Die durch Corona geschwächte Wirtschaft zögert, neue Lehrstellen anzubieten. Azubis werden in ein schwieriges Ausbildungsjahr starten.
Eigentlich ist Mitte März die Zeit, in der Bewerbungsgespräche geführt und Ausbildungsverträge unterschrieben werden. Doch in diesem Jahr ist auch bei den Azubis alles anders. Mitte März herrschten strenge Kontaktverbote, die Pandemie war auf dem Höhepunkt. Die Berufsschulen wurden geschlossen, ausgerechnet in den letzten Wochen vor den im Mai/Juni anstehenden Prüfungen. Die wurden nach hinten, also bis in den August hinein, verschoben – aber in jedem Bundesland anders. Wer konnte, sollte online lernen. Doch gerade die Berufsschulen hinken bei der Digitalisierung hinterher. Laut Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) reicht das Geld aus dem von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Digitalpakt hinten und vorne nicht. Nach Berechnungen der GEW müssten die Finanzmittel dafür vervierfacht werden, also von fünf auf 20 Milliarden Euro.
Die Konsequenz: Viele Prüfungen fielen einfach aus oder die Schüler traten diese nicht an, so wie zum Beispiel am Oberstufenzentrum Handel in Berlin. Dort machten viele Schüler einfach weiter, so eine Lehrkraft, und strebten jetzt das Abitur an, obwohl sie eigentlich nicht qualifiziert genug seien.
Was sollen sie auch tun? In der Wirtschaft finden sie derzeit wenige Ausbildungsplätze. Wer als Gastronom mit der Pleite kämpft, holt sich nicht noch einen Lehrling an Bord. Im Messebau, im Hotelgewerbe, in Touristikunternehmen herrscht Flaute. Handwerker wie Bäcker, Schreiner, Fleischer, Installateure oder Dachdecker könnten Lehrlinge brauchen, wenn es wieder läuft. Aber diese Berufe werden auf dem Ausbildungsmarkt kaum nachgefragt – ein gesellschaftlicher Megatrend, der zunächst einmal nichts mit Corona zu tun hat. Das zum 1. Januar 2020 eingeführte Mindestgehalt für einen Azubi sollte einen Ausgleich schaffen und auch ungeliebte Berufe attraktiver machen. Doch weil die Pandemie gerade die Kleinen trifft, wird sie die Abwertung der klassischen Berufsausbildung eher verstärken. Schon jetzt gibt es 2,1 Millionen Ungelernte unter den jungen Menschen zwischen 20 und 35, die den Einstieg in eine Berufsausbildung irgendwann verpasst haben. Das Ergebnis wird nach den Worten des Arbeitsmarktexperten Stefan Sell ein massiver Facharbeitermangel sein.
Es droht ein massiver Facharbeitermangel
Das wissen die Betriebe – und sind möglichst darauf bedacht, ihre Facharbeiter zu halten. Statt Entlassungen in großem Umfang, melden viele Kurzarbeit an. Im Endeffekt führt das zu weniger offenen Stellen für Neubewerber. „Insgesamt gibt es noch knapp 430.000 Ausbildungsbetriebe in Deutschland", warnt die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Elke Hannack. „Wenn jetzt schon 650.000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet haben, zeigt das, wie groß die Herausforderungen im kommenden Ausbildungsjahr werden." Wie viele Azubis am Ende des Sommers eine Lehre beginnen können, dazu lässt sich derzeit noch keine Prognose abgeben, sagt der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), Friedrich Hubert Esser. Dass viele keinen Platz finden werden, weil in diesem Jahr nicht wenige Betriebe abwinken, scheint auch Esser klar zu sein. Er setzt auf „überbetriebliche Ausbildungszentren", die dann einspringen sollen. Doch die lassen sich nicht so einfach mal für ein Jahr lang einrichten und dann wieder schließen. Logistik, Lehrkräfte, Praxisangebote können, einmal auf den Weg gebracht, nicht auf Knopfdruck stillgelegt werden.
Eine Ausnahme auf dem Lehrstellenmarkt bilden die Maschinenbauer. Trotz Kurzarbeit und Einstellungsstopp wollen sie an ihren Ausbildungsplänen festhalten. Das ergab eine Umfrage des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) unter den rund 600 Mitgliedsfirmen. Demnach wollen jeweils zwei Drittel künftig genauso viele gewerblich-technische wie kaufmännische Ausbildungsplätze anbieten wie vor der Pandemie.
Maschinenbauer als positive Ausnahme
Gefragt nach den Ursachen für diese offene Bekundung zur Ausbildung, kommt wieder der Fachkräftemangel ins Spiel. Die exportorientierte Schlüsselindustrie Maschinenbau mit rund 1,3 Millionen Beschäftigten klagt seit Jahren über einen Mangel an Ingenieuren und qualifizierten Fachkräften. Hartmut Rauen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des VDMA, ist überzeugt, dass der Schritt ins digitale Zeitalter nur „mit gut ausgebildeten Menschen" zu schaffen ist. Dabei sind noch nicht einmal die Hochschulabsolventen gemeint. Viel wichtiger ist die mittlere Ebene unter den Facharbeitern, also Menschen aus klassischen Ausbildungsberufen. Jörg Friedrich, VDMA-Bildungsexperte, sagt der dpa: „Auf dem Ausbildungsmarkt im Maschinen- und Anlagenbau ist die Situation für Bewerber weiterhin gut, auch wenn einige Unternehmen Ausbildungsplätze reduzieren werden." Ob es einen Corona-Crash auf dem Ausbildungsmarkt geben wird, offenbart sich frühestens in einem Jahr. Alles hängt davon ab, ob im Herbst der Konjunkturmotor wieder anspringt oder weiter stottert.