und weg waren von der jungen britischen Schauspielerin. „Sie hat uns alle mit ihrer offenherzigen Art und ihrem bodenständigen Humor den Kopf verdreht", gestand Orlando Bloom mit hochroten Ohren.
An Keira Knightleys Charme-Offensive hat sich in all den Jahren – gut 30 Filme, zwei Oscar- und drei Golden Globe-Nominierungen später – nichts geändert. Ich hatte das große Glück, sie immer mal wieder für einen ihrer neuen Filme vor dem Mikro zu haben. Das waren immer sehr erfreuliche Begegnungen. Denn im Gegensatz zu vielen berühmten Filmstars ihres Status und ihrer Klasse, war sie völlig frei von Dünkel und Allüren. Sondern herzlich, interessiert und zugewandt.
Obwohl sie sehr jung zum Filmbusiness kam und schon als Teenager in diversen TV- und Kinofilmen mitspielte, wollte sie nie Schauspielerin werden, damit man sie liebt. Und schon gar nicht, um reich und berühmt zu werden. „Ich wollte Schauspielerin werden, weil ich mich für Literatur interessiere", meint sie ernst (Siehe auch Interview auf Seite 22). „Mit acht, neun Jahren habe ich Kenneth Branaghs Shakespeare-Film ‚Viel Lärm um nichts‘ gesehen und konnte ihn bald auswendig. Und später dann seinen ‚Hamlet‘. Ich hätte damals sofort mein über alles geliebtes Puppenhaus hergegeben, um in einem seiner Filme mitzuspielen. Danach war ich übrigens ein großer Fan seiner damaligen Frau Emma Thompson. Sie habe ich nicht nur auf der Leinwand, sondern auch im richtigen Leben bewundert. Vor allem hat mir ihre Unabhängigkeit imponiert. Ich hatte als Teenager nie Star- oder Boygroup-Poster in meinem Zimmer hängen. Das einzige Foto an meiner Wand war das von Emma."
Statt Boygroup-Postern hing Emma Thompsons Foto an der Wand
Und noch eine Frau spielt in Keira Knightleys Leben eine entscheidende Rolle: Jane Austen. Die Romane der britischen Kult-Schriftstellerin spielte sie als Kind – alle! – in oben erwähntem Puppenhaus nach. Als sie dann mit 20 tatsächlich die Hauptrolle in der Austen-Verfilmung „Stolz und Vorurteil" bekam, konnte sie ihr Glück kaum fassen. Literaturverfilmungen ist sie bis heute treu geblieben. Es ist ihr allerdings sehr wichtig, nicht als verkopfter Bücher-Freak abgestempelt zu werden. Mit einem entwaffnenden Grinsen gibt sie zu: „Ich war auch ein großer Fan von ‚Sex and the City‘. Ich fand die TV-Serie fantastisch – nicht nur wegen der Schuhe. ‚Sex and the City‘ war nicht nur cool, witzig und intelligent, sondern gab auch – ich glaube zum ersten Mal im Fernsehen überhaupt – den Frauen das Gefühl von sexueller Freiheit und Unabhängigkeit. Nach dem Motto: ‚Hey, ich bin eine Frau und kann tun und lassen, was ich will‘. Was sich übrigens total mit dem deckt, was mein Vater immer zu mir sagte: ‚Keira, lass dich von den anderen nie verrückt machen. Lebe immer nur dein Leben!‘"
Sie nimmt einen kleinen Schluck aus der Cappuccino-Tasse, die vor ihr auf dem Tisch steht. Genüsslich schleckt sie sich den Schaum von den Lippen. Sie hat sehr schmale Hände. Drei dünne Goldringe an den Fingern ihrer rechten Hand. Nichts Protziges. Sie trägt ein schwarzes Chanel-Kleid, eine Bluse aus schwarzer Spitze und schwarze Pumps. Wüsste man es nicht besser, ginge sie glatt als Topmodel durch, so extrem feingliedrig und schlank wie sie ist. Aber ohne fragil zu wirken. Fragile Mädchen schaffen es nicht nach Hollywood.
Keira Knightley ist etwas gelungen, was nur sehr wenige Schauspieler schaffen: Sie hat sich im Laufe der Zeit von einem Popcornkino-Star zu einer veritablen Charakterdarstellerin gewandelt. Sie hat sich dabei weder auf Hollywood-Blockbuster noch auf Historien-Filme festlegen lassen. Sie macht in Mainstream-Filmen eine mindestens ebenso gute Figur wie in Independent-Movies. Meilensteine auf diesem Weg sind neben dem „Pirates of the Caribbean – Fluch der Karibik"-Franchise „Stolz und Vorurteil" (wofür sie 2006 eine Oscar-Nominierung als Beste Hauptdarstellerin bekam), „Abbitte" und „Anna Karenina", aber auch ein auf schmutziges B-Pictures gemachter Streifen wie „Domino", der David-Cronenberg-Film „Eine dunkle Begierde", über die Pioniere der Psychoanalyse Sigmund Freud und Carl Gustav Jung, sowie der Spionage-Thriller „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben" (ihre zweite Oscar-Nominierung als Beste Nebendarstellerin), das Bio-Pic „Colette" und der Nachkriegsfilm „Niemandsland – The Aftermath".
Vom Popcornkino-Star zur wahrhaftigen Charakterdarstellerin
Was Keira Knightley bei dem Balance-Akt auf dem Entertainment-Hochseil geholfen hat, war – laut eigenem Bekunden – anfangs vor allem ihre Naivität und Rotzigkeit. „Als man mich damals zum Casting für „Fluch der Karibik" nach Los Angeles einlud, dachte ich nicht im Traum daran, die Rolle der Elizabeth in diesem Multi-Millionen-Dollar-teuren Disney-Film je zu bekommen. Dazu war ich doch viel zu unbekannt. Dementsprechend locker – und wohl ein bisschen vorlaut – war ich beim Vorsprechen. Und – Bingo! – plötzlich hatte ich den Part."
Ein Beispiel für ihre Nonchalance? Bitte sehr: „Als ich mich ein paar Jahre später mit dem Regisseur Joe Wright für den Film ‚Abbitte‘ zu einem Vorgespräch traf, war das ein fürchterliches Desaster. Wir hassten uns aus tiefster Seele. Als ich dann völlig entnervt aufstand und ging, rief er mir nach: ‚Zieh wenigstens deine Jeans hoch!‘ Ich drehte mich um, und rief ihm ein wütendes ‚Fuck You!‘ zu. Später sind wir dann doch zusammengekommen und haben auch noch ‚Anna Karenina‘ gemacht. Joe gehört auch heute noch zu den wenigen Freunden aus der Filmbranche." Der Mut, auch bei Business-Meetings offen ihre Meinung zu sagen, kam nicht immer gut an. Stärkte aber ihren Charakter. Auch dadurch wurde sie eben nicht zu einer dieser stromlinienförmigen, austauschbaren, hübschen Schauspieler-Larven, sondern schärfte ihr Profil, ihre Leinwandpräsenz, ihr Selbstvertrauen. So wurde sie von Film zu Film besser, tiefgründiger, nuancenreicher.
Während es beruflich steil bergauf ging, gab es in ihrem Privatleben einige Abstürze und Krisen. Obwohl sie immer festen Halt bei ihrer Familie und ihren Freunden hatte, wurde der plötzliche Ruhm für sie nach und nach doch zum Problem. Mit 22 Jahren war sie zeitweise psychisch angeschlagen. „Ruhm ist sehr schwierig in den Griff zu bekommen", sagt sie kurz und bündig. Und fährt dann fort: „Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, dass man auch als sogenannter Star ein Recht auf Privatsphäre hat. Ich habe ja gar nichts dagegen, wenn ich auf der Straße oder in einem Restaurant nach einem Autogramm gefragt werde. Oder wenn sich meine Fans mit mir zusammen fotografieren lassen wollen. Wenn ich aber Tag und Nacht von Paparazzi verfolgt werde, die dann auch noch meinen Müll durchwühlen, hört der Spaß auf. Und erst recht, wenn gewisse Medien infame Gerüchte in die Welt setzen, ich hätte Essstörungen, wäre magersüchtig, drogenabhängig oder Alkoholikerin. Das ist nichts anderes als Rufmord! Und ein Fall für meine Anwälte. Ich war jedenfalls sehr froh, als sich die ganze Aufregung um meine Person mit der Zeit gelegt hat. Mittlerweile kann ich mich wieder ziemlich normal in der Öffentlichkeit bewegen."
„Die meiste Kraft ziehe ich aus meinem Familienleben"
Wichtig für Keira Knightleys Seelenheil ist sicher auch, dass sie seit sieben Jahren glücklich mit dem britischen Musiker James Righton verheiratet ist. Das Paar hat zwei Töchter, Edie, fünf Jahre alt und Delilah, acht Monate. „Die meiste Kraft und Freude ziehe ich ganz sicher aus meinem Familienleben. Durch die Geburt meiner Töchter hat sich mein Leben von Grund auf verändert. Es ist viel anstrengender geworden – aber auch ungleich viel reicher. Glücklicher. Tatsächlich habe ich das Gefühl, dass man das Leben erst so richtig verstehen lernt, wenn man Mutter geworden ist. Und Kindererziehung ist ja alles andere als einfach. Auch wenn man sich vorher viel darüber informiert hat, lebt man doch eigentlich ziemlich improvisiert in den Tag hinein. Und man hat immer auch große Angst Fehler zu machen. Immerhin hat man die Verantwortung für zwei kleine Menschen, die total von einem anhängig sind. Gott sei Dank habe ich da einen starken Mann an meiner Seite."
Was ihren Hunger nach guten Filmstoffen betrifft, ist der noch längst nicht gestillt. Zwar wird sie in Zukunft zu Dreharbeiten nicht mehr um die halbe Welt reisen, und wenn doch, dann „nehme ich meine Töchter auf jeden Fall mit. Auch wenn es mitunter sehr anstrengend ist". Was sie auch mit Rücksicht auf ihre Töchter ändern will, sind Nacktszenen. „Ich habe mich früher immer sehr wohl bei Sexszenen gefühlt, aber schon bei meinem letzten Film habe ich mir dafür ein Body-Double geholt. Das muss nicht mehr sein." Wovon sie aber immer noch glänzende Augen kriegt, sind ein, zwei Traumrollen, die sie unbedingt noch spielen will. „Wie wäre es zum Beispiel mit Joséphine Bonaparte oder Jeanne d’Arc? Beide sehr willensstarke Frauen. Die würden doch gut zu mir passen, oder etwa nicht?"