Ab Mitte Juni soll es im grenzüberschreitenden Verkehr wieder normal laufen. Was auf der Straße problemlos ist, ist im Schienennahverkehr seit jeher eine Herausforderung mit langwierigen Abstimmungen. Klaus Vornhusen, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn, über Lebensgefühl und Pläne in der deutsch-französischen Grenzregion.
Herr Vornhusen, wie beurteilen Sie das Konzept eines grenzüberschreitenden Nahverkehrs?
Das Konzept finde ich toll. Es ist insofern etwas ganz Besonderes, als der Nahverkehr sich in Deutschland seit der Bahnreform 1994 enorm weiterentwickelt hat. Grenzüberschreitend ist er dagegen bei Weitem nicht so gut wie innerhalb der Landesgrenzen. Dass man jetzt versucht, grenzüberschreitend eine ähnliche Qualität zu erreichen, wie wir sie in Deutschland meist schon haben, ist eine wirklich tolle Sache.
Bis zum Jahr 2024 soll sich in Sachen grenzüberschreitendem Schienennahverkehr einiges verändern. Welche Rolle wird die Deutsche Bahn dabei spielen?
Die Rolle der Deutschen Bahn ist heute nicht mehr die, die sie früher war: Als Deutsche Bundesbahn hat sie früher alles im Hinblick auf den Bahnverkehr weitestgehend allein entschieden. Heute tritt die Deutsche Bahn in unterschiedlichen Rollen auf: Auf der einen Seite betreiben wir die Infrastruktur – also die Schienen und auch die Stationen. Es ist auf der anderen Seite aber nicht mehr so, dass auf diesen Schienen automatisch auch immer nur die Deutsche Bahn fährt. Es gibt heute sehr viele unterschiedliche Anbieter. Das kann natürlich die DB Regio sein, aber auch andere Eisenbahnverkehrsunternehmen. Beispielsweise fährt auch die Saarbahn auf unseren Schienen.
Das bedeutet heute: Die Deutsche Bahn kann nicht einfach autark entscheiden: Wir wollen, dass dies oder jenes so oder so läuft. Beim grenzüberschreitenden Verkehrsangebot müssen wir schauen, was der Auftraggeber – heute Aufgabenträger/Zweckverband genannt – auf den vorhandenen Schienen an Verkehren anbieten will. Hinsichtlich des Fahrplans berät natürlich die DB Netz als Infrastrukturbetreiber neutral die Aufgabenträger und erstellt zum Beispiel Fahrplanstudien. Die Aufgabenträger sagen aber schließlich, welche Strecken sie bedient sehen wollen, und machen eine Ausschreibung darüber, wer dort die Züge fahren darf. Derjenige, der dann das beste Angebot macht, bekommt den Zuschlag.
Welche Probleme bringt nun eine Ausschreibung über die Grenzen hinaus mit sich?
Das sind oftmals Dinge, die bei demjenigen, der ausschreibt, entschieden werden – also bei den Aufgabenträgern der Region Grand Est und des Saarlandes. Was man sich zum Beispiel überlegen muss, ist die Frage, wo die Eisenbahner, die dort fahren, ihren Anstellungsvertrag haben werden. In Deutschland? In Frankreich? Bei beiden? Man muss sich überlegen, wie man damit umgehen will. Die Fahrzeuge sollen, so wie die Aufgabenträger das heute vorsehen, von der Region Grand Est beigestellt werden. Die Frage ist beispielsweise auch, welche Technik in den Fahrzeugen verwendet wird und wie man alle Mitarbeiter auf diese Technik trainiert. Die Ausbildung des Personals ist wichtig – auch die sprachliche Ausbildung. Weiterer Punkt ist auch die Instandhaltung der Züge: Wo wird sie gemacht? Wie wird sie gemacht? Es gibt heute Fälle, bei denen die Instandhaltung durch den Eigentümer des Fahrzeuges durchgeführt wird, aber auch solche, wo sie durch die Fahrzeugindustrie selbst erledigt wird – also durch denjenigen, der die Fahrzeuge liefert. DB Regio macht die Instandhaltung für gewöhnlich selbst. Insgesamt ist es hinsichtlich vieler Themen derzeit noch schwer zu sagen, welche Aufgaben die Eisenbahnverkehrsunternehmen – also diejenigen, die fahren –
werden lösen müssen.
Welche Chancen bietet ein grenzüberschreitendes ÖPNV-Angebot?
Da antworte ich weniger als Deutsche Bahn, sondern insbesondere als Bürger: Ich glaube, dass in dieser ganzen Region der „Quattropole" – Saarbrücken, Metz, Luxemburg und Trier – das gemeinsame Lebensgefühl viel intensiver sein könnte und auch müsste.
Nach unserer Erfahrung spielt dabei das Nahverkehrsangebot auf der Schiene eine immense Rolle. Man muss ein attraktives Nahverkehrsangebot schaffen, in welchem es für jeden Pendler ganz normal ist, sich in den Zug zu setzen und zur Arbeit oder zur Schule zu fahren, unabhängig davon, ob es dazwischen eine Grenze gibt oder nicht – wenn ein Pendler so vorgeht, dann hat man es geschafft, die Region zusammenzuführen. Hier spielt aus meiner Sicht die Grenze heute eine zu große Rolle. Wenn man es so will, ist die Grenze heute ja nur noch eine virtuelle Grenze. Natürlich, da ist eine Sprachgrenze. Aber man sieht in Form der Pendelverkehre auf der Straße ja schon, wie leicht diese zu überwinden ist. Und trotzdem tut der öffentliche Nahverkehr sich sehr schwer damit. Ich halte diese Grenze im Nahverkehr für absolut künstlich und nicht mehr zeitgemäß.
Der Vertrag von Aachen hat hier eine Gelegenheit geschaffen, die man beim Schopfe ergreifen sollte. Ich glaube auch, dass dieses erste für 2024 vorgesehene Konzept erst der Anfang ist. Der Appetit kommt beim Essen. Wenn man sieht, wie toll das laufen kann und wie Schwierigkeiten überwunden werden, dann wird dieses Konzept auch weitere Ergänzungen erfahren.
Inwiefern wird „Alleo" in diese grenzüberschreitenden Verkehre eingebunden sein?
Die Alleo-Verkehre, also die Fernverkehrszüge ICE und TGV der deutsch-französischen Kooperation, sind konzeptionell immer eingebunden; wir denken da übergreifend.
Es ist aber so, dass der Halteabstand des grenzüberschreitenden Fernverkehrszuges ein ganz anderer ist als der bei den Nahverkehrszügen, die aktuell im Gespräch sind. Die Halteabstände – gerade bei den Hochgeschwindigkeitsverkehren – sind für gewöhnlich sehr groß. Bei einem typischen Nahverkehr sollten die Abstände aber recht klein sein. Insofern gibt es natürlich eine Abstimmung des internationalen Fernverkehrs auf die Nahverkehre, die hier angeboten werden sollen. Das sieht man schon heute, beispielsweise in Richtung Mannheim. Jede Stunde fährt ein Nahverkehrszug – außer in den Stunden, in denen die Alleo-Züge fahren. Vom Fahrplan her ist er also integriert, vom Konzept – wer kommt wann von wo nach wo? – ist er integriert.
Es sind unterschiedliche Produkte, aber – gerade auch auf ferne Sicht gesehen – gibt es noch eine ganz wichtige Beziehung zueinander: Wenn die Quattropole es schafft, sich als integrierte Region aus Saarbrücken, Metz, Luxemburg und Trier auf die Landkarte zu zeichnen, dann umfasst das etwa zwei bis drei Millionen Menschen. Das ist natürlich ein hochinteressantes Ziel, gerade im Schienenfernverkehr für die ganze Region – und nicht nur aus saarländischer Sicht.
Öfter hört man Kritik, die Bahn habe sich nur noch auf Fernverkehre fokussiert und den Nahverkehr völlig ignoriert. Wie beurteilen Sie diese Aussagen?
Die Deutsche Bahn ist auf jeden Fall für Infrastruktur zuständig. Wir haben aber keinen Einfluss darauf, welche Nahverkehrszüge auf dieser Infrastruktur angeboten werden. Diese Angebote werden durch das Land beziehungsweise die Aufgabenträger definiert, die hier die Zugfahrten nach einer öffentlichen Ausschreibung an Eisenbahnverkehrsunternehmen vergeben. Die erste Frage in Sachen Ausbau oder Reduzierung von Nahverkehrsangeboten ist daher immer: Was sagt das Land dazu? Möchte das Land mehr Verkehre ausschreiben – dann wird da auch ein Zug fahren. Tut das Land es federführend nicht, gibt es dort auch kein Angebot.
Streckenstilllegungen spielen nur dann eine Rolle, wenn auf Strecken schon jahrelang nichts mehr gefahren ist. Es ist heute allerdings anders als noch vor drei oder vier Jahren. Es laufen sowohl bei den Ländern als auch beim Bund Untersuchungen, an welchen Stellen es klug wäre, wieder Verkehre anzubieten, weil sich dort ein Fahrgastpotenzial entwickeln könnte – und zwar auch bei Strecken, auf denen lange nichts angeboten wurde.
Das sieht man auch an der Niedtalbahn: Sie fährt schon lange bis Niedaltdorf, obwohl die Auslastung nicht gewaltig ist. Weil das Land immer gesagt hat: Wir wollen bis kurz vor die Grenze fahren. Auf der französischen Seite fehlte bisher aber der Besteller des Verkehrs. Das Land muss also mit der Region Grand Est sprechen, dass man gemeinsam einen Nahverkehr auf die Schiene bringen könnte – und zwar auch jenseits der Grenze. Im Moment ist es noch nicht dazu gekommen, hier ein gemeinsames deutsch-französisches Angebot anzustoßen. Aber, wer weiß? Es würde uns schon freuen, wenn die Züge dann vielleicht auch nach Bouzonville fahren würden.