Bulgarien hütet einen duftenden Schatz: In einem Tal am Fuß des Balkangebirges wachsen die Damaszener-Rosen. Aus ihren Blüten wird das kostbarste Öl der Welt destilliert.
Als unsichtbarer Baldachin spannt sich der Duft über die Felder. Jedes Mal, wenn eine sanfte Brise die sich öffnenden Knospen zum Rascheln bringt, trägt der Wind einen zarten Hauch der Aromen am Dorf vorbei hinab ins Tal. Rein und fein ist der Duft, wirkt trotzdem opulent und süß wie Honig. Er ist filigran, aber von einer fast überwältigenden Intensität. Dieser Geruch ist so außergewöhnlich, dass selbst Experten das Vokabular fehlt, um ihn zu beschreiben. Und dabei so betörend, dass einem fast die Luft wegbleibt: Wer tief einatmet und den Duft durch die Nase einzieht, kann die Rosen auch mit geschlossenen Augen sehen.
Mitten in Bulgarien, in einem Tal am Fuß des Balkangebirges, wächst jene edle Damaszener-Rose, aus deren pinkfarbenen Blüten das kostbarste Öl der Welt destilliert wird. Am frühen Morgen sind es nur die Felder auf den Hügeln des Dörfchens Kalofer, die von den Aromen eingehüllt sind. Später scheint es, als lasse sich der Blumenduft in jedem Winkel des Tals erschnuppern, ganz so, als habe sich die komplette Landschaft mit dem verführerisch-süßlichen Parfüm eingesprüht. Zu allem Überfluss gibt es auch noch eine reichliche Dosis Opium fürs Auge. Durch das satte Grün der in Reih und Glied stehenden Sträucher blitzt das leuchtende Pink der vielen Millionen rosafarbenen Blüten. Verzeihung, aber: Wer da nicht ins Schwärmen kommt, hat vermutlich ein Herz aus Stein.
Sobald die ersten Sonnenstrahlen übers Balkangebirge blitzen, schwärmen die Bienen aus und Rosenkäfer, die so grün funkeln, als seien es fliegende Smaragde. Auch viele Menschen sind schon früh auf den Beinen. So wie Nikolina Baneva, ihr Bruder Stoil Bachkarov sowie eine Handvoll Erntehelfer aus dem Freundeskreis. Ab Mitte Mai verbringt das eingespielte Team fast vier Wochen lang auf ihrem kleinen Feld am Ortsrand des Dörfchens Kalofer, und das Morgen für Morgen. Kalofer ist ein vom Weltgeschehen vergessenes Nest mitten in Bulgarien, dem ärmsten Land der Europäischen Union. Und doch birgt es einen kostbaren Schatz: Einen, den man einatmen kann, und der dank vieler hundert Bestandteile so atemberaubend duftet, dass sich Parfümeure aus aller Welt darum reißen.
Jeder Rosenstrauch hat unzählige Knospen, die sich im Morgengrauen entfalten. So verwandelt sich das Feld jeden Tag aufs Neue in ein Meer aus pinkfarbenen kleinen Blüten, den ganzen Monat lang. Doch die Muße, das Naturspektakel zu genießen, haben die Pflückerinnen und Pflücker nicht. „Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit", sagt Nikolina, die sich erst dann eine Kaffeepause gönnen wird, wenn die vielen Dutzend Säcke mit den abgeknipsten Blüten im Kleintransporter auf dem Weg sind in die Destillerie. Weil die ätherischen Öle in den Rosenblüten mit steigenden Temperaturen verdunsten, ist beim Ernten Geschwindigkeit gefragt.
„Die Ernte ist ein Wettlauf gegen die Zeit"
Reinheit und Schönheit werden der Rose als Attribute zugeschrieben, nicht nur im Rosenkranzgebet bei der Marienverehrung. Aber auch Liebe und Begierde – und das nicht erst von Goethe, sondern bereits von den alten Griechen. Kein Wunder, dass sich die Pflanze als Symbol der Unschuld mit Dornen – die streng biologisch gesehen Stacheln sind –
dagegen wehrt, gepflückt zu werden. Wer keine festen Handschuhe trägt, holt sich schnell blutige Finger. Wie die Ernte trotzdem schnell geht, macht Stoil vor. Mit Daumen und Zeigefinger knipst er die Blüten ab, mit der rechten Hand und parallel auch mit der linken. Drei Kilo wiegt am Ende einer Schicht die Schürze, die er um seine Hüfte gebunden hat. Die Essenz daraus sind nur wenige Gramm ätherisches Öl. Das aber hat es in sich.
Wo sich das Balkangebirge und die Bergkette Sredna Gora auf wenige Kilometer nähern, liegt das etwa 80 Kilometer lange „Tal der Rosen". Ein mildes, vom Wind geschütztes Klima, reichlich Niederschläge im Winter, dann im Frühling viel Sonne: Seit vielen hundert Jahren gedeiht hier die Damaszener-Rose. Schon die Römer wussten, dass deren Duft sich zum Entspannen eignet – bis heute wird das Öl in der Aromatherapie eingesetzt. Heilpraktiker schwören darauf, dass Rosenöl Entzündungen hemmen, Fieber senken und Krämpfe lösen kann. Aphrodisierend soll es natürlich auch wirken. Der Großteil der Produktion wird aber von führenden Parfümherstellern aufgekauft: Das kostbare ätherische Öl der Damaszener-Rose ist die Basis für viele der edelsten Düfte der Welt.
Wer im Mai und Juni vom Aroma der Rosen betört werden will, kann das Tal der Rosen zwar auch im Rahmen eines Tagesausflugs von Sofia oder den Stränden der Schwarzmeerküste besuchen. Um die Natur- und Kulturschätze der Region zu erleben, darunter die Wälder des Balkangebirges und das zum Unesco-Welterbe ernannte Thrakergrab von Kasanlak, braucht es dagegen Zeit. Um die Ecke liegt übrigens auch Plovdiv: Der Ort mit seinem berühmten römischen Amphitheater war 2019 Kulturhauptstadt Europas. Kasanlak, die wichtigste Stadt im Rosental, hat auf den ersten Blick dagegen nur wenige Reize, ist man nicht ein Freund sowjetischer Plattenbau-Architektur.
Weitere Natur- und Kulturschätze in der Region
Doch man müht sich: Im zentralen Stadtpark gibt es inzwischen ein Museum zur Geschichte der Duftrosen, und natürlich blühen hier auch die drei Sorten, die der Region zur Berühmtheit verholfen haben – Rosa damascena, Rosa alba und Rosa centifolia. In Kasanlak, aber auch in Pavel Banja und weiteren kleinen Dörfern des Rosentals, zelebriert man den blühenden Schatz während der Erntezeit mit Paraden und Schaupflücken in traditionellen Kostümen. Heiß her geht es aber vor allem in den Destillerien der Region. Später im Jahr verarbeitet man dort Lavendel, doch im Frühsommer dreht sich alles um die Königin der Blumen.
Vor vielen hundert Jahren kam die Damaszener-Rose mit den Kreuzrittern und den Osmanen aus ihrer syrischen Heimat nach Europa. Bis heute ist das Tal der Rosen in Bulgarien das wichtigste Anbaugebiet. Andere Züchtungen mögen zwar längere Stiele und größere Blütenblätter in knalligen Farben haben. „Die Damaszener-Rose aber duftet reiner und intensiver als die anderen Sorten. Ihre Blüten sind zwar klein, enthalten aber deutlich mehr Duftmoleküle als alle anderen Varianten", erklärt Alexander Draganov.
Der Duft-Spezialist hat in der Branche einen guten Namen, weil er Lieferanten fair bezahlt und als einer der ersten auf Bio-Anbau gesetzt hat. Er hat auch einen guten Riecher für Qualität: Seine Firma Rosbio Bulgaria destilliert das teuerste Öl für die besten Parfüms der Welt – seine Kunden kommen inzwischen nicht nur aus Deutschland und Frankreich, sondern auch aus Asien und dem Arabischen Raum. Aus Sicherheitsgründen ist ein Besuch bei ihm nicht möglich.
Ein Kilo Rosenöl ist auf dem Weltmarkt 10.000 Euro wert
Führungen bietet dagegen das 1909 gegründete Traditionsunternehmen Enio Bonchev an. Im Dorf Tarnichene steht noch die älteste Destillerie des Landes – ein museales Stück, das immer noch in Betrieb ist. Um die Ecke, im neuen Trakt der Firma, ist die Produktion derweil im 21. Jahrhundert angekommen – damit ja kein Tropfen des kostbaren Öls verloren geht. 3.000 Kilo Blüten schütten die Mitarbeiter in die Kessel, um am Ende ein einziges Kilo Rosenöl zu gewinnen. Die Produktion wird von Kameras überwacht, und am Ende der Herstellung wandert das edle Produkt sofort in den Tresor: Auf dem Weltmarkt zahlt man für ein Kilogramm inzwischen mehr als 10.000 Euro. Kein Wunder, dass das edle Produkt oft gepanscht wird, mit billigem Öl aus Geranien oder dem aus Hagebutten gepressten Wildrosenöl. Ein günstigeres Mitbringsel für Besucher ist das aus eingelegten Blütenblättern gewonnene Rosenwasser. Doch auch das kauft man nicht am Souvenirstand, sondern in der Destillerie.
„Ein Fläschchen Rosenwasser in der Handtasche zu haben, kann manchmal ein Wunder bewirken. Wenn ich das in der U-Bahn versprühe, haben plötzlich selbst verbiesterte Leute ein Lächeln im Gesicht", schmunzelt Ekaterina El Batal. Die Berlinerin, die in Bulgarien geboren wurde, organisiert regelmäßig Reisen in ihre alte Heimat, bei denen sich alles um die Rosen dreht. Zunächst helfen die Teilnehmer den Einheimischen beim Pflücken, dann werden ein paar Kilo der Ernte zu Marmelade und Essenzen verarbeitet. Vor allem aber bleibt viel Zeit, um die Natur und den intensiven Blumenduft auf sich wirken zu lassen, auf den Feldern und in der Destillerie. „Der Versuch, die Magie der Rose mit Worten zu beschreiben, ist nämlich genau das: ein Versuch", sinniert Ekaterina El Batal. „Ihren Zauber muss man erleben."